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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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vom polnischen Bauplatz

macht die polnische Presse in ihren Kommentaren Andeutungen über unzerreißbare
Beziehungen, die zwischen Warschau und Wien angeknüpft seien, daß man aus
ihnen auf eine volle Verständigung zwischen Berlin und Wien nicht schließen
darf*).

Konnte solche Einigung nicht erzielt werden, so mußte alles bleiben wie
es vor der Einnahme von Warschau war und wie es noch bis in die jüngste
Zeit in Litauen und Kurland gewesen: das Land Polen mußte ausschließlich
nach militärischen Gesichtspunkten verwaltet werden als eroberte russische Provinz.
Das hätte der Haltung der Polen, ihren Wünschen und unseren Interessen am
besten entsprochen. Eine militärische Verwaltung hätte uns nicht gehindert in
Schule und Kirchenfragen, ebenso wie in der Presse eine Kulturpolitik zu treiben,
die eine innere Loslösung der Polen von dem großen Moskaner Staatsgedanken
anbahnen konnte. Das polnische Land hatten wir mit der Macht des Schwertes
erobert, das polnische Volk galt es zu gewinnen.

Zu Kriegszeiten ein fremdes Volk zu gewinnen, ist ein schwieriges, kaum
mögliches Unterfangen. Denn es fehlt die wichtigste Voraussetzung dafür: die
materielle Sicherstellung der Landeseinwohner. Die Liebe der Völker zu ihren
Regierungen geht nun einmal durch den Magen und gerade auf diesem Gebiete
mußten die Mittelmächte aus den bekannten Gründen versagen: die besetzten
Gebiete, erst 1914 und 1915 Schauplatz des hin und her wogenden Kampfes,
dann von den Russen ausgeplündert, müssen von uns ausgenutzt, nicht können
sie von uns versorgt werden. Der Pole aber war vor dem Kriege wirt¬
schaftlich verwöhnt und wenn ihm von unserer Seite gesagt wird, daß wir ihn
doch von Rußland befreit hätten, so antwortet er prompt und mit Recht: ich
bedanke mich für solche Befreiung! Bei Jnaugurierung des neuen Polenkurses
scheint man dieser elementaren Grundlage für Völkerfreundschaften nicht gedacht
und noch viel weniger die Bedeutung von Schule und Presse als Organ einer
Annäherungspolitik in Rechnung gestellt zu haben. Die Presse wurde nach
Einrichtung der Zivilverwaltung beim Generalgouvernement in Warschau geistig
mehr nach rein militärischen Gesichtspunkten eingeengt wie vorher, wo sie
eigentlich nur äußerlich militärisch organisiert war. Die Schule aber wurde
schrankenlos der Propaganda derer freigegeben, die seit Aussöhnung der National¬
demokraten mit dem russischen Staatsgedanken im Jahre 1908 das polnische
Denken beherrschten, als im Jahre 1916 der bekannte polnische Schulverein,
die s/lcülna, die Erlaubnis erhielt, das Volksschulwesen in die Hand

zu nehmen und einige Monate später ein Gnadenerlaß vielen hundert deutsch,
feindlichen Agitatoren, Lehrern, Geistlichen und Journalisten, die 1914/15
wegen ihrer Umtriebe gefangengesetzt worden waren, wieder den Weg in die
Dörfer öffnete.



') "Ziemia Lubelcka". Ludim. und "Gazeta Wieczorna", Lemberg, s. "Kreuzzeituno/
Ur. 477 vom 19. September 1917.
vom polnischen Bauplatz

macht die polnische Presse in ihren Kommentaren Andeutungen über unzerreißbare
Beziehungen, die zwischen Warschau und Wien angeknüpft seien, daß man aus
ihnen auf eine volle Verständigung zwischen Berlin und Wien nicht schließen
darf*).

Konnte solche Einigung nicht erzielt werden, so mußte alles bleiben wie
es vor der Einnahme von Warschau war und wie es noch bis in die jüngste
Zeit in Litauen und Kurland gewesen: das Land Polen mußte ausschließlich
nach militärischen Gesichtspunkten verwaltet werden als eroberte russische Provinz.
Das hätte der Haltung der Polen, ihren Wünschen und unseren Interessen am
besten entsprochen. Eine militärische Verwaltung hätte uns nicht gehindert in
Schule und Kirchenfragen, ebenso wie in der Presse eine Kulturpolitik zu treiben,
die eine innere Loslösung der Polen von dem großen Moskaner Staatsgedanken
anbahnen konnte. Das polnische Land hatten wir mit der Macht des Schwertes
erobert, das polnische Volk galt es zu gewinnen.

