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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

vom elsaß-lothringischen Standpunkte aus behandelt, statt sich in erster Linie
auf den Boden des Reiches, seiner rechtlichen Organisation und seiner Lebens¬
interessen, die doch den Vorzug haben vor elsaß-lothringischen Wünschen, zu
stellen.

Das Land ist für ein "Staatsfragment" erklärt worden. Ein unannehm¬
barer Begriff!

Ein Gebilde kann nicht zum Teil Staat sein; aus dem einheitlichen Staats¬
begriff lassen sich nicht Stücke herausnehmen und als "Staatsfragmente" selb¬
ständig setzen. Staat oder Nichtstaat: das ist die bestimmt zu entscheidende
Frage. Insbesondere darf nicht, wie,es geschehen ist, der elsaß - lothringische
Landtag als "Staatsorgan" bezeichnet werden, da es an dem Staate fehlt,
auf den das Organ bezogen werden könnte. Während die Landtage in Preußen,
Bayern usw. allerdings Organe dieser Staaten und zwar als solcher, nicht als
Reichsteile sind, äußert sich im elsaß-lothringischen Landtage lediglich die
Autonomie eines Neichsteiles ohne Staatscharakter.

Dem "Staatsfragment" ist die "gehobene Provinz" entgegengesetzt worden.
Bei dieser Charakterisierung liegt der Nachdruck -- und mit Recht -- auf der
beherrschenden Gewalt. Aber um "gehobene Provinz" zu sein, müßte das
Reichsland doch vor allem unter den Gattungsbegriff "Provinz" fallen. Öfters
hat man es so eingeordnet, insbesondere für die Periode bis zum Inkrafttreten
der Reichsverfassung die vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates er¬
lassenen Verordnungen "Provinzial-Reichsgesetze" genannt usw. Allein das
Urteil, Elsaß-Lothringen sei eine "Rheinprovinz", enthält, indem ein Teil¬
begriff -- Provinz --- aufgestellt wird, während es andere solche Reichsteile --
Provinzen -- nicht gibt, einen logischen Verstoß. Wenn ein Ganzes weder
ganz noch zum Teil eine bestimmte Einteilung hat, so kann nicht in einem
einzelnen Stück des Ganzen der entsprechende Teil gegeben sein.

Zu verwundern ist es freilich nicht, daß diese und ähnliche fehlgehende
Erklärungen versucht worden sind, denn einheitlich und durchsichtig hat sich pas
öffentliche Recht Elsaß-Lothringens, zumal in den Verfassungsgesetzen von
1879 und -- besonders -- von 1911 wahrlich nicht fortentwickelt. Ein ge¬
sundes politisches Leben kann nur auf klarer Rechtsgrundlage erwachsen. Sehr
zum Schaden der Reichsinteressen hat die in Halbheiten sich bewegende, keinen
Teil, weder die Anhänger staatlicher Selbständigkeit des Landes, noch die Ver¬
treter seiner vollen Unterordnung unter gegebene Staatsgewalt, befriedigende
Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen diese Wahrheit außer acht gelassen.

(Schluß folgt)




Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

vom elsaß-lothringischen Standpunkte aus behandelt, statt sich in erster Linie
auf den Boden des Reiches, seiner rechtlichen Organisation und seiner Lebens¬
interessen, die doch den Vorzug haben vor elsaß-lothringischen Wünschen, zu
stellen.

Das Land ist für ein „Staatsfragment" erklärt worden. Ein unannehm¬
barer Begriff!

Ein Gebilde kann nicht zum Teil Staat sein; aus dem einheitlichen Staats¬
begriff lassen sich nicht Stücke herausnehmen und als „Staatsfragmente" selb¬
ständig setzen. Staat oder Nichtstaat: das ist die bestimmt zu entscheidende
Frage. Insbesondere darf nicht, wie,es geschehen ist, der elsaß - lothringische
Landtag als „Staatsorgan" bezeichnet werden, da es an dem Staate fehlt,
auf den das Organ bezogen werden könnte. Während die Landtage in Preußen,
Bayern usw. allerdings Organe dieser Staaten und zwar als solcher, nicht als
Reichsteile sind, äußert sich im elsaß-lothringischen Landtage lediglich die
Autonomie eines Neichsteiles ohne Staatscharakter.

