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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft des britischen Weltreiches

gelang es, Deutschland zu "zerschmettern", so durfte man hoffen, die Kolonien
mehr als je an sich fesseln zu können, indem man ihnen wirksamen Schutz
gegen jede Bedrohung durch Japan gewährte, und ebenso würde Englands
Bewegungsfreiheit gegenüber Japan ein Unterpfand für eine dauerhafte englisch¬
amerikanische Freundschaft bedeuten. Da aus der "Zerschmetterung" nichts
werden kann und eine freundschaftliche Verständigung mit Deutschland weniger
zu erwarten sein wird als vor dem Kriege, so spricht alle Wahrscheinlichkeit
dafür, daß die Kräfte innerhalb des britischen Weltreiches und der ganzen
angelsächsischen Kulturwelt nach dem Kriege stärker als je auseinanderstreben
werden.

Es gab eine Zeit, wo in England schon die Auffassung allgemein ver¬
breitet war, daß die Kolonien nach einem Worte Turgots Früchten gleichen,
die, wenn sie reif sind, von selbst vom Baume fallen. "Wir werden ruiniert
werden durch unsere Kolonien", rief Cobden einmal aus, aber auch Disraeli
fand im Jahre 1852 wenig Widerspruch, als er voraussagen zu können glaubte,
daß die "abscheulichen Kolonien" in wenigen Jahren alle unabhängig werden
würden, worin er gar kein Unglück sah, weil er meinte, sie seien ein "Mühl¬
stein an unserem Halse". Sir George Cornwell nannte die Kolonien "nutzlos
und gefährlich" um dieselbe Zeit, wo ein Komitee des Unterhauses die Aufgabe
der westindischen Inseln verlangte. Lord Blatchford, der in den Jahren 1859
bis 1871 Unterstaatssekretär sür die Kolonien war, äußerte im Jahre 1855:
"Ich habe immer geglaubt und dieser Glaube hat sich in mir so festgesetzt,
daß ich mir gar nicht vorstellen kann, jemand könne anderer Ansicht sein, --
daß das Schicksal unserer Kolonien unabänderlich ist, und daß es deshalb die
Aufgabe des Kolonialamts sein muß, die Beziehungen zu unseren Kolonien,
solange sie dauern, für beide Teile so vorteilhaft wie möglich zu gestalten und
unsere Trennung, wenn sie erfolgt, so fteundschaftlich wie möglich." Es waren
die in den folgenden Jahrzehnten vor sich gehenden gewaltigen Umwälzungen
im Weltverkehr und in der Weltwirtschaft und Weltpoliti!. vor allem der
industrielle Aufschwung Deutschlands und der Vereinigten Staaten, was
England seine überseeischen Besitzungen wieder ungemein schätzen lehrte und
sein Bestreben wachrief, sie solange wie möglich festzuhalten. Schließlich aber
könnte sich der politische Instinkt der führenden englischen Staatsmänner in der
ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts doch noch als richtig erweisen. Spielte
denn bei der von Chamberlain ins Leben gerufenen Tarifteformbewegung nicht
auch die Furcht vor einer unaufhaltsamen Lockerung der Bande zwischen
Mutterland und Kolonien eine große Rolle? Es ist bezeichnend, daß sich in
Indien während des Krieges aus schüchternen Anfängen eine selbständige, auch
gegen die Unabhängigkeit vom Mutterlande gerichtete mächtige schutzzöllnerische
Bewegung entwickeln konnte. Am 24. März 1916 schrieb "Calcutta Englishmen",
eines der Organe dieser Bewegung: "Man soll (mit Schutzzöllen) nicht warten,
bis der Krieg zu Ende ist. Das mag noch lange dauern, aber wenn das


Die Zukunft des britischen Weltreiches

gelang es, Deutschland zu „zerschmettern", so durfte man hoffen, die Kolonien
mehr als je an sich fesseln zu können, indem man ihnen wirksamen Schutz
gegen jede Bedrohung durch Japan gewährte, und ebenso würde Englands
Bewegungsfreiheit gegenüber Japan ein Unterpfand für eine dauerhafte englisch¬
amerikanische Freundschaft bedeuten. Da aus der „Zerschmetterung" nichts
werden kann und eine freundschaftliche Verständigung mit Deutschland weniger
zu erwarten sein wird als vor dem Kriege, so spricht alle Wahrscheinlichkeit
dafür, daß die Kräfte innerhalb des britischen Weltreiches und der ganzen
angelsächsischen Kulturwelt nach dem Kriege stärker als je auseinanderstreben
werden.

Es gab eine Zeit, wo in England schon die Auffassung allgemein ver¬
breitet war, daß die Kolonien nach einem Worte Turgots Früchten gleichen,
die, wenn sie reif sind, von selbst vom Baume fallen. „Wir werden ruiniert
werden durch unsere Kolonien", rief Cobden einmal aus, aber auch Disraeli
fand im Jahre 1852 wenig Widerspruch, als er voraussagen zu können glaubte,
daß die „abscheulichen Kolonien" in wenigen Jahren alle unabhängig werden
würden, worin er gar kein Unglück sah, weil er meinte, sie seien ein „Mühl¬
stein an unserem Halse". Sir George Cornwell nannte die Kolonien „nutzlos
und gefährlich" um dieselbe Zeit, wo ein Komitee des Unterhauses die Aufgabe
der westindischen Inseln verlangte. Lord Blatchford, der in den Jahren 1859
bis 1871 Unterstaatssekretär sür die Kolonien war, äußerte im Jahre 1855:
„Ich habe immer geglaubt und dieser Glaube hat sich in mir so festgesetzt,
daß ich mir gar nicht vorstellen kann, jemand könne anderer Ansicht sein, —
daß das Schicksal unserer Kolonien unabänderlich ist, und daß es deshalb die
Aufgabe des Kolonialamts sein muß, die Beziehungen zu unseren Kolonien,
solange sie dauern, für beide Teile so vorteilhaft wie möglich zu gestalten und
unsere Trennung, wenn sie erfolgt, so fteundschaftlich wie möglich." Es waren
die in den folgenden Jahrzehnten vor sich gehenden gewaltigen Umwälzungen
im Weltverkehr und in der Weltwirtschaft und Weltpoliti!. vor allem der
industrielle Aufschwung Deutschlands und der Vereinigten Staaten, was
England seine überseeischen Besitzungen wieder ungemein schätzen lehrte und
sein Bestreben wachrief, sie solange wie möglich festzuhalten. Schließlich aber
könnte sich der politische Instinkt der führenden englischen Staatsmänner in der
ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts doch noch als richtig erweisen. Spielte
denn bei der von Chamberlain ins Leben gerufenen Tarifteformbewegung nicht
auch die Furcht vor einer unaufhaltsamen Lockerung der Bande zwischen
Mutterland und Kolonien eine große Rolle? Es ist bezeichnend, daß sich in
Indien während des Krieges aus schüchternen Anfängen eine selbständige, auch
gegen die Unabhängigkeit vom Mutterlande gerichtete mächtige schutzzöllnerische
Bewegung entwickeln konnte. Am 24. März 1916 schrieb „Calcutta Englishmen",
eines der Organe dieser Bewegung: „Man soll (mit Schutzzöllen) nicht warten,
bis der Krieg zu Ende ist. Das mag noch lange dauern, aber wenn das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/417>, abgerufen am 01.07.2024.