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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

Eigenschaft bedürfen der Gegenzeichnung durch den Staatssekretär; für andere
Angelegenheiten ist dieser zur verantwortlichen Vertretung des Statthalters
berufen.

Unter dem Statthalter autel ein elsaß-lothringisches Ministerium mit dem
Staatssekretär als Vorstand, Z 3 der Verfassung von 1879. Im Grunde aber
ist allein der Staatssekretär als "Minister" zu betrachten, denn nur ihn trifft
politische Verantwortlichkeit, die Vertreter der Ministerialabteilungen sind ihm
zum Gehorsam verpflichtet.

Diese Organisation ist ohne wesentliche Änderung im neuen Verfassungs¬
gesetze von 1911 beibehalten worden.

Der elsaß-lothringische Staatsrat, in der Verfassung von 1879 zur Begut¬
achtung von Gesetzentwürfen geschaffen, hat nur noch geschichtliches Interesse,
die neue Verfassung von 1911 kennt ihn nicht mehr.

Die Kaiserlichen Verfügungen und die Reichslandgesetze werden vom Statt¬
halter gegengezeichnet. Die Ernennung eines solchen ist daher nicht nur Recht,
sondern Pflicht des Kaisers. Der Statthalter ist, seiner eigentümlichen Doppel¬
stellung entsprechend, einerseits zur Gegenzeichnung berufen, andererseits im
Bereiche der ihm übertragenen landesherrlichen Befugnisse an fremde Gegen¬
zeichnung gebunden.

Soweit er zu landesherrlichen Erlassen berechtigt ist, steht er an Kaisers
Statt, während sein Machtgeber, der Kaiser, die eigene Gewalt und mit ihr
das Recht zur Übertragung vom Reiche empfangen hat.

Werden ausnahmsweise Reichsteilgesetze für das Reichsland erlassen, so
hat nicht etwa der Statthalter, weil er materiell als Reichskanzler für Elsaß-
Lothringen zu erachten ist, gegenzuzeichnen, denn der "Reichskanzler", dem nach
der Reichsverfassung die Gegenzeichnung aller Reichsgesetze obliegt, ist nicht er,
vielmehr der mit Wahrung der Gesamtinteressen des Reiches, nach außen und
innen, auch im Hinblick aus das Reichsland betraute Reichsminister, der als
"Reichskanzler" berufen und so benannt ist.

Für den gleichen Kreis von Angelegenheiten, wie die Einzelstaaten, unter¬
liegt auch das Reichsland der Beaufsichtigung seitens des Reiches, Art. 4 Reichs¬
verfassung. Der Kaiser überwacht durch den Reichskanzler die Ausführung der
Reichsgesetze im ganzen Reichsgebiet, Art. 17 Reichsverfassung. Das bedeutet
für das Reichsland nicht eine -- persönlich gerichtete -- Beaufsichtigung des
Statthalters durch den Reichskanzler, sondern eine Unterordnung der "Landes¬
staatsgewalt" in Elsaß-Lothringen unter die Reichsgewalt. Das Eigentümliche
der Rechtslage gegenüber dem Verhältnis des Reiches zu den Bundesstaaten
liegt darin, daß die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen selbst Reichsgewalt ist.
Der Kaiser in Ausübung des Aufsichtsrechts kraft allgemeiner Reichsgewalt ist
sich selbst als dem Repräsentanten der Reichsgewalt in Elsaß-Lothringen über¬
geordnet. Zum Vergleich mag dienen die nicht selten eintretende Vereinigung
einer höheren und niederen Beamtung in derselben Person: der Inhaber einer


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

Eigenschaft bedürfen der Gegenzeichnung durch den Staatssekretär; für andere
Angelegenheiten ist dieser zur verantwortlichen Vertretung des Statthalters
berufen.

Unter dem Statthalter autel ein elsaß-lothringisches Ministerium mit dem
Staatssekretär als Vorstand, Z 3 der Verfassung von 1879. Im Grunde aber
ist allein der Staatssekretär als „Minister" zu betrachten, denn nur ihn trifft
politische Verantwortlichkeit, die Vertreter der Ministerialabteilungen sind ihm
zum Gehorsam verpflichtet.

Diese Organisation ist ohne wesentliche Änderung im neuen Verfassungs¬
gesetze von 1911 beibehalten worden.

Der elsaß-lothringische Staatsrat, in der Verfassung von 1879 zur Begut¬
achtung von Gesetzentwürfen geschaffen, hat nur noch geschichtliches Interesse,
die neue Verfassung von 1911 kennt ihn nicht mehr.

Die Kaiserlichen Verfügungen und die Reichslandgesetze werden vom Statt¬
halter gegengezeichnet. Die Ernennung eines solchen ist daher nicht nur Recht,
sondern Pflicht des Kaisers. Der Statthalter ist, seiner eigentümlichen Doppel¬
stellung entsprechend, einerseits zur Gegenzeichnung berufen, andererseits im
Bereiche der ihm übertragenen landesherrlichen Befugnisse an fremde Gegen¬
zeichnung gebunden.

Soweit er zu landesherrlichen Erlassen berechtigt ist, steht er an Kaisers
Statt, während sein Machtgeber, der Kaiser, die eigene Gewalt und mit ihr
das Recht zur Übertragung vom Reiche empfangen hat.

