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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft des britischen Weltreiches

ne6 Qei-man8" doch nicht zu trauen wäre. Die Londoner Staatsmänner
können dann aber nicht mehr wie vor dem Kriege die Furcht der Dominions
vor Japan damit zu beschwichtigen suchen, daß sie geltend machen, Japan wäre
nicht imstande, sich von England frei zu machen, auch wenn es wollte, da es
vom Londoner Geldmarkt abhängig sei. Die gelbe Großmacht schuldet England
so gut wie nichts mehr und es bedarf auch seiner politischen Dienste kaum noch.
Dagegen mag sie auch nach dem Kriege aus Klugheit noch Wert darauf legen,
mit der nordamerikanischen Union befreundet zu bleiben, um amerikanisches
Kapital für eine wirtschaftliche Ausbeutung Chinas ausnützen zu können. Auf
jeden Fall wird jedes von Washington aus in Tokio zugunsten der englischen
Dominions eingelegte Wort dort viel mehr Gewicht haben, als alle Londoner
Fürsprache. Sobald andererseits die Voraussetzungen für ein freundschaftliches
Einvernehmen zwischen Jay und Danket aufhören, setzen sofort die Voraus¬
setzungen für ein ausgesprochen feindseliges Verhältnis zwischen beiden Mächten
"in, und dann haben die Dominions erst recht allen Grund, in Onkel Sam statt
in John Bull ihren Schutzheiligen zu verehren.

Nun mag man wohl meinen, es habe für die Außenwelt nicht viel zu
besagen, wenn sich der Schwerpunkt der angelsächsischen Kulturwelt von London
nach Washington verschiebe; die Macht des britischen Weltreiches würde durch
die Verschmelzung mit Amerika nur wachsen. Das trifft jedoch kaum zu. In
einer Sammlung australischer Zeitungsausschnitte aus der Friedenszeit finde
ich einen höchst interessanten Meinungsaustausch über den Gedanken einer
"Föderation der englisch sprechenden Völker". Da setzt ein Amerikaner, namens
Jason, den Lesern des in Sidney erscheinenden "Bulletin" auseinander, daß
die Amerikaner nicht so leicht die Haltung Englands während des Sezesstons-
krieges vergessen würden. "Zu jener Zeit sprachen die .angesehenen' und
.einflußreichen' Klassen in England offen ihre Sympathie für die .Rebellen'
aus und setzten diese Sympathie in die Praxis um. wo sie es immer heimlich
und ungefährdet tun konnten. Jedes Schlachtfeld, das die Truppen des Nordens
behaupteten, jede südliche Festung, die sie einnahmen, legte stilles Zeugnis ab
von dem Verrat Englands in erbeuteten Kriegsmaterial: Kanonen aus englischen
Gießereien, Gewehre aus englischen Werkstätten, Schwerter und Bajonette, die
den Stempel Sheffieldcr Fabrikanten trugen: alles, strafte die von der eng¬
lischen Regierung zum Ausdruck gebrachte Neutralität Lügen." Diese Erinne¬
rungen werden noch durch weitere ergänzt; dann heißt es über die Zusammen¬
setzung der Bevölkerung der Vereinigten Staaten: "Das Volk der Vereinigten
Staaten hat längst aufgehört, englisch oder auch nur anglo-amerikanisch zu sein.
Die 'Aristokratie' von New Jork und Philadelphia ist holländischer Ab¬
stammung, diejenige New Orleans macht Anspruch auf französische Ahnen:
40 Prozent der Bevölkerung Chicagos ist deutsch oder deutschen Ursprungs,
während die großen Staaten des Nordwestens -- Wiscounsin, Minnesota und
Dakota -- ihre rasche Entwicklung dem friedlichen Eindringen Tausender des


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Die Zukunft des britischen Weltreiches

ne6 Qei-man8" doch nicht zu trauen wäre. Die Londoner Staatsmänner
können dann aber nicht mehr wie vor dem Kriege die Furcht der Dominions
vor Japan damit zu beschwichtigen suchen, daß sie geltend machen, Japan wäre
nicht imstande, sich von England frei zu machen, auch wenn es wollte, da es
vom Londoner Geldmarkt abhängig sei. Die gelbe Großmacht schuldet England
so gut wie nichts mehr und es bedarf auch seiner politischen Dienste kaum noch.
Dagegen mag sie auch nach dem Kriege aus Klugheit noch Wert darauf legen,
mit der nordamerikanischen Union befreundet zu bleiben, um amerikanisches
Kapital für eine wirtschaftliche Ausbeutung Chinas ausnützen zu können. Auf
jeden Fall wird jedes von Washington aus in Tokio zugunsten der englischen
Dominions eingelegte Wort dort viel mehr Gewicht haben, als alle Londoner
Fürsprache. Sobald andererseits die Voraussetzungen für ein freundschaftliches
Einvernehmen zwischen Jay und Danket aufhören, setzen sofort die Voraus¬
setzungen für ein ausgesprochen feindseliges Verhältnis zwischen beiden Mächten
«in, und dann haben die Dominions erst recht allen Grund, in Onkel Sam statt
in John Bull ihren Schutzheiligen zu verehren.

