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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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voni polnischen Bauplatz

Mit diesen beiden Maßnahmen hat die deutsche Regierung in Warschau
sich selbst den Weg zum Herzen des polnischen Volkes verlegt, den sie durch
die klug vorbereitete Wiederöffnung der Warschauer Universität freizumachen
begann. Sie hat darauf verzichtet, die Volksmeinung im deutschen Interesse
umzubilden! Dadurch wird die Gestaltung des Schulwesens im General¬
gouvernement Warschau nächst dem Übergange zu einer aktiven Polenpolitik
zum Kardinalfehler unserer ganzen Tätigkeit. In der Preisgabe der polnischen
Schule an die panslawistische Propaganda, die^mit der Konsolidierung der
republikanischen Regierungsgewalt in Rußland erheblich an Kraft gewinnen
dürfte, liegt auch das Geheimnis des Mißerfolges der polnischen Legion.

Kann die Neuordnung der Verhältnisse, wie sie das Patent vom 12. Sep¬
tember anstrebt, eine Wandlung in den polnischen Stimmungen nach sich ziehen?
Nach obigen Darlegungen doch nur, wenn Hand in Hand mit der formellen
Ausgestaltung des polnischen Staates der Versuch, zu den Herzen zu gelangen,
wieder aufgenommen wird. Und um da auf den richtigen Weg zu kommen,
bedarf es wohl der Einsicht, daß wir selbst Fehler machten! Aus dem, was
uns von Warschau bekannt wird, scheint man dort aber von der Erkenntnis
noch recht weit entfernt zu sein.

Bei der Feier des zweijährigen Bestehens des Generalgouvernements am
3. September hielt der Generalgouvemeur von Beseler im Stadtschloß eine
Ansprache, in der er auf das Charakteristische des zweiten Jahres des General¬
gouvernements hinwies. Der Generalgouvemeur betonte, daß zunächst alles
gut zu gehen schien und versucht wurde, den auf polnischer Seite zur Mit¬
arbeit Berufenen ein gewisses Programm vorzuzeichnen. "Wir haben über¬
schwengliche Wünsche von vornherein einzudämmen gesucht und den Polen die
Wege und Ziele gezeigt, die gangbar und vielleicht erreichbar gewesen wären.
In allen Dingen haben wir nicht allzuviel Verständnis gefunden. Es liegt
einmal in dem Temperament dieses Volkes, daß es leicht in seinen Bestrebungen
zu weit geht und in seinen Zielen phantastisch wird." Der Generalgouvemeur
wies auf die polnische Forderung nach den Legionen hin. "Die Legionen
kamen, aber keine Rekruten, und das Schlagwort war nun, es gäbe noch keine
polnische Regierung! Die Sache ließ sich aber doch nicht so vom Zaun brechen.
Die Polen mußten sich zunächst mit unserer Platzhalterschaft begnügen, die doch
selbst nur das Beste des Landes wollte." Der Generalgouvemeur von Beseler
sprach die Überzeugung aus. daß die vielfach ins Stocken geratenen Dinge in
Fluß kommen werden, und daß die hier gestellte große Aufgabe sich lösen
lassen wird. "Das Land muß wissen", schloß der Generalgouvemeur,
"daß wir hierher gekommen sind, um es aus einer Kalamität heraus¬
zuziehen, unter der es über hundert Jahre geseufzt hat. Wir hatten die
Absicht, es aus seiner unwürdigen Lage zu befreien, und vielleicht wäre
uns das schon mehr gelungen, wenn wir im Volke mehr Verständnis dafür
befunden hätten."


voni polnischen Bauplatz

Mit diesen beiden Maßnahmen hat die deutsche Regierung in Warschau
sich selbst den Weg zum Herzen des polnischen Volkes verlegt, den sie durch
die klug vorbereitete Wiederöffnung der Warschauer Universität freizumachen
begann. Sie hat darauf verzichtet, die Volksmeinung im deutschen Interesse
umzubilden! Dadurch wird die Gestaltung des Schulwesens im General¬
gouvernement Warschau nächst dem Übergange zu einer aktiven Polenpolitik
zum Kardinalfehler unserer ganzen Tätigkeit. In der Preisgabe der polnischen
Schule an die panslawistische Propaganda, die^mit der Konsolidierung der
republikanischen Regierungsgewalt in Rußland erheblich an Kraft gewinnen
dürfte, liegt auch das Geheimnis des Mißerfolges der polnischen Legion.

Kann die Neuordnung der Verhältnisse, wie sie das Patent vom 12. Sep¬
tember anstrebt, eine Wandlung in den polnischen Stimmungen nach sich ziehen?
Nach obigen Darlegungen doch nur, wenn Hand in Hand mit der formellen
Ausgestaltung des polnischen Staates der Versuch, zu den Herzen zu gelangen,
wieder aufgenommen wird. Und um da auf den richtigen Weg zu kommen,
bedarf es wohl der Einsicht, daß wir selbst Fehler machten! Aus dem, was
uns von Warschau bekannt wird, scheint man dort aber von der Erkenntnis
noch recht weit entfernt zu sein.

Bei der Feier des zweijährigen Bestehens des Generalgouvernements am
3. September hielt der Generalgouvemeur von Beseler im Stadtschloß eine
Ansprache, in der er auf das Charakteristische des zweiten Jahres des General¬
gouvernements hinwies. Der Generalgouvemeur betonte, daß zunächst alles
gut zu gehen schien und versucht wurde, den auf polnischer Seite zur Mit¬
arbeit Berufenen ein gewisses Programm vorzuzeichnen. „Wir haben über¬
schwengliche Wünsche von vornherein einzudämmen gesucht und den Polen die
Wege und Ziele gezeigt, die gangbar und vielleicht erreichbar gewesen wären.
In allen Dingen haben wir nicht allzuviel Verständnis gefunden. Es liegt
einmal in dem Temperament dieses Volkes, daß es leicht in seinen Bestrebungen
zu weit geht und in seinen Zielen phantastisch wird." Der Generalgouvemeur
wies auf die polnische Forderung nach den Legionen hin. „Die Legionen
kamen, aber keine Rekruten, und das Schlagwort war nun, es gäbe noch keine
polnische Regierung! Die Sache ließ sich aber doch nicht so vom Zaun brechen.
Die Polen mußten sich zunächst mit unserer Platzhalterschaft begnügen, die doch
selbst nur das Beste des Landes wollte." Der Generalgouvemeur von Beseler
sprach die Überzeugung aus. daß die vielfach ins Stocken geratenen Dinge in
Fluß kommen werden, und daß die hier gestellte große Aufgabe sich lösen
lassen wird. „Das Land muß wissen", schloß der Generalgouvemeur,
„daß wir hierher gekommen sind, um es aus einer Kalamität heraus¬
zuziehen, unter der es über hundert Jahre geseufzt hat. Wir hatten die
Absicht, es aus seiner unwürdigen Lage zu befreien, und vielleicht wäre
uns das schon mehr gelungen, wenn wir im Volke mehr Verständnis dafür
befunden hätten."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/402>, abgerufen am 29.06.2024.