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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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vom polnischen Bauplatz

Völker, auch des polnischen, stehen, zu bedienen. Tatsachen, die von ungeheuren
elementaren Kräften zeugen, durch die Völker und Staaten entstehen und zer-
rieben werden, folgte man den Irrlichtern einer Philosophie, die sich mit schlecht
verhülltem Abscheu abwendet von der Wahrheit des Lebenskampfes und Schlag¬
worte prägt wie jenes: daß es "sehr viel weniger wirkliche Interessengegensätze
in der Welt und darauf sich gründenden bösen Willen als Mißverständnisse
gibt." Als wenn der Zusammenbruch Polens und die darauf folgenden Teilungen
des Landes und weiter die Erstarkung des polnischen Volkes auf Mißverständ-
nissen beruhten! Als wenn der Polen Abscheu vor Preußen, ihre Hin¬
neigung zum geschwächten Rußland auf Mißverständnissen beruhten! Die
Welt ist voller Interessengegensätze -- die Geburt des kleinsten Wurms
erzeugt neue -- und sie beseitigen könnte doch nur allgemeines Sterben!
Leben ist Kampf. Kampf ist Tat! Und jede Tat ruft Widerstände und Gegen¬
taten hervor, erzeugt Gegensätze! Nicht kann es Aufgabe der Regierungen und
Staatsmänner sein, Gegensätze zu beseitigen. -- das wäre Vermessen¬
heit. Gegensätze zwischen Menschen und Völkern lassen sich aber überbrücken
oder als Leben erzeugende Kräfte in den Dienst höherer Ideale, größerer
Menschheitsziele stellen und dadurch lassen sich ihre zerstörenden Gewalten binden.
Nichts geringeres als dies wäre die Ausgabe, die dem lebenden Geschlecht als Abschluß
des größten und blutigsten Ringens der Weltvölker gestellt ist. Dazu
gehören aber nicht allein Baumeister, die gleichzeitig Künstler, Weise und
Titanen sein müssen, sondern auch eine in der ganzen Menschheit lebende,
in jedem Erdenwinkel wohnende Idee, auf die jene Baumeister sich stützen
können.

Welche allgemeinen Ideen unserer Polenpoliti? seit 1914 zugrunde liegen,
ist schwer zu erraten. Zum mindesten haben sie wiederholt gewechselt, -- über
den Rahmen, den das achtzehnte Jahrhundert und der Wiener Kongreß ge¬
schaffen hatten, haben sie sich jedenfalls nicht erhoben. Am Anfang des Welt¬
krieges schien man die Polenfrage, in Berlin wenigstens, als ein moti me
wnAere der preußischen Politik behandeln zu wollen. Dahin deutet die
Schnelligkeit, mit der seinerzeit in den Schlesien benachbarten russisch-polnischen
Kreisen aus preußischen Beamten eine Zivilverwaltung unter dem Regierungs¬
präsidenten von Münster, Grafen Meerseite, eingerichtet wurde. Es schien da¬
mals noch die Hoffnung zu bestehen, sehr schnell mit dem Rußland Nikolaus
des Zweiten zum Sonderfrieden kommen zu können. Solcher Möglichkeit wollte
man sich die Pforten nicht verschließen durch vorzeitige Bindungen in Polen.
Das war eine aus der historischen Entwicklung der deutsch-polnisch-russischen
Beziehungen logisch hervorgehende Haltung, die weder nach innen noch nach
außen einer Erläuterung bedürfte. Sie hatte das für das triviale politische
Geschäft Nützliche, daß die Polen fürchten mußten, zwischen den kämpfenden
Parteien zerrieben zu werden, wenn sie nicht das Glück hatten, beim Friedens¬
schluß auf der siegenden Seite zu stehn; sie hatte auch das Gute, daß die Her-


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vom polnischen Bauplatz

Völker, auch des polnischen, stehen, zu bedienen. Tatsachen, die von ungeheuren
elementaren Kräften zeugen, durch die Völker und Staaten entstehen und zer-
rieben werden, folgte man den Irrlichtern einer Philosophie, die sich mit schlecht
verhülltem Abscheu abwendet von der Wahrheit des Lebenskampfes und Schlag¬
worte prägt wie jenes: daß es „sehr viel weniger wirkliche Interessengegensätze
in der Welt und darauf sich gründenden bösen Willen als Mißverständnisse
gibt." Als wenn der Zusammenbruch Polens und die darauf folgenden Teilungen
des Landes und weiter die Erstarkung des polnischen Volkes auf Mißverständ-
nissen beruhten! Als wenn der Polen Abscheu vor Preußen, ihre Hin¬
neigung zum geschwächten Rußland auf Mißverständnissen beruhten! Die
Welt ist voller Interessengegensätze — die Geburt des kleinsten Wurms
erzeugt neue — und sie beseitigen könnte doch nur allgemeines Sterben!
Leben ist Kampf. Kampf ist Tat! Und jede Tat ruft Widerstände und Gegen¬
taten hervor, erzeugt Gegensätze! Nicht kann es Aufgabe der Regierungen und
Staatsmänner sein, Gegensätze zu beseitigen. — das wäre Vermessen¬
heit. Gegensätze zwischen Menschen und Völkern lassen sich aber überbrücken
oder als Leben erzeugende Kräfte in den Dienst höherer Ideale, größerer
Menschheitsziele stellen und dadurch lassen sich ihre zerstörenden Gewalten binden.
Nichts geringeres als dies wäre die Ausgabe, die dem lebenden Geschlecht als Abschluß
des größten und blutigsten Ringens der Weltvölker gestellt ist. Dazu
gehören aber nicht allein Baumeister, die gleichzeitig Künstler, Weise und
Titanen sein müssen, sondern auch eine in der ganzen Menschheit lebende,
in jedem Erdenwinkel wohnende Idee, auf die jene Baumeister sich stützen
können.

