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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Tandesverfaffnng im Reichslande

niederen Stelle ist unter deren Beibehaltung mit der Vertretung des Vorgesetzten
beauftragt usw.

Der Statthalter, der Staatssekretär, die Ministerialvorstände, überhaupt
alle Staatsbeamten in Elsaß-Lothringen sind Reichsbeamte; von Besonderheiten
bei der Anwendung des Reichsbeamtengesetzes auf sie kann abgesehen werden.
Dienstherr aller dieser Beamten ist das Reich. Es gibt nicht eine von der
Reichsgewalt verschiedene Landesstaatsgewalt, zu der sie im Dienstverhältnis
stehen könnten. Sie sind vom Reiche als Beamte gesetzt einem Reichsten, der
seit 1877 Autonomie hat, aber sie sind nicht Organe des autonomen Verbandes
(der zunächst im Landesausschusse gegeben war, seit 1911 durch den elsa߬
lothringischen Landtag gebildet wird). Daran ändert sich nichts durch die Tat¬
sache, daß ein Teil dieser Beamten, der Statthalter, Staatssekretär, die
Ministerial-Vorstände usw., berufen ist, zugleich die Interessen der Landes-
Autonomie wahrzunehmen, soweit sie mit den Reichsinteressen vereinbar sind.

Der Statthalter endlich ist nicht nur Beamter, übt vielmehr, soweit der
Kaiser ihn damit betraut hat. zugleich landesherrliche Befugnisse aus.

Insofern besteht eine konstitutionelle Verantwortlichkeit des Statthalters
zweifellos nicht, während er in aller und jeder Hinsicht dem Kaiser, der ihm
Amt und Gewalt übertragen hat, in dessen Auftrag er tätig wird, verantwortlich
ist"). Zum Reichstage steht der Statthalter nicht in staatsrechtlicher Beziehung,
denn die Reichsgewalt hat ihn kraft des ihr zustehenden landesherrlichen Rechts
über Elsaß-Lothringen, nicht in Ausübung des Reichsregiments eingesetzt. Sonach
kann er dem Reichstage ebenso wenig haftbar sein als der preußische, bayerische
Ministerpräsident.

Dem elsaß-lothringischen Landtage gegenüber ist der Statthalter verant¬
wortlich auf Grund der Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen
des Kaisers. Art. II. Z 2 Abs. 4 der Verfassung von 1911. und sür die sonst
von ihm vorgenommenen ministeriellen Amtshandlungen. Demgemäß hat er
das Recht, vor dem Landtage zu erscheinen und in den Verhandlungen das
Wort zu nehmen; Art. II, § 17 der Verfassung von 1911 berechtigt dazu aus¬
drücklich zwar nur die Mitglieder des Ministeriums, aber wegen der ihm ob¬
liegenden Verantwortlichkeit muß auch dem Statthalter diese Möglichkeit gegeben
sein. Eine entsprechende Pflicht des Statthalters jedoch kann bei dem völligen
Schweigen dieser Verfassungsbestimmung über ihn gewiß nicht angenommen
werden, zumal wenn man einerseits die ihm verliehene gehobene, durch Über¬
tragung landesherrlicher Befugnisse ausgezeichnete Stellung, andererseits die bloß
autonomische. beschränkte, prekaristische Befugnis des Landtags bedenkt. Es steht



*) Dies gilt auch für die Ausübung des dem Statthalter landesverfassungsmäßig
(Art. IIZ 2 Abs. 2 Verfassung von 1911) zustehenden Rechts, die in Elsaß-Lothringen stehenden
Truppen zu polizeilichen Zwecken in Anspruch zu nehmen. Schon darin liegt ein wesentlicher
Unterschied dieser Befugnis von dem äußerlich gleichgestalteten Rechte der Bundesfürsten nach
Art. 66 Reichsverfassung,
Reichsgewalt und Tandesverfaffnng im Reichslande

niederen Stelle ist unter deren Beibehaltung mit der Vertretung des Vorgesetzten
beauftragt usw.

Der Statthalter, der Staatssekretär, die Ministerialvorstände, überhaupt
alle Staatsbeamten in Elsaß-Lothringen sind Reichsbeamte; von Besonderheiten
bei der Anwendung des Reichsbeamtengesetzes auf sie kann abgesehen werden.
Dienstherr aller dieser Beamten ist das Reich. Es gibt nicht eine von der
Reichsgewalt verschiedene Landesstaatsgewalt, zu der sie im Dienstverhältnis
stehen könnten. Sie sind vom Reiche als Beamte gesetzt einem Reichsten, der
seit 1877 Autonomie hat, aber sie sind nicht Organe des autonomen Verbandes
(der zunächst im Landesausschusse gegeben war, seit 1911 durch den elsa߬
lothringischen Landtag gebildet wird). Daran ändert sich nichts durch die Tat¬
sache, daß ein Teil dieser Beamten, der Statthalter, Staatssekretär, die
Ministerial-Vorstände usw., berufen ist, zugleich die Interessen der Landes-
Autonomie wahrzunehmen, soweit sie mit den Reichsinteressen vereinbar sind.

Der Statthalter endlich ist nicht nur Beamter, übt vielmehr, soweit der
Kaiser ihn damit betraut hat. zugleich landesherrliche Befugnisse aus.

Insofern besteht eine konstitutionelle Verantwortlichkeit des Statthalters
zweifellos nicht, während er in aller und jeder Hinsicht dem Kaiser, der ihm
Amt und Gewalt übertragen hat, in dessen Auftrag er tätig wird, verantwortlich
ist"). Zum Reichstage steht der Statthalter nicht in staatsrechtlicher Beziehung,
denn die Reichsgewalt hat ihn kraft des ihr zustehenden landesherrlichen Rechts
über Elsaß-Lothringen, nicht in Ausübung des Reichsregiments eingesetzt. Sonach
kann er dem Reichstage ebenso wenig haftbar sein als der preußische, bayerische
Ministerpräsident.

