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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

daher, soweit die Verantwortlichkeit des Statthalters in Anspruch genommen
wird, diesem immer frei, auch in dieser Beziehung durch den Staatssekretär sich
vertreten zu lassen.

Konstitutionelle Verantwortlichkeit des Staatssekretärs, des Präsidenten des
elsaß-Iothringischen Landesministeriums, ja des einzigen wirklichen Landesministers
unter dem Statthalter, gegenüber der autonomen .Körperschaft ist in zweifacher
Beziehung begründet: infolge Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen
des Statthalters kraft übertragener landesherrlicher Befugnis, Art. II. § 3 Abs. 2
der Verfassung, und soweit er als Vertreter des Statthalters tätig geworden
ist. Art. II. § 4 Abs. 1 Verfassung.

Der Reichskanzler endlich ist dem Reichstag sür ti? Amtsführung des
Statthalters insofern verantwortlich, als er sür dessen Ernennung durch Gegen¬
zeichnung der Kaiserlichen Verfügung die Garantie übernommen hat.

Erhebliche staatsrechtliche Bedeutung hat die Verantwortlichkeitsfrage nicht,
da das Institut der Ministerverantwortlichkeit weder im Reiche, noch in Elsaß-
Lothringen die dem konstitutionellen Prinzip entsprechende Ausprägung erhalten
hat (ob mit Recht oder Unrecht nicht, bleibe dahingestellt).


VI.

Elsaß-Lothringen führt seit der Verfassung von 1911 drei Stimmen
im Bundesrat. Dem Reichslande ist damit eine Berechtigung zuteil geworden,
die nach der Reichsverfassung nur den Reichsstaaten zustand. Die Vorstufe zu
dieser Gleichstellung war die Ermächtigung des Statthalters in Z 7 der Ver¬
fassung von 1879, bei Vorlagen aus dem Bereich der Landesgesetzgebung oder
doch von besonderem Bezug auf Landesinteressen Kommissare zu den Verhand¬
lungen des Bundesrath mit beratender Stimme abzuordnen. Mit einer so be¬
schränkten Mitwirkung aber gab man sich im Reichslande nicht zufrieden; das
immer stärker sich regende Streben nach Selbständigkeit des Landes gipfelte in
dem Verlangen vollen Stimmrechts im Bundesrate und der Ausscheidung des
Reichstags aus der Landesgesetzgebung. Auch der Reichstag trat, für diese
Forderungen ein; den Widerstreit der Stimmberechtigung mit dem Wesen des
Reichslandes und den Interessen des Reiches erkannte man nicht.

Das Ziel ist in beiden Beziehungen nicht ganz erreicht, aber es sind doch
dem elsaß-lothringischen Begehren sehr weitgehende Zugeständnisse gemacht worden.

Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen hat sich seit geraumer Zeit
nach steter Übung ganz als Reichslandgesetzgebung entwickelt. Nicht die
gesetzgebenden Faktoren des Reiches, nur die des Landes sind in Tätigkeit ge¬
treten. Immerhin bleiben -- eine politische Waffe der Reichsregierung von
unverkennbarem Werte! -- Reichsteilgesetze rechtlich zulässig.

Das Stimmrecht im Bundesrat wird im Art. 6 a der Reichsverfassung,
eingestellt durch Art. I des elsaß-lothringischen Verfassungsgesetzes von 1911,
nur gewährt, solange bestimmte Vorschriften der Landesverfassung -- Art. H
§ 1, Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen durch den Kaiser, Art. II
§ 2, Bestehen von Statthaltern auf Grund kaiserlicher Ernennung an der Spitze


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

daher, soweit die Verantwortlichkeit des Statthalters in Anspruch genommen
wird, diesem immer frei, auch in dieser Beziehung durch den Staatssekretär sich
vertreten zu lassen.

Konstitutionelle Verantwortlichkeit des Staatssekretärs, des Präsidenten des
elsaß-Iothringischen Landesministeriums, ja des einzigen wirklichen Landesministers
unter dem Statthalter, gegenüber der autonomen .Körperschaft ist in zweifacher
Beziehung begründet: infolge Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen
des Statthalters kraft übertragener landesherrlicher Befugnis, Art. II. § 3 Abs. 2
der Verfassung, und soweit er als Vertreter des Statthalters tätig geworden
ist. Art. II. § 4 Abs. 1 Verfassung.

Der Reichskanzler endlich ist dem Reichstag sür ti? Amtsführung des
Statthalters insofern verantwortlich, als er sür dessen Ernennung durch Gegen¬
zeichnung der Kaiserlichen Verfügung die Garantie übernommen hat.

Erhebliche staatsrechtliche Bedeutung hat die Verantwortlichkeitsfrage nicht,
da das Institut der Ministerverantwortlichkeit weder im Reiche, noch in Elsaß-
Lothringen die dem konstitutionellen Prinzip entsprechende Ausprägung erhalten
hat (ob mit Recht oder Unrecht nicht, bleibe dahingestellt).


VI.