Nun mag man wohl meinen, es habe für die Außenwelt nicht viel zu
besagen, wenn sich der Schwerpunkt der angelsächsischen Kulturwelt von London
nach Washington verschiebe; die Macht des britischen Weltreiches würde durch
die Verschmelzung mit Amerika nur wachsen. Das trifft jedoch kaum zu. In
einer Sammlung australischer Zeitungsausschnitte aus der Friedenszeit finde
ich einen höchst interessanten Meinungsaustausch über den Gedanken einer
„Föderation der englisch sprechenden Völker". Da setzt ein Amerikaner, namens
Jason, den Lesern des in Sidney erscheinenden „Bulletin" auseinander, daß
die Amerikaner nicht so leicht die Haltung Englands während des Sezesstons-
krieges vergessen würden. „Zu jener Zeit sprachen die .angesehenen' und
.einflußreichen' Klassen in England offen ihre Sympathie für die .Rebellen'
aus und setzten diese Sympathie in die Praxis um. wo sie es immer heimlich
und ungefährdet tun konnten. Jedes Schlachtfeld, das die Truppen des Nordens
behaupteten, jede südliche Festung, die sie einnahmen, legte stilles Zeugnis ab
von dem Verrat Englands in erbeuteten Kriegsmaterial: Kanonen aus englischen
Gießereien, Gewehre aus englischen Werkstätten, Schwerter und Bajonette, die
den Stempel Sheffieldcr Fabrikanten trugen: alles, strafte die von der eng¬
lischen Regierung zum Ausdruck gebrachte Neutralität Lügen." Diese Erinne¬
rungen werden noch durch weitere ergänzt; dann heißt es über die Zusammen¬
setzung der Bevölkerung der Vereinigten Staaten: „Das Volk der Vereinigten
Staaten hat längst aufgehört, englisch oder auch nur anglo-amerikanisch zu sein.
Die 'Aristokratie' von New Jork und Philadelphia ist holländischer Ab¬
stammung, diejenige New Orleans macht Anspruch auf französische Ahnen:
40 Prozent der Bevölkerung Chicagos ist deutsch oder deutschen Ursprungs,
während die großen Staaten des Nordwestens — Wiscounsin, Minnesota und
Dakota — ihre rasche Entwicklung dem friedlichen Eindringen Tausender des


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[0415] Die Zukunft des britischen Weltreiches ne6 Qei-man8" doch nicht zu trauen wäre. Die Londoner Staatsmänner können dann aber nicht mehr wie vor dem Kriege die Furcht der Dominions vor Japan damit zu beschwichtigen suchen, daß sie geltend machen, Japan wäre nicht imstande, sich von England frei zu machen, auch wenn es wollte, da es vom Londoner Geldmarkt abhängig sei. Die gelbe Großmacht schuldet England so gut wie nichts mehr und es bedarf auch seiner politischen Dienste kaum noch. Dagegen mag sie auch nach dem Kriege aus Klugheit noch Wert darauf legen, mit der nordamerikanischen Union befreundet zu bleiben, um amerikanisches Kapital für eine wirtschaftliche Ausbeutung Chinas ausnützen zu können. Auf jeden Fall wird jedes von Washington aus in Tokio zugunsten der englischen Dominions eingelegte Wort dort viel mehr Gewicht haben, als alle Londoner Fürsprache. Sobald andererseits die Voraussetzungen für ein freundschaftliches Einvernehmen zwischen Jay und Danket aufhören, setzen sofort die Voraus¬ setzungen für ein ausgesprochen feindseliges Verhältnis zwischen beiden Mächten «in, und dann haben die Dominions erst recht allen Grund, in Onkel Sam statt in John Bull ihren Schutzheiligen zu verehren. Nun mag man wohl meinen, es habe für die Außenwelt nicht viel zu besagen, wenn sich der Schwerpunkt der angelsächsischen Kulturwelt von London nach Washington verschiebe; die Macht des britischen Weltreiches würde durch die Verschmelzung mit Amerika nur wachsen. Das trifft jedoch kaum zu. In einer Sammlung australischer Zeitungsausschnitte aus der Friedenszeit finde ich einen höchst interessanten Meinungsaustausch über den Gedanken einer „Föderation der englisch sprechenden Völker". Da setzt ein Amerikaner, namens Jason, den Lesern des in Sidney erscheinenden „Bulletin" auseinander, daß die Amerikaner nicht so leicht die Haltung Englands während des Sezesstons- krieges vergessen würden. „Zu jener Zeit sprachen die .angesehenen' und .einflußreichen' Klassen in England offen ihre Sympathie für die .Rebellen' aus und setzten diese Sympathie in die Praxis um. wo sie es immer heimlich und ungefährdet tun konnten. Jedes Schlachtfeld, das die Truppen des Nordens behaupteten, jede südliche Festung, die sie einnahmen, legte stilles Zeugnis ab von dem Verrat Englands in erbeuteten Kriegsmaterial: Kanonen aus englischen Gießereien, Gewehre aus englischen Werkstätten, Schwerter und Bajonette, die den Stempel Sheffieldcr Fabrikanten trugen: alles, strafte die von der eng¬ lischen Regierung zum Ausdruck gebrachte Neutralität Lügen." Diese Erinne¬ rungen werden noch durch weitere ergänzt; dann heißt es über die Zusammen¬ setzung der Bevölkerung der Vereinigten Staaten: „Das Volk der Vereinigten Staaten hat längst aufgehört, englisch oder auch nur anglo-amerikanisch zu sein. Die 'Aristokratie' von New Jork und Philadelphia ist holländischer Ab¬ stammung, diejenige New Orleans macht Anspruch auf französische Ahnen: 40 Prozent der Bevölkerung Chicagos ist deutsch oder deutschen Ursprungs, während die großen Staaten des Nordwestens — Wiscounsin, Minnesota und Dakota — ihre rasche Entwicklung dem friedlichen Eindringen Tausender des 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/415>, abgerufen am 01.07.2024.