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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Der mitteleuropäische Gedanke

gepredigt. Man sei auch weit entfernt, die deutsche Sprache zu unterdrücken,
sagte mir ein magyarischer evangelischer Pfarrer. Man lasse sie ruhig bestehen,
bis sie von selber verschwinde. Das Ungarische sei leichter, und so tue der
Bequemlichkeitstrieb der Bauern von selbst das Nötige, um die Magyarisierung
durchzuführen. Das Ende ist, daß soundsoviele Staatsbürger, die von Haus
aus zwei Sprachen ihr eigen nennen könnten, diesen Vorteil verlieren. Wenn
der Staat solche Entwicklungen geschehen läßt, ja ihnen sogar mit einer gewissen
Genugtuung zuschaut, so werden seine Bürger weder politisch noch beruflich
dabei tüchtiger. Sprachkenntnisse in breiten Volksschichten sind stets ein Vorteil
für das betreffende Volk kulturell so gut wie materiell, für die Bildung sowohl
wie fürs Geschäft. Anderwärts bemüht man sich oft ohne durchschlagenden
Erfolg, Sprachkenntnisse auszubreiten, Ungarn aber läßt natürliche Bildungs¬
bedingungen ohne Bedauern verkümmern. Es soll hier gar nicht den nationalen
Interessen des Deutschtums das Wort geredet werden. Die ungarländischen
Deutschen sollen politisch weder zum Reiche noch zu Österreich neigen, sondern
sie sollen gute patriotische Ungarn sein. Es handelt sich um Ungarns eigene
Interessen. Mit jedem Menschen, der Deutsch verlernt, erleidet Ungarn einen
kulturellen und volkswirtschaftlichen Verlust. Und es handelt sich noch mehr
um unsere gemeinsamen mitteleuropäischen Belange. Je mehr ungarische
Staatsbürger der deutschen Sprache Kenntnis und Verständnis entgegenbringen,
desto besser sind naturgemäß die politischen Aussichten des mitteleuropäischen
Gedankens. Überall aber, wo man Deutsch verlernt, wird auch der politische
Blick stärker in die Enge gebannt bleiben. Vor Ungarns eigener politischer
Zukunft, die doch von Osterreich und dem Deutschen Reich nicht loskommen
wird, ist es schwer zu verantworten, wenn man dem Verfall der deutschen
Sprache unter Bauern mehr oder weniger deutscher Abstammung da, wo er
aus Bequemlichkeit erfolgt, mit ganz wohl zufriedener Ruhe zusieht, und da,
wo er nicht ganz von selber eintreten will, ihn durch geeignete kleine Mittel
sogar fördert oder doch wenigstens früher gefördert hat.

Man darf vielleicht hoffen, daß die mitteleuropäische Wirtschaftsentwicklung
nach dem Kriege das ungarische Unterrichtsministerium veranlaßt, den Volks¬
schulen eine ausreichende Pflege der deutschen Sprache überall, wo die lokalen
Bedingungen dies erlauben, wieder zur Pflicht zu machen. Vom geschäftlichen
Standpunkte aus haben zahlreiche wirtschaftliche Organisationen, die mit Ungarn
irgendwie zu tun haben, allen Grund, überall wo sie können, unseren Bundes¬
genossen begreiflich zu machen, daß es nicht lohnend ist, Sprachkenntnisse im
Volke verkümmern zu lassen, statt sie zu fördern. Wer als Politiker oder
Geschäftsmann mit Ungarn zusammenzuarbeiten hat, der sollte nie versäumen,
deutlich darauf hinzuweisen, daß die Förderung der deutschen Sprache die
Hauptbedingung ist, von der jede gedeihliche politische und geschäftliche
Kooperation abhängt. Neben der Schule ist die Kirche die Hauptbildungs¬
anstalt des Volkes. Die evangelische Kirche Ungarns, die doch weiß, daß sie


Der mitteleuropäische Gedanke

gepredigt. Man sei auch weit entfernt, die deutsche Sprache zu unterdrücken,
sagte mir ein magyarischer evangelischer Pfarrer. Man lasse sie ruhig bestehen,
bis sie von selber verschwinde. Das Ungarische sei leichter, und so tue der
Bequemlichkeitstrieb der Bauern von selbst das Nötige, um die Magyarisierung
durchzuführen. Das Ende ist, daß soundsoviele Staatsbürger, die von Haus
aus zwei Sprachen ihr eigen nennen könnten, diesen Vorteil verlieren. Wenn
der Staat solche Entwicklungen geschehen läßt, ja ihnen sogar mit einer gewissen
Genugtuung zuschaut, so werden seine Bürger weder politisch noch beruflich
dabei tüchtiger. Sprachkenntnisse in breiten Volksschichten sind stets ein Vorteil
für das betreffende Volk kulturell so gut wie materiell, für die Bildung sowohl
wie fürs Geschäft. Anderwärts bemüht man sich oft ohne durchschlagenden
Erfolg, Sprachkenntnisse auszubreiten, Ungarn aber läßt natürliche Bildungs¬
bedingungen ohne Bedauern verkümmern. Es soll hier gar nicht den nationalen
Interessen des Deutschtums das Wort geredet werden. Die ungarländischen
Deutschen sollen politisch weder zum Reiche noch zu Österreich neigen, sondern
sie sollen gute patriotische Ungarn sein. Es handelt sich um Ungarns eigene
Interessen. Mit jedem Menschen, der Deutsch verlernt, erleidet Ungarn einen
kulturellen und volkswirtschaftlichen Verlust. Und es handelt sich noch mehr
um unsere gemeinsamen mitteleuropäischen Belange. Je mehr ungarische
Staatsbürger der deutschen Sprache Kenntnis und Verständnis entgegenbringen,
desto besser sind naturgemäß die politischen Aussichten des mitteleuropäischen
Gedankens. Überall aber, wo man Deutsch verlernt, wird auch der politische
Blick stärker in die Enge gebannt bleiben. Vor Ungarns eigener politischer
Zukunft, die doch von Osterreich und dem Deutschen Reich nicht loskommen
wird, ist es schwer zu verantworten, wenn man dem Verfall der deutschen
Sprache unter Bauern mehr oder weniger deutscher Abstammung da, wo er
aus Bequemlichkeit erfolgt, mit ganz wohl zufriedener Ruhe zusieht, und da,
wo er nicht ganz von selber eintreten will, ihn durch geeignete kleine Mittel
sogar fördert oder doch wenigstens früher gefördert hat.

Man darf vielleicht hoffen, daß die mitteleuropäische Wirtschaftsentwicklung
nach dem Kriege das ungarische Unterrichtsministerium veranlaßt, den Volks¬
schulen eine ausreichende Pflege der deutschen Sprache überall, wo die lokalen
Bedingungen dies erlauben, wieder zur Pflicht zu machen. Vom geschäftlichen
Standpunkte aus haben zahlreiche wirtschaftliche Organisationen, die mit Ungarn
irgendwie zu tun haben, allen Grund, überall wo sie können, unseren Bundes¬
genossen begreiflich zu machen, daß es nicht lohnend ist, Sprachkenntnisse im
Volke verkümmern zu lassen, statt sie zu fördern. Wer als Politiker oder
Geschäftsmann mit Ungarn zusammenzuarbeiten hat, der sollte nie versäumen,
deutlich darauf hinzuweisen, daß die Förderung der deutschen Sprache die
Hauptbedingung ist, von der jede gedeihliche politische und geschäftliche
Kooperation abhängt. Neben der Schule ist die Kirche die Hauptbildungs¬
anstalt des Volkes. Die evangelische Kirche Ungarns, die doch weiß, daß sie


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[0388] Der mitteleuropäische Gedanke gepredigt. Man sei auch weit entfernt, die deutsche Sprache zu unterdrücken, sagte mir ein magyarischer evangelischer Pfarrer. Man lasse sie ruhig bestehen, bis sie von selber verschwinde. Das Ungarische sei leichter, und so tue der Bequemlichkeitstrieb der Bauern von selbst das Nötige, um die Magyarisierung durchzuführen. Das Ende ist, daß soundsoviele Staatsbürger, die von Haus aus zwei Sprachen ihr eigen nennen könnten, diesen Vorteil verlieren. Wenn der Staat solche Entwicklungen geschehen läßt, ja ihnen sogar mit einer gewissen Genugtuung zuschaut, so werden