Welche allgemeinen Ideen unserer Polenpoliti? seit 1914 zugrunde liegen,
ist schwer zu erraten. Zum mindesten haben sie wiederholt gewechselt, — über
den Rahmen, den das achtzehnte Jahrhundert und der Wiener Kongreß ge¬
schaffen hatten, haben sie sich jedenfalls nicht erhoben. Am Anfang des Welt¬
krieges schien man die Polenfrage, in Berlin wenigstens, als ein moti me
wnAere der preußischen Politik behandeln zu wollen. Dahin deutet die
Schnelligkeit, mit der seinerzeit in den Schlesien benachbarten russisch-polnischen
Kreisen aus preußischen Beamten eine Zivilverwaltung unter dem Regierungs¬
präsidenten von Münster, Grafen Meerseite, eingerichtet wurde. Es schien da¬
mals noch die Hoffnung zu bestehen, sehr schnell mit dem Rußland Nikolaus
des Zweiten zum Sonderfrieden kommen zu können. Solcher Möglichkeit wollte
man sich die Pforten nicht verschließen durch vorzeitige Bindungen in Polen.
Das war eine aus der historischen Entwicklung der deutsch-polnisch-russischen
Beziehungen logisch hervorgehende Haltung, die weder nach innen noch nach
außen einer Erläuterung bedürfte. Sie hatte das für das triviale politische
Geschäft Nützliche, daß die Polen fürchten mußten, zwischen den kämpfenden
Parteien zerrieben zu werden, wenn sie nicht das Glück hatten, beim Friedens¬
schluß auf der siegenden Seite zu stehn; sie hatte auch das Gute, daß die Her-


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[0399] vom polnischen Bauplatz Völker, auch des polnischen, stehen, zu bedienen. Tatsachen, die von ungeheuren elementaren Kräften zeugen, durch die Völker und Staaten entstehen und zer- rieben werden, folgte man den Irrlichtern einer Philosophie, die sich mit schlecht verhülltem Abscheu abwendet von der Wahrheit des Lebenskampfes und Schlag¬ worte prägt wie jenes: daß es „sehr viel weniger wirkliche Interessengegensätze in der Welt und darauf sich gründenden bösen Willen als Mißverständnisse gibt." Als wenn der Zusammenbruch Polens und die darauf folgenden Teilungen des Landes und weiter die Erstarkung des polnischen Volkes auf Mißverständ- nissen beruhten! Als wenn der Polen Abscheu vor Preußen, ihre Hin¬ neigung zum geschwächten Rußland auf Mißverständnissen beruhten! Die Welt ist voller Interessengegensätze — die Geburt des kleinsten Wurms erzeugt neue — und sie beseitigen könnte doch nur allgemeines Sterben! Leben ist Kampf. Kampf ist Tat! Und jede Tat ruft Widerstände und Gegen¬ taten hervor, erzeugt Gegensätze! Nicht kann es Aufgabe der Regierungen und Staatsmänner sein, Gegensätze zu beseitigen. — das wäre Vermessen¬ heit. Gegensätze zwischen Menschen und Völkern lassen sich aber überbrücken oder als Leben erzeugende Kräfte in den Dienst höherer Ideale, größerer Menschheitsziele stellen und dadurch lassen sich ihre zerstörenden Gewalten binden. Nichts geringeres als dies wäre die Ausgabe, die dem lebenden Geschlecht als Abschluß des größten und blutigsten Ringens der Weltvölker gestellt ist. Dazu gehören aber nicht allein Baumeister, die gleichzeitig Künstler, Weise und Titanen sein müssen, sondern auch eine in der ganzen Menschheit lebende, in jedem Erdenwinkel wohnende Idee, auf die jene Baumeister sich stützen können. Welche allgemeinen Ideen unserer Polenpoliti? seit 1914 zugrunde liegen, ist schwer zu erraten. Zum mindesten haben sie wiederholt gewechselt, — über den Rahmen, den das achtzehnte Jahrhundert und der Wiener Kongreß ge¬ schaffen hatten, haben sie sich jedenfalls nicht erhoben. Am Anfang des Welt¬ krieges schien man die Polenfrage, in Berlin wenigstens, als ein moti me wnAere der preußischen Politik behandeln zu wollen. Dahin deutet die Schnelligkeit, mit der seinerzeit in den Schlesien benachbarten russisch-polnischen Kreisen aus preußischen Beamten eine Zivilverwaltung unter dem Regierungs¬ präsidenten von Münster, Grafen Meerseite, eingerichtet wurde. Es schien da¬ mals noch die Hoffnung zu bestehen, sehr schnell mit dem Rußland Nikolaus des Zweiten zum Sonderfrieden kommen zu können. Solcher Möglichkeit wollte man sich die Pforten nicht verschließen durch vorzeitige Bindungen in Polen. Das war eine aus der historischen Entwicklung der deutsch-polnisch-russischen Beziehungen logisch hervorgehende Haltung, die weder nach innen noch nach außen einer Erläuterung bedürfte. Sie hatte das für das triviale politische Geschäft Nützliche, daß die Polen fürchten mußten, zwischen den kämpfenden Parteien zerrieben zu werden, wenn sie nicht das Glück hatten, beim Friedens¬ schluß auf der siegenden Seite zu stehn; sie hatte auch das Gute, daß die Her- 25*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/399>, abgerufen am 04.07.2024.