Dem „Staatsfragment" ist die „gehobene Provinz" entgegengesetzt worden.
Bei dieser Charakterisierung liegt der Nachdruck — und mit Recht — auf der
beherrschenden Gewalt. Aber um „gehobene Provinz" zu sein, müßte das
Reichsland doch vor allem unter den Gattungsbegriff „Provinz" fallen. Öfters
hat man es so eingeordnet, insbesondere für die Periode bis zum Inkrafttreten
der Reichsverfassung die vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates er¬
lassenen Verordnungen „Provinzial-Reichsgesetze" genannt usw. Allein das
Urteil, Elsaß-Lothringen sei eine „Rheinprovinz", enthält, indem ein Teil¬
begriff — Provinz —- aufgestellt wird, während es andere solche Reichsteile —
Provinzen — nicht gibt, einen logischen Verstoß. Wenn ein Ganzes weder
ganz noch zum Teil eine bestimmte Einteilung hat, so kann nicht in einem
einzelnen Stück des Ganzen der entsprechende Teil gegeben sein.

Zu verwundern ist es freilich nicht, daß diese und ähnliche fehlgehende
Erklärungen versucht worden sind, denn einheitlich und durchsichtig hat sich pas
öffentliche Recht Elsaß-Lothringens, zumal in den Verfassungsgesetzen von
1879 und — besonders — von 1911 wahrlich nicht fortentwickelt. Ein ge¬
sundes politisches Leben kann nur auf klarer Rechtsgrundlage erwachsen. Sehr
zum Schaden der Reichsinteressen hat die in Halbheiten sich bewegende, keinen
Teil, weder die Anhänger staatlicher Selbständigkeit des Landes, noch die Ver¬
treter seiner vollen Unterordnung unter gegebene Staatsgewalt, befriedigende
Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen diese Wahrheit außer acht gelassen.

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[0412] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande vom elsaß-lothringischen Standpunkte aus behandelt, statt sich in erster Linie auf den Boden des Reiches, seiner rechtlichen Organisation und seiner Lebens¬ interessen, die doch den Vorzug haben vor elsaß-lothringischen Wünschen, zu stellen. Das Land ist für ein „Staatsfragment" erklärt worden. Ein unannehm¬ barer Begriff! Ein Gebilde kann nicht zum Teil Staat sein; aus dem einheitlichen Staats¬ begriff lassen sich nicht Stücke herausnehmen und als „Staatsfragmente" selb¬ ständig setzen. Staat oder Nichtstaat: das ist die bestimmt zu entscheidende Frage. Insbesondere darf nicht, wie,es geschehen ist, der elsaß - lothringische Landtag als „Staatsorgan" bezeichnet werden, da es an dem Staate fehlt, auf den das Organ bezogen werden könnte. Während die Landtage in Preußen, Bayern usw. allerdings Organe dieser Staaten und zwar als solcher, nicht als Reichsteile sind, äußert sich im elsaß-lothringischen Landtage lediglich die Autonomie eines Neichsteiles ohne Staatscharakter. Dem „Staatsfragment" ist die „gehobene Provinz" entgegengesetzt worden. Bei dieser Charakterisierung liegt der Nachdruck — und mit Recht — auf der beherrschenden Gewalt. Aber um „gehobene Provinz" zu sein, müßte das Reichsland doch vor allem unter den Gattungsbegriff „Provinz" fallen. Öfters hat man es so eingeordnet, insbesondere für die Periode bis zum Inkrafttreten der Reichsverfassung die vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates er¬ lassenen Verordnungen „Provinzial-Reichsgesetze" genannt usw. Allein das Urteil, Elsaß-Lothringen sei eine „Rheinprovinz", enthält, indem ein Teil¬ begriff — Provinz —- aufgestellt wird, während es andere solche Reichsteile — Provinzen — nicht gibt, einen logischen Verstoß. Wenn ein Ganzes weder ganz noch zum Teil eine bestimmte Einteilung hat, so kann nicht in einem einzelnen Stück des Ganzen der entsprechende Teil gegeben sein. Zu verwundern ist es freilich nicht, daß diese und ähnliche fehlgehende Erklärungen versucht worden sind, denn einheitlich und durchsichtig hat sich pas öffentliche Recht Elsaß-Lothringens, zumal in den Verfassungsgesetzen von 1879 und — besonders — von 1911 wahrlich nicht fortentwickelt. Ein ge¬ sundes politisches Leben kann nur auf klarer Rechtsgrundlage erwachsen. Sehr zum Schaden der Reichsinteressen hat die in Halbheiten sich bewegende, keinen Teil, weder die Anhänger staatlicher Selbständigkeit des Landes, noch die Ver¬ treter seiner vollen Unterordnung unter gegebene Staatsgewalt, befriedigende Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen diese Wahrheit außer acht gelassen. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/412>, abgerufen am 01.07.2024.