Werden ausnahmsweise Reichsteilgesetze für das Reichsland erlassen, so
hat nicht etwa der Statthalter, weil er materiell als Reichskanzler für Elsaß-
Lothringen zu erachten ist, gegenzuzeichnen, denn der „Reichskanzler", dem nach
der Reichsverfassung die Gegenzeichnung aller Reichsgesetze obliegt, ist nicht er,
vielmehr der mit Wahrung der Gesamtinteressen des Reiches, nach außen und
innen, auch im Hinblick aus das Reichsland betraute Reichsminister, der als
„Reichskanzler" berufen und so benannt ist.

Für den gleichen Kreis von Angelegenheiten, wie die Einzelstaaten, unter¬
liegt auch das Reichsland der Beaufsichtigung seitens des Reiches, Art. 4 Reichs¬
verfassung. Der Kaiser überwacht durch den Reichskanzler die Ausführung der
Reichsgesetze im ganzen Reichsgebiet, Art. 17 Reichsverfassung. Das bedeutet
für das Reichsland nicht eine — persönlich gerichtete — Beaufsichtigung des
Statthalters durch den Reichskanzler, sondern eine Unterordnung der „Landes¬
staatsgewalt" in Elsaß-Lothringen unter die Reichsgewalt. Das Eigentümliche
der Rechtslage gegenüber dem Verhältnis des Reiches zu den Bundesstaaten
liegt darin, daß die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen selbst Reichsgewalt ist.
Der Kaiser in Ausübung des Aufsichtsrechts kraft allgemeiner Reichsgewalt ist
sich selbst als dem Repräsentanten der Reichsgewalt in Elsaß-Lothringen über¬
geordnet. Zum Vergleich mag dienen die nicht selten eintretende Vereinigung
einer höheren und niederen Beamtung in derselben Person: der Inhaber einer


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[0404] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande Eigenschaft bedürfen der Gegenzeichnung durch den Staatssekretär; für andere Angelegenheiten ist dieser zur verantwortlichen Vertretung des Statthalters berufen. Unter dem Statthalter autel ein elsaß-lothringisches Ministerium mit dem Staatssekretär als Vorstand, Z 3 der Verfassung von 1879. Im Grunde aber ist allein der Staatssekretär als „Minister" zu betrachten, denn nur ihn trifft politische Verantwortlichkeit, die Vertreter der Ministerialabteilungen sind ihm zum Gehorsam verpflichtet. Diese Organisation ist ohne wesentliche Änderung im neuen Verfassungs¬ gesetze von 1911 beibehalten worden. Der elsaß-lothringische Staatsrat, in der Verfassung von 1879 zur Begut¬ achtung von Gesetzentwürfen geschaffen, hat nur noch geschichtliches Interesse, die neue Verfassung von 1911 kennt ihn nicht mehr. Die Kaiserlichen Verfügungen und die Reichslandgesetze werden vom Statt¬ halter gegengezeichnet. Die Ernennung eines solchen ist daher nicht nur Recht, sondern Pflicht des Kaisers. Der Statthalter ist, seiner eigentümlichen Doppel¬ stellung entsprechend, einerseits zur Gegenzeichnung berufen, andererseits im Bereiche der ihm übertragenen landesherrlichen Befugnisse an fremde Gegen¬ zeichnung gebunden. Soweit er zu landesherrlichen Erlassen berechtigt ist, steht er an Kaisers Statt, während sein Machtgeber, der Kaiser, die eigene Gewalt und mit ihr das Recht zur Übertragung vom Reiche empfangen hat. Werden ausnahmsweise Reichsteilgesetze für das Reichsland erlassen, so hat nicht etwa der Statthalter, weil er materiell als Reichskanzler für Elsaß- Lothringen zu erachten ist, gegenzuzeichnen, denn der „Reichskanzler", dem nach der Reichsverfassung die Gegenzeichnung aller Reichsgesetze obliegt, ist nicht er, vielmehr der mit Wahrung der Gesamtinteressen des Reiches, nach außen und innen, auch im Hinblick aus das Reichsland betraute Reichsminister, der als „Reichskanzler" berufen und so benannt ist. Für den gleichen Kreis von Angelegenheiten, wie die Einzelstaaten, unter¬ liegt auch das Reichsland der Beaufsichtigung seitens des Reiches, Art. 4 Reichs¬ verfassung. Der Kaiser überwacht durch den Reichskanzler die Ausführung der Reichsgesetze im ganzen Reichsgebiet, Art. 17 Reichsverfassung. Das bedeutet für das Reichsland nicht eine — persönlich gerichtete — Beaufsichtigung des Statthalters durch den Reichskanzler, sondern eine Unterordnung der „Landes¬ staatsgewalt" in Elsaß-Lothringen unter die Reichsgewalt. Das Eigentümliche der Rechtslage gegenüber dem Verhältnis des Reiches zu den Bundesstaaten liegt darin, daß die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen selbst Reichsgewalt ist. Der Kaiser in Ausübung des Aufsichtsrechts kraft allgemeiner Reichsgewalt ist sich selbst als dem Repräsentanten der Reichsgewalt in Elsaß-Lothringen über¬ geordnet. Zum Vergleich mag dienen die nicht selten eintretende Vereinigung einer höheren und niederen Beamtung in derselben Person: der Inhaber einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/404>, abgerufen am 29.06.2024.