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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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vom polnischen Bauplatz

Allgemein betrachtet handelt es sich um einen Schritt, der uns mit um so
größerer Achtung vor der Unwandelbarkeit des guten Willens der verbündeten
Monarchen gegen das polnische Volk erfüllt, je trüber die Erfahrungen waren,
die heute als Ergebnis der Politik des 5. November 1916 zutage liegen.
Wenn auch dieser erneute Versuch, die Polen auf den Weg zur staatlichen Selb¬
ständigkeit zu bringen, fehlschlagen sollte und die Schuldfrage darüber auftaucht,
so werden die Polen wenigstens den guten Willen der Verbündeten als Aktivposten
zu unseren Gunsten hundelt müssen. Mit jenen Polen, die von der Errichtung
eines polnischen Staates an der Seite der Mittelmächte überhaupt nichts wissen
wollen, wollen wir nicht rechten, denn gegen sie kämpft ja der beiden Kaiser guter
Wille vergebens an. Und doch sind sie uns gerade wegen ihrer Gegnerschaft
fast interessanter als die polnischen Bundesgenossen: an der Stärke ihres Wider¬
standes in erster Linie und den Mitteln ihres Kampfes läßt sich der politische
Wert des jüngsten Kaiserlichen Erlasses überhaupt nur ermessen. Wenn hier
also im folgenden mehr die negativen Seiten des Problems in den Vorder¬
grund geschoben werden, so ist damit durchaus nicht gesagt, daß ich der Staats¬
gründung grundsätzlich ablehnend gegenüberstehe, wie von meinen polnischen
und anderen Gegnern gern behauptet wird/

Ich glaube sogar mit zu den ersten Preußen zu gehören, die die staats¬
bildende Tendenz während der letzten Abschnitte des politischen Lebens der Polen
vor dem Kriege voll erkannt haben und habe schon frühzeitig dahin gewirkt, daß der
preußische Staat und die deutsche Reichsregierung dieser nur mit größten
Schädigungen und Gefahren anfhaltbaren Tendenz Rechnung tragen möge.
Meine Stellungnahme zur polnischen Entwicklung in der größeren Arbeit "Die
Zukunft Polens" -- vorläufig zivei Bände --, meine Ablehnung der Be¬
gründung des Enteignungsgesetzes als Ausnahmegesetz gegen die Polen und
mein vor Ausbruch des Krieges geschriebener Grenzbotenaufsatz (Ur. 26,1914), der
einer Annäherung an die Polen in letzter Stunde das Wort redet, sind Beweise genug
für meine konsequent vermittelnde Haltung den Polen gegenüber. Selbst¬
verständlich betrachte ich die Dinge als Deutscher und scheue mich darum auch
nicht, die Polen als das zu bezeichnen, was sie tatsächlich in ihrer Gesamtheit
find -- geworden sind aus historischer Notwendigkeit: unsere, des Deutschtums
Feinde. Aber ich meine, sie brauchen diese Feinde nicht ewig zu sein. Der Zu¬
sammenbruch der deutsch-russischen Freundschaft legte den Weg frei, aus Feinden
wenigstens willige Weggenossen zu machen. Und Legion ist die Zahl der
Deutschen und Polen gemeinsamen Belange!

Aus solchen Auffassungen heraus mußte ich mich seinerzeit auch mit allen
Kräften gegen den Weg wehren, den die deutsche Regierung in Warschau ein¬
geschlagen hat, um zum Manifest vom 5. November 1916 zu gelangen. Dieser
Weg war falsch! Er folgte nicht den Lehren und Gesetzen der menschlichen,
insbesondere deutschen und polnischen Geschichte. Statt sich ihrer ehernen Tat¬
sachen, die als Meilensteine und Wegweiser neben den Lebenswegen aller


vom polnischen Bauplatz

Allgemein betrachtet handelt es sich um einen Schritt, der uns mit um so
größerer Achtung vor der Unwandelbarkeit des guten Willens der verbündeten
Monarchen gegen das polnische Volk erfüllt, je trüber die Erfahrungen waren,
die heute als Ergebnis der Politik des 5. November 1916 zutage liegen.
Wenn auch dieser erneute Versuch, die Polen auf den Weg zur staatlichen Selb¬
ständigkeit zu bringen, fehlschlagen sollte und die Schuldfrage darüber auftaucht,
so werden die Polen wenigstens den guten Willen der Verbündeten als Aktivposten
zu unseren Gunsten hundelt müssen. Mit jenen Polen, die von der Errichtung
eines polnischen Staates an der Seite der Mittelmächte überhaupt nichts wissen
wollen, wollen wir nicht rechten, denn gegen sie kämpft ja der beiden Kaiser guter
Wille vergebens an. Und doch sind sie uns gerade wegen ihrer Gegnerschaft
fast interessanter als die polnischen Bundesgenossen: an der Stärke ihres Wider¬
standes in erster Linie und den Mitteln ihres Kampfes läßt sich der politische
Wert des jüngsten Kaiserlichen Erlasses überhaupt nur ermessen. Wenn hier
also im folgenden mehr die negativen Seiten des Problems in den Vorder¬
grund geschoben werden, so ist damit durchaus nicht gesagt, daß ich der Staats¬
gründung grundsätzlich ablehnend gegenüberstehe, wie von meinen polnischen
und anderen Gegnern gern behauptet wird/