Dem elsaß-lothringischen Landtage gegenüber ist der Statthalter verant¬
wortlich auf Grund der Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen
des Kaisers. Art. II. Z 2 Abs. 4 der Verfassung von 1911. und sür die sonst
von ihm vorgenommenen ministeriellen Amtshandlungen. Demgemäß hat er
das Recht, vor dem Landtage zu erscheinen und in den Verhandlungen das
Wort zu nehmen; Art. II, § 17 der Verfassung von 1911 berechtigt dazu aus¬
drücklich zwar nur die Mitglieder des Ministeriums, aber wegen der ihm ob¬
liegenden Verantwortlichkeit muß auch dem Statthalter diese Möglichkeit gegeben
sein. Eine entsprechende Pflicht des Statthalters jedoch kann bei dem völligen
Schweigen dieser Verfassungsbestimmung über ihn gewiß nicht angenommen
werden, zumal wenn man einerseits die ihm verliehene gehobene, durch Über¬
tragung landesherrlicher Befugnisse ausgezeichnete Stellung, andererseits die bloß
autonomische. beschränkte, prekaristische Befugnis des Landtags bedenkt. Es steht



*) Dies gilt auch für die Ausübung des dem Statthalter landesverfassungsmäßig
(Art. IIZ 2 Abs. 2 Verfassung von 1911) zustehenden Rechts, die in Elsaß-Lothringen stehenden
Truppen zu polizeilichen Zwecken in Anspruch zu nehmen. Schon darin liegt ein wesentlicher
Unterschied dieser Befugnis von dem äußerlich gleichgestalteten Rechte der Bundesfürsten nach
Art. 66 Reichsverfassung,
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[0405] Reichsgewalt und Tandesverfaffnng im Reichslande niederen Stelle ist unter deren Beibehaltung mit der Vertretung des Vorgesetzten beauftragt usw. Der Statthalter, der Staatssekretär, die Ministerialvorstände, überhaupt alle Staatsbeamten in Elsaß-Lothringen sind Reichsbeamte; von Besonderheiten bei der Anwendung des Reichsbeamtengesetzes auf sie kann abgesehen werden. Dienstherr aller dieser Beamten ist das Reich. Es gibt nicht eine von der Reichsgewalt verschiedene Landesstaatsgewalt, zu der sie im Dienstverhältnis stehen könnten. Sie sind vom Reiche als Beamte gesetzt einem Reichsten, der seit 1877 Autonomie hat, aber sie sind nicht Organe des autonomen Verbandes (der zunächst im Landesausschusse gegeben war, seit 1911 durch den elsa߬ lothringischen Landtag gebildet wird). Daran ändert sich nichts durch die Tat¬ sache, daß ein Teil dieser Beamten, der Statthalter, Staatssekretär, die Ministerial-Vorstände usw., berufen ist, zugleich die Interessen der Landes- Autonomie wahrzunehmen, soweit sie mit den Reichsinteressen vereinbar sind. Der Statthalter endlich ist nicht nur Beamter, übt vielmehr, soweit der Kaiser ihn damit betraut hat. zugleich landesherrliche Befugnisse aus. Insofern besteht eine konstitutionelle Verantwortlichkeit des Statthalters zweifellos nicht, während er in aller und jeder Hinsicht dem Kaiser, der ihm Amt und Gewalt übertragen hat, in dessen Auftrag er tätig wird, verantwortlich ist"). Zum Reichstage steht der Statthalter nicht in staatsrechtlicher Beziehung, denn die Reichsgewalt hat ihn kraft des ihr zustehenden landesherrlichen Rechts über Elsaß-Lothringen, nicht in Ausübung des Reichsregiments eingesetzt. Sonach kann er dem Reichstage ebenso wenig haftbar sein als der preußische, bayerische Ministerpräsident. Dem elsaß-lothringischen Landtage gegenüber ist der Statthalter verant¬ wortlich auf Grund der Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen des Kaisers. Art. II. Z 2 Abs. 4 der Verfassung von 1911. und sür die sonst von ihm vorgenommenen ministeriellen Amtshandlungen. Demgemäß hat er das Recht, vor dem Landtage zu erscheinen und in den Verhandlungen das Wort zu nehmen; Art. II, § 17 der Verfassung von 1911 berechtigt dazu aus¬ drücklich zwar nur die Mitglieder des Ministeriums, aber wegen der ihm ob¬ liegenden Verantwortlichkeit muß auch dem Statthalter diese Möglichkeit gegeben sein. Eine entsprechende Pflicht des Statthalters jedoch kann bei dem völligen Schweigen dieser Verfassungsbestimmung über ihn gewiß nicht angenommen werden, zumal wenn man einerseits die ihm verliehene gehobene, durch Über¬ tragung landesherrlicher Befugnisse ausgezeichnete Stellung, andererseits die bloß autonomische. beschränkte, prekaristische Befugnis des Landtags bedenkt. Es steht *) Dies gilt auch für die Ausübung des dem Statthalter landesverfassungsmäßig (Art. IIZ 2 Abs. 2 Verfassung von 1911) zustehenden Rechts, die in Elsaß-Lothringen stehenden Truppen zu polizeilichen Zwecken in Anspruch zu nehmen. Schon darin liegt ein wesentlicher Unterschied dieser Befugnis von dem äußerlich gleichgestalteten Rechte der Bundesfürsten nach Art. 66 Reichsverfassung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/405>, abgerufen am 01.07.2024.