Elsaß-Lothringen führt seit der Verfassung von 1911 drei Stimmen
im Bundesrat. Dem Reichslande ist damit eine Berechtigung zuteil geworden,
die nach der Reichsverfassung nur den Reichsstaaten zustand. Die Vorstufe zu
dieser Gleichstellung war die Ermächtigung des Statthalters in Z 7 der Ver¬
fassung von 1879, bei Vorlagen aus dem Bereich der Landesgesetzgebung oder
doch von besonderem Bezug auf Landesinteressen Kommissare zu den Verhand¬
lungen des Bundesrath mit beratender Stimme abzuordnen. Mit einer so be¬
schränkten Mitwirkung aber gab man sich im Reichslande nicht zufrieden; das
immer stärker sich regende Streben nach Selbständigkeit des Landes gipfelte in
dem Verlangen vollen Stimmrechts im Bundesrate und der Ausscheidung des
Reichstags aus der Landesgesetzgebung. Auch der Reichstag trat, für diese
Forderungen ein; den Widerstreit der Stimmberechtigung mit dem Wesen des
Reichslandes und den Interessen des Reiches erkannte man nicht.

Das Ziel ist in beiden Beziehungen nicht ganz erreicht, aber es sind doch
dem elsaß-lothringischen Begehren sehr weitgehende Zugeständnisse gemacht worden.

Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen hat sich seit geraumer Zeit
nach steter Übung ganz als Reichslandgesetzgebung entwickelt. Nicht die
gesetzgebenden Faktoren des Reiches, nur die des Landes sind in Tätigkeit ge¬
treten. Immerhin bleiben — eine politische Waffe der Reichsregierung von
unverkennbarem Werte! — Reichsteilgesetze rechtlich zulässig.

Das Stimmrecht im Bundesrat wird im Art. 6 a der Reichsverfassung,
eingestellt durch Art. I des elsaß-lothringischen Verfassungsgesetzes von 1911,
nur gewährt, solange bestimmte Vorschriften der Landesverfassung — Art. H
§ 1, Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen durch den Kaiser, Art. II
§ 2, Bestehen von Statthaltern auf Grund kaiserlicher Ernennung an der Spitze


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[0406] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande daher, soweit die Verantwortlichkeit des Statthalters in Anspruch genommen wird, diesem immer frei, auch in dieser Beziehung durch den Staatssekretär sich vertreten zu lassen. Konstitutionelle Verantwortlichkeit des Staatssekretärs, des Präsidenten des elsaß-Iothringischen Landesministeriums, ja des einzigen wirklichen Landesministers unter dem Statthalter, gegenüber der autonomen .Körperschaft ist in zweifacher Beziehung begründet: infolge Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen des Statthalters kraft übertragener landesherrlicher Befugnis, Art. II. § 3 Abs. 2 der Verfassung, und soweit er als Vertreter des Statthalters tätig geworden ist. Art. II. § 4 Abs. 1 Verfassung. Der Reichskanzler endlich ist dem Reichstag sür ti? Amtsführung des Statthalters insofern verantwortlich, als er sür dessen Ernennung durch Gegen¬ zeichnung der Kaiserlichen Verfügung die Garantie übernommen hat. Erhebliche staatsrechtliche Bedeutung hat die Verantwortlichkeitsfrage nicht, da das Institut der Ministerverantwortlichkeit weder im Reiche, noch in Elsaß- Lothringen die dem konstitutionellen Prinzip entsprechende Ausprägung erhalten hat (ob mit Recht oder Unrecht nicht, bleibe dahingestellt). VI. Elsaß-Lothringen führt seit der Verfassung von 1911 drei Stimmen im Bundesrat. Dem Reichslande ist damit eine Berechtigung zuteil geworden, die nach der Reichsverfassung nur den Reichsstaaten zustand. Die Vorstufe zu dieser Gleichstellung war die Ermächtigung des Statthalters in Z 7 der Ver¬ fassung von 1879, bei Vorlagen aus dem Bereich der Landesgesetzgebung oder doch von besonderem Bezug auf Landesinteressen Kommissare zu den Verhand¬ lungen des Bundesrath mit beratender Stimme abzuordnen. Mit einer so be¬ schränkten Mitwirkung aber gab man sich im Reichslande nicht zufrieden; das immer stärker sich regende Streben nach Selbständigkeit des Landes gipfelte in dem Verlangen vollen Stimmrechts im Bundesrate und der Ausscheidung des Reichstags aus der Landesgesetzgebung. Auch der Reichstag trat, für diese Forderungen ein; den Widerstreit der Stimmberechtigung mit dem Wesen des Reichslandes und den Interessen des Reiches erkannte man nicht. Das Ziel ist in beiden Beziehungen nicht ganz erreicht, aber es sind doch dem elsaß-lothringischen Begehren sehr weitgehende Zugeständnisse gemacht worden. Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen hat sich seit geraumer Zeit nach steter Übung ganz als Reichslandgesetzgebung entwickelt. Nicht die gesetzgebenden Faktoren des Reiches, nur die des Landes sind in Tätigkeit ge¬ treten. Immerhin bleiben — eine politische Waffe der Reichsregierung von unverkennbarem Werte! — Reichsteilgesetze rechtlich zulässig. Das Stimmrecht im Bundesrat wird im Art. 6 a der Reichsverfassung, eingestellt durch Art. I des elsaß-lothringischen Verfassungsgesetzes von 1911, nur gewährt, solange bestimmte Vorschriften der Landesverfassung — Art. H § 1, Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen durch den Kaiser, Art. II § 2, Bestehen von Statthaltern auf Grund kaiserlicher Ernennung an der Spitze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/406>, abgerufen am 01.07.2024.