Ich glaube sogar mit zu den ersten Preußen zu gehören, die die staats¬
bildende Tendenz während der letzten Abschnitte des politischen Lebens der Polen
vor dem Kriege voll erkannt haben und habe schon frühzeitig dahin gewirkt, daß der
preußische Staat und die deutsche Reichsregierung dieser nur mit größten
Schädigungen und Gefahren anfhaltbaren Tendenz Rechnung tragen möge.
Meine Stellungnahme zur polnischen Entwicklung in der größeren Arbeit „Die
Zukunft Polens" — vorläufig zivei Bände —, meine Ablehnung der Be¬
gründung des Enteignungsgesetzes als Ausnahmegesetz gegen die Polen und
mein vor Ausbruch des Krieges geschriebener Grenzbotenaufsatz (Ur. 26,1914), der
einer Annäherung an die Polen in letzter Stunde das Wort redet, sind Beweise genug
für meine konsequent vermittelnde Haltung den Polen gegenüber. Selbst¬
verständlich betrachte ich die Dinge als Deutscher und scheue mich darum auch
nicht, die Polen als das zu bezeichnen, was sie tatsächlich in ihrer Gesamtheit
find — geworden sind aus historischer Notwendigkeit: unsere, des Deutschtums
Feinde. Aber ich meine, sie brauchen diese Feinde nicht ewig zu sein. Der Zu¬
sammenbruch der deutsch-russischen Freundschaft legte den Weg frei, aus Feinden
wenigstens willige Weggenossen zu machen. Und Legion ist die Zahl der
Deutschen und Polen gemeinsamen Belange!

Aus solchen Auffassungen heraus mußte ich mich seinerzeit auch mit allen
Kräften gegen den Weg wehren, den die deutsche Regierung in Warschau ein¬
geschlagen hat, um zum Manifest vom 5. November 1916 zu gelangen. Dieser
Weg war falsch! Er folgte nicht den Lehren und Gesetzen der menschlichen,
insbesondere deutschen und polnischen Geschichte. Statt sich ihrer ehernen Tat¬
sachen, die als Meilensteine und Wegweiser neben den Lebenswegen aller


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[0398] vom polnischen Bauplatz Allgemein betrachtet handelt es sich um einen Schritt, der uns mit um so größerer Achtung vor der Unwandelbarkeit des guten Willens der verbündeten Monarchen gegen das polnische Volk erfüllt, je trüber die Erfahrungen waren, die heute als Ergebnis der Politik des 5. November 1916 zutage liegen. Wenn auch dieser erneute Versuch, die Polen auf den Weg zur staatlichen Selb¬ ständigkeit zu bringen, fehlschlagen sollte und die Schuldfrage darüber auftaucht, so werden die Polen wenigstens den guten Willen der Verbündeten als Aktivposten zu unseren Gunsten hundelt müssen. Mit jenen Polen, die von der Errichtung eines polnischen Staates an der Seite der Mittelmächte überhaupt nichts wissen wollen, wollen wir nicht rechten, denn gegen sie kämpft ja der beiden Kaiser guter Wille vergebens an. Und doch sind sie uns gerade wegen ihrer Gegnerschaft fast interessanter als die polnischen Bundesgenossen: an der Stärke ihres Wider¬ standes in erster Linie und den Mitteln ihres Kampfes läßt sich der politische Wert des jüngsten Kaiserlichen Erlasses überhaupt nur ermessen. Wenn hier also im folgenden mehr die negativen Seiten des Problems in den Vorder¬ grund geschoben werden, so ist damit durchaus nicht gesagt, daß ich der Staats¬ gründung grundsätzlich ablehnend gegenüberstehe, wie von meinen polnischen und anderen Gegnern gern behauptet wird/ Ich glaube sogar mit zu den ersten Preußen zu gehören, die die staats¬ bildende Tendenz während der letzten Abschnitte des politischen Lebens der Polen vor dem Kriege voll erkannt haben und habe schon frühzeitig dahin gewirkt, daß der preußische Staat und die deutsche Reichsregierung dieser nur mit größten Schädigungen und Gefahren anfhaltbaren Tendenz Rechnung tragen möge. Meine Stellungnahme zur polnischen Entwicklung in der größeren Arbeit „Die Zukunft Polens" — vorläufig zivei Bände —, meine Ablehnung der Be¬ gründung des Enteignungsgesetzes als Ausnahmegesetz gegen die Polen und mein vor Ausbruch des Krieges geschriebener Grenzbotenaufsatz (Ur. 26,1914), der einer Annäherung an die Polen in letzter Stunde das Wort redet, sind Beweise genug für meine konsequent vermittelnde Haltung den Polen gegenüber. Selbst¬ verständlich betrachte ich die Dinge als Deutscher und scheue mich darum auch nicht, die Polen als das zu bezeichnen, was sie tatsächlich in ihrer Gesamtheit find — geworden sind aus historischer Notwendigkeit: unsere, des Deutschtums Feinde. Aber ich meine, sie brauchen diese Feinde nicht ewig zu sein. Der Zu¬ sammenbruch der deutsch-russischen Freundschaft legte den Weg frei, aus Feinden wenigstens willige Weggenossen zu machen. Und Legion ist die Zahl der Deutschen und Polen gemeinsamen Belange! Aus solchen Auffassungen heraus mußte ich mich seinerzeit auch mit allen Kräften gegen den Weg wehren, den die deutsche Regierung in Warschau ein¬ geschlagen hat, um zum Manifest vom 5. November 1916 zu gelangen. Dieser Weg war falsch! Er folgte nicht den Lehren und Gesetzen der menschlichen, insbesondere deutschen und polnischen Geschichte. Statt sich ihrer ehernen Tat¬ sachen, die als Meilensteine und Wegweiser neben den Lebenswegen aller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/398>, abgerufen am 01.07.2024.