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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft des britischen Uleltreiches

z> B. jährlich 30000 Pfund Sterling australischer Rente nach England gingen,
weil der Eigentümer des entsprechenden australischen Besitztums dorthin ver¬
zogen war. um einen Titel zu ergattern und ein Anhängsel der englischen
Gesellschaft zu werden, so bedeutete das dasselbe, wie wenn Australien in Eng¬
land eine weitere Million Pfund Sterling zu 3 Prozent geborgt hätte -- ohne
den Vorteil zu haben, jene Summe auszugeben.

Die gewaltige Steigerung der Weltmarktpreise für Rohstoffe und Lebens-
mittel, die der Krieg bewirkte, hat es nun mit sich gebracht, daß die früher
immer passive Handelsbilanz der Dominions in hohem Maße aktiv wurde und
soviel Geld einströmte, daß sie sich aus Schuldner" in Gläubigerstaaten ver¬
wandelten. Als der Krieg begann, befand sich Kanada, wie die Londoner
"Times" schon 1916 berichteten, noch mitten in einer schweren Wirtschaftskrise.
Überraschend schnell erholte es sich, um bald einen ungeahnten Aufschwung zu
erleben. In dem am 30. Juni 1913 endenden Wirtschaftsjahr hatten die
Einfuhrwerte die Ausfuhrwerte um 321 Millionen Dollars überschritten, im
folgenden Jahr um 155 Millionen. In dem am 30. Juni 1915 abschließenden
Wirtschaftsjahr war die Handelsbilanz Kanadas zum erstenmal aktiv geworden,
und zwar um 21 Millionen Dollars, und die Londoner Regierung hatte schon
für die kanadischen Kriegslieferungen Kredit in Anspruch nehmen müssen.

Nach dem Kriege könnte nun sehr wohl die Einwanderung nach den über¬
seeischen Teilen des britischen Weltreiches gewaltig zunehmen und sie wieder
zur Inanspruchnahme auswärtiger Geldmärkte zwingen. Dafür würde dann
aber weniger London als New Jork in Betracht kommen, und dann müßte
sich ein Vorgang mit beschleunigtem Tempo abwickeln, der schon vor dem
Kriege weit gediehen war: die Amerikanisierung englischer Kolonien. Die
"Welthungersnot" in den ersten Jahren nach dem Kriege wird die West¬
provinzen Kanadas Menschen und Kapital aus den Vereinigten Staaten gierig
aufsaugen lassen, während sich in Australien die umwälzende Wirkung, die der
Seeweg durch den Panamakanal auf die Welthandelsverhältnisse ausüben wird,
bald bemerkbar machen muß. Das Entscheidende für die politische Neu¬
orientierung der Dominions aber ist, daß sie sich genötigt sehen werden, ihre
Blicke nach Washington statt nach London zu richten, wenn sie sich von Japan
bedrängt oder bedroht fühlen. Die Möglichkeit einer Annäherung an Deutsch¬
land hat sich England durch die Art^ wie es diesen Krieg gegen uns führt,
fürs erste verscherzt, ganz abgesehen davon, daß die herrschende Kaste in Eng¬
land gar nicht fähig ist, das überkommene Gefühl göttergleicher Erhabenheit
zu überwinden und sich mit uns als Träger einer ihnen ebenbürtig
gewordenen Weltmacht friedlich - schiedlich auseinanderzusetzen. Daraus darf
man schließen, daß England nach dem Kriege ohne Rücksicht auf die Schutz¬
bedürfnisse der Kolonien fast seine gesamten Seestreitkrüfte weiter zu einer
"Wacht in der Nordsee" mißbrauchen wird, weil, wie sich ein Japaner, der
derselben Meinung war, verschmitzt und ironisch ausdrückte, den "clam-


Die Zukunft des britischen Uleltreiches

z> B. jährlich 30000 Pfund Sterling australischer Rente nach England gingen,
weil der Eigentümer des entsprechenden australischen Besitztums dorthin ver¬
zogen war. um einen Titel zu ergattern und ein Anhängsel der englischen
Gesellschaft zu werden, so bedeutete das dasselbe, wie wenn Australien in Eng¬
land eine weitere Million Pfund Sterling zu 3 Prozent geborgt hätte — ohne
den Vorteil zu haben, jene Summe auszugeben.

Die gewaltige Steigerung der Weltmarktpreise für Rohstoffe und Lebens-
mittel, die der Krieg bewirkte, hat es nun mit sich gebracht, daß die früher
immer passive Handelsbilanz der Dominions in hohem Maße aktiv wurde und
soviel Geld einströmte, daß sie sich aus Schuldner« in Gläubigerstaaten ver¬
wandelten. Als der Krieg begann, befand sich Kanada, wie die Londoner
„Times" schon 1916 berichteten, noch mitten in einer schweren Wirtschaftskrise.
Überraschend schnell erholte es sich, um bald einen ungeahnten Aufschwung zu
erleben. In dem am 30. Juni 1913 endenden Wirtschaftsjahr hatten die
Einfuhrwerte die Ausfuhrwerte um 321 Millionen Dollars überschritten, im
folgenden Jahr um 155 Millionen. In dem am 30. Juni 1915 abschließenden
Wirtschaftsjahr war die Handelsbilanz Kanadas zum erstenmal aktiv geworden,
und zwar um 21 Millionen Dollars, und die Londoner Regierung hatte schon
für die kanadischen Kriegslieferungen Kredit in Anspruch nehmen müssen.

Nach dem Kriege könnte nun sehr wohl die Einwanderung nach den über¬
seeischen Teilen des britischen Weltreiches gewaltig zunehmen und sie wieder
zur Inanspruchnahme auswärtiger Geldmärkte zwingen. Dafür würde dann
aber weniger London als New Jork in Betracht kommen, und dann müßte
sich ein Vorgang mit beschleunigtem Tempo abwickeln, der schon vor dem
Kriege weit gediehen war: die Amerikanisierung englischer Kolonien. Die
„Welthungersnot" in den ersten Jahren nach dem Kriege wird die West¬
provinzen Kanadas Menschen und Kapital aus den Vereinigten Staaten gierig
aufsaugen lassen, während sich in Australien die umwälzende Wirkung, die der
Seeweg durch den Panamakanal auf die Welthandelsverhältnisse ausüben wird,
bald bemerkbar machen muß. Das Entscheidende für die politische Neu¬
orientierung der Dominions aber ist, daß sie sich genötigt sehen werden, ihre
Blicke nach Washington statt nach London zu richten, wenn sie sich von Japan
bedrängt oder bedroht fühlen. Die Möglichkeit einer Annäherung an Deutsch¬
land hat sich England durch die Art^ wie es diesen Krieg gegen uns führt,
fürs erste verscherzt, ganz abgesehen davon, daß die herrschende Kaste in Eng¬
land gar nicht fähig ist, das überkommene Gefühl göttergleicher Erhabenheit
zu überwinden und sich mit uns als Träger einer ihnen ebenbürtig
gewordenen Weltmacht friedlich - schiedlich auseinanderzusetzen. Daraus darf
man schließen, daß England nach dem Kriege ohne Rücksicht auf die Schutz¬
bedürfnisse der Kolonien fast seine gesamten Seestreitkrüfte weiter zu einer
„Wacht in der Nordsee" mißbrauchen wird, weil, wie sich ein Japaner, der
derselben Meinung war, verschmitzt und ironisch ausdrückte, den „clam-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/414>, abgerufen am 01.07.2024.