Zu Kriegszeiten ein fremdes Volk zu gewinnen, ist ein schwieriges, kaum
mögliches Unterfangen. Denn es fehlt die wichtigste Voraussetzung dafür: die
materielle Sicherstellung der Landeseinwohner. Die Liebe der Völker zu ihren
Regierungen geht nun einmal durch den Magen und gerade auf diesem Gebiete
mußten die Mittelmächte aus den bekannten Gründen versagen: die besetzten
Gebiete, erst 1914 und 1915 Schauplatz des hin und her wogenden Kampfes,
dann von den Russen ausgeplündert, müssen von uns ausgenutzt, nicht können
sie von uns versorgt werden. Der Pole aber war vor dem Kriege wirt¬
schaftlich verwöhnt und wenn ihm von unserer Seite gesagt wird, daß wir ihn
doch von Rußland befreit hätten, so antwortet er prompt und mit Recht: ich
bedanke mich für solche Befreiung! Bei Jnaugurierung des neuen Polenkurses
scheint man dieser elementaren Grundlage für Völkerfreundschaften nicht gedacht
und noch viel weniger die Bedeutung von Schule und Presse als Organ einer
Annäherungspolitik in Rechnung gestellt zu haben. Die Presse wurde nach
Einrichtung der Zivilverwaltung beim Generalgouvernement in Warschau geistig
mehr nach rein militärischen Gesichtspunkten eingeengt wie vorher, wo sie
eigentlich nur äußerlich militärisch organisiert war. Die Schule aber wurde
schrankenlos der Propaganda derer freigegeben, die seit Aussöhnung der National¬
demokraten mit dem russischen Staatsgedanken im Jahre 1908 das polnische
Denken beherrschten, als im Jahre 1916 der bekannte polnische Schulverein,
die s/lcülna, die Erlaubnis erhielt, das Volksschulwesen in die Hand

zu nehmen und einige Monate später ein Gnadenerlaß vielen hundert deutsch,
feindlichen Agitatoren, Lehrern, Geistlichen und Journalisten, die 1914/15
wegen ihrer Umtriebe gefangengesetzt worden waren, wieder den Weg in die
Dörfer öffnete.



') „Ziemia Lubelcka". Ludim. und „Gazeta Wieczorna", Lemberg, s. „Kreuzzeituno/
Ur. 477 vom 19. September 1917.
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[0401] vom polnischen Bauplatz macht die polnische Presse in ihren Kommentaren Andeutungen über unzerreißbare Beziehungen, die zwischen Warschau und Wien angeknüpft seien, daß man aus ihnen auf eine volle Verständigung zwischen Berlin und Wien nicht schließen darf*). Konnte solche Einigung nicht erzielt werden, so mußte alles bleiben wie es vor der Einnahme von Warschau war und wie es noch bis in die jüngste Zeit in Litauen und Kurland gewesen: das Land Polen mußte ausschließlich nach militärischen Gesichtspunkten verwaltet werden als eroberte russische Provinz. Das hätte der Haltung der Polen, ihren Wünschen und unseren Interessen am besten entsprochen. Eine militärische Verwaltung hätte uns nicht gehindert in Schule und Kirchenfragen, ebenso wie in der Presse eine Kulturpolitik zu treiben, die eine innere Loslösung der Polen von dem großen Moskaner Staatsgedanken anbahnen konnte. Das polnische Land hatten wir mit der Macht des Schwertes erobert, das polnische Volk galt es zu gewinnen. Zu Kriegszeiten ein fremdes Volk zu gewinnen, ist ein schwieriges, kaum mögliches Unterfangen. Denn es fehlt die wichtigste Voraussetzung dafür: die materielle Sicherstellung der Landeseinwohner. Die Liebe der Völker zu ihren Regierungen geht nun einmal durch den Magen und gerade auf diesem Gebiete mußten die Mittelmächte aus den bekannten Gründen versagen: die besetzten Gebiete, erst 1914 und 1915 Schauplatz des hin und her wogenden Kampfes, dann von den Russen ausgeplündert, müssen von uns ausgenutzt, nicht können sie von uns versorgt werden. Der Pole aber war vor dem Kriege wirt¬ schaftlich verwöhnt und wenn ihm von unserer Seite gesagt wird, daß wir ihn doch von Rußland befreit hätten, so antwortet er prompt und mit Recht: ich bedanke mich für solche Befreiung! Bei Jnaugurierung des neuen Polenkurses scheint man dieser elementaren Grundlage für Völkerfreundschaften nicht gedacht und noch viel weniger die Bedeutung von Schule und Presse als Organ einer Annäherungspolitik in Rechnung gestellt zu haben. Die Presse wurde nach Einrichtung der Zivilverwaltung beim Generalgouvernement in Warschau geistig mehr nach rein militärischen Gesichtspunkten eingeengt wie vorher, wo sie eigentlich nur äußerlich militärisch organisiert war. Die Schule aber wurde schrankenlos der Propaganda derer freigegeben, die seit Aussöhnung der National¬ demokraten mit dem russischen Staatsgedanken im Jahre 1908 das polnische Denken beherrschten, als im Jahre 1916 der bekannte polnische Schulverein, die s/lcülna, die Erlaubnis erhielt, das Volksschulwesen in die Hand zu nehmen und einige Monate später ein Gnadenerlaß vielen hundert deutsch, feindlichen Agitatoren, Lehrern, Geistlichen und Journalisten, die 1914/15 wegen ihrer Umtriebe gefangengesetzt worden waren, wieder den Weg in die Dörfer öffnete. ') „Ziemia Lubelcka". Ludim. und „Gazeta Wieczorna", Lemberg, s. „Kreuzzeituno/ Ur. 477 vom 19. September 1917.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/401>, abgerufen am 01.07.2024.