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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

Die gleiche Ausdrucksweise wird auch sonst gewählt, um gesetzlichen Be¬
stimmungen, die auf die Znsammensetzung des Reiches aus Einzelstaaten zu¬
geschnitten sind, die Anwendung auf Elsaß-Lothringen zu vermitteln. So in
der Reichsverfassung selbst, Art. 6a: "Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des
Art. 6 Abs. 2 und der Art. 7 und 8 als Bundesstaat." Diese Fassung, zumal
i-l der Beschränkung auf die hier gewährten, den Bundesstaaten zustehenden
Rechte, läßt deutlich erkennen, daß die Reichsverfassung das Reichsland nicht
als Bundesstaat ansteht.

Besteht hiernach Staatseigenschaft für Elsaß-Lothringen nicht, so genießt
das Land doch nach Art eines höheren Kommunalverbandes sehr bedeutsamer
öffentlichrechtlicher Gerechtsame.

Es besitzt ein erhebliches Maß selbständiger Finanzverwaltung. Das bei
der Einverleibung vorhandene, dem Reiche zugefallene französische Staatsgut
blieb Elsaß-Lothringen für seine besonderen Zwecke überlassen. Dem Reichs-
stZkus steht ein Landesfiskus gegenüber; daß der letztere Ausdruck in bezug auf
einen Nichtstaat nicht ganz genau ist, wird nicht übersehen. Elsaß-Lothringen
ist Rechtssubjekt, Träger publizistischer und privatrechtlicher Vermögensrechte,
hat die Fähigkeit. Schulden zu haben und zu begründen. Die Landeskasse
trägt die Kosten der Landesverwaltung. Wie in den Bundesstaaten wird der
Landeshaushaltsetat durch Gesetz. Reichslandsgesetz, festgestellt. Mit weit¬
gehender Selbstverwaltung und Autonomie verknüpft sich das vom Reiche dem
Lande verliehene Recht der Besteuerung. Gewiß ein Anklang an staatliche
Selbständigkeit; für die rechtliche Betrachtung aber gibt den Ausschlag, daß
diese Gewalt auf entziehbarer Bewilligung durch das Reich beruht.

Nicht Staat ist das Reichsland, da ihm die staatlichen Hoheitsrechte
fehlen, vielmehr reichsunterworfener Selbstverwaltungskörper mit autonomer
Berechtigung.

Im "Reichslande" ist dem Reiche ein umtarisches Element eingefügt worden.
Über diese Bestimmung der wiedergewonnenen Gebiete war im Grunde schon
während des Krieges mit Frankreich entschieden, als die Anschauungen über die
künftige Gestaltung Deutschlands im bundesstaatlichen oder unitarischen Sinne
noch stark auseinandergingen. Elsaß-Lothringen sollte jedenfalls dem zu schaffenden
Deutschen Reiche so angehören, als ob dieses Einheitsstaat sei. Und es ist das
Reich, auf der Grundlage der deutschen Einzelstaaten als Bundesstaat errichtet,
doch im Hinblick auf Elsaß-Lothringen Einheitsstaat geworden. Für beide
Seiten seines Wesens hat es den gleichen Souverän: die Gesamtheit der ver¬
bündeten Regierungen. In dieser Doppelnatur des Reiches als Bundesstaat
über den Staaten und als das Reichsland beherrschender Einheitsstaat liegt
der Schlüssel zur Erkenntnis der staatsrechtlichen Natur Elsaß. Lothringens.
Das Land ist Objekt der Reichsgewalt: als freies Geschenk des Reiches sind
ihm Selbstverwaltung und Autonomie gewährt worden. Man hat die elsa߬
lothringische Frage als staatsrechtliches und politisches Problem viel zu sehr


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

Die gleiche Ausdrucksweise wird auch sonst gewählt, um gesetzlichen Be¬
stimmungen, die auf die Znsammensetzung des Reiches aus Einzelstaaten zu¬
geschnitten sind, die Anwendung auf Elsaß-Lothringen zu vermitteln. So in
der Reichsverfassung selbst, Art. 6a: „Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des
Art. 6 Abs. 2 und der Art. 7 und 8 als Bundesstaat." Diese Fassung, zumal
i-l der Beschränkung auf die hier gewährten, den Bundesstaaten zustehenden
Rechte, läßt deutlich erkennen, daß die Reichsverfassung das Reichsland nicht
als Bundesstaat ansteht.

Besteht hiernach Staatseigenschaft für Elsaß-Lothringen nicht, so genießt
das Land doch nach Art eines höheren Kommunalverbandes sehr bedeutsamer
öffentlichrechtlicher Gerechtsame.

Es besitzt ein erhebliches Maß selbständiger Finanzverwaltung. Das bei
der Einverleibung vorhandene, dem Reiche zugefallene französische Staatsgut
blieb Elsaß-Lothringen für seine besonderen Zwecke überlassen. Dem Reichs-
stZkus steht ein Landesfiskus gegenüber; daß der letztere Ausdruck in bezug auf
einen Nichtstaat nicht ganz genau ist, wird nicht übersehen. Elsaß-Lothringen
ist Rechtssubjekt, Träger publizistischer und privatrechtlicher Vermögensrechte,
hat die Fähigkeit. Schulden zu haben und zu begründen. Die Landeskasse
trägt die Kosten der Landesverwaltung. Wie in den Bundesstaaten wird der
Landeshaushaltsetat durch Gesetz. Reichslandsgesetz, festgestellt. Mit weit¬
gehender Selbstverwaltung und Autonomie verknüpft sich das vom Reiche dem
Lande verliehene Recht der Besteuerung. Gewiß ein Anklang an staatliche
Selbständigkeit; für die rechtliche Betrachtung aber gibt den Ausschlag, daß
diese Gewalt auf entziehbarer Bewilligung durch das Reich beruht.

Nicht Staat ist das Reichsland, da ihm die staatlichen Hoheitsrechte
fehlen, vielmehr reichsunterworfener Selbstverwaltungskörper mit autonomer
Berechtigung.

Im „Reichslande" ist dem Reiche ein umtarisches Element eingefügt worden.
Über diese Bestimmung der wiedergewonnenen Gebiete war im Grunde schon
während des Krieges mit Frankreich entschieden, als die Anschauungen über die
künftige Gestaltung Deutschlands im bundesstaatlichen oder unitarischen Sinne
noch stark auseinandergingen. Elsaß-Lothringen sollte jedenfalls dem zu schaffenden
Deutschen Reiche so angehören, als ob dieses Einheitsstaat sei. Und es ist das
Reich, auf der Grundlage der deutschen Einzelstaaten als Bundesstaat errichtet,
doch im Hinblick auf Elsaß-Lothringen Einheitsstaat geworden. Für beide
Seiten seines Wesens hat es den gleichen Souverän: die Gesamtheit der ver¬
bündeten Regierungen. In dieser Doppelnatur des Reiches als Bundesstaat
über den Staaten und als das Reichsland beherrschender Einheitsstaat liegt
der Schlüssel zur Erkenntnis der staatsrechtlichen Natur Elsaß. Lothringens.
Das Land ist Objekt der Reichsgewalt: als freies Geschenk des Reiches sind
ihm Selbstverwaltung und Autonomie gewährt worden. Man hat die elsa߬
lothringische Frage als staatsrechtliches und politisches Problem viel zu sehr


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[0411] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande Die gleiche Ausdrucksweise wird auch sonst gewählt, um gesetzlichen Be¬ stimmungen, die auf die Znsammensetzung des Reiches aus Einzelstaaten zu¬ geschnitten sind, die Anwendung auf Elsaß-Lothringen zu vermitteln. So in der Reichsverfassung selbst, Art. 6a: „Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des Art. 6 Abs. 2 und der Art. 7 und 8 als Bundesstaat." Diese Fassung, zumal i-l der Beschränkung auf die hier gewährten, den Bundesstaaten zustehenden Rechte, läßt deutlich erkennen, daß die Reichsverfassung das Reichsland nicht als Bundesstaat ansteht. Besteht hiernach Staatseigenschaft für Elsaß-Lothringen nicht, so genießt das Land doch nach Art eines höheren Kommunalverbandes sehr bedeutsamer öffentlichrechtlicher Gerechtsame. Es besitzt ein erhebliches Maß selbständiger Finanzverwaltung. Das bei der Einverleibung vorhandene, dem Reiche zugefallene französische Staatsgut blieb Elsaß-Lothringen für seine besonderen Zwecke überlassen. Dem Reichs- stZkus steht ein Landesfiskus gegenüber; daß der letztere Ausdruck in bezug auf einen Nichtstaat nicht ganz genau ist, wird nicht übersehen. Elsaß-Lothringen ist Rechtssubjekt, Träger publizistischer und privatrechtlicher Vermögensrechte, hat die Fähigkeit. Schulden zu haben und zu begründen. Die Landeskasse trägt die Kosten der Landesverwaltung. Wie in den Bundesstaaten wird der Landeshaushaltsetat durch Gesetz. Reichslandsgesetz, festgestellt. Mit weit¬ gehender Selbstverwaltung und Autonomie verknüpft sich das vom Reiche dem Lande verliehene Recht der Besteuerung. Gewiß ein Anklang an staatliche Selbständigkeit; für die rechtliche Betrachtung aber gibt den Ausschlag, daß diese Gewalt auf entziehbarer Bewilligung durch das Reich beruht. Nicht Staat ist das Reichsland, da ihm die staatlichen Hoheitsrechte fehlen, vielmehr reichsunterworfener Selbstverwaltungskörper mit autonomer Berechtigung. Im „Reichslande" ist dem Reiche ein umtarisches Element eingefügt worden. Über diese Bestimmung der wiedergewonnenen Gebiete war im Grunde schon während des Krieges mit Frankreich entschieden, als die Anschauungen über die künftige Gestaltung Deutschlands im bundesstaatlichen oder unitarischen Sinne noch stark auseinandergingen. Elsaß-Lothringen sollte jedenfalls dem zu schaffenden Deutschen Reiche so angehören, als ob dieses Einheitsstaat sei. Und es ist das Reich, auf der Grundlage der deutschen Einzelstaaten als Bundesstaat errichtet, doch im Hinblick auf Elsaß-Lothringen Einheitsstaat geworden. Für beide Seiten seines Wesens hat es den gleichen Souverän: die Gesamtheit der ver¬ bündeten Regierungen. In dieser Doppelnatur des Reiches als Bundesstaat über den Staaten und als das Reichsland beherrschender Einheitsstaat liegt der Schlüssel zur Erkenntnis der staatsrechtlichen Natur Elsaß. Lothringens. Das Land ist Objekt der Reichsgewalt: als freies Geschenk des Reiches sind ihm Selbstverwaltung und Autonomie gewährt worden. Man hat die elsa߬ lothringische Frage als staatsrechtliches und politisches Problem viel zu sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/411>, abgerufen am 01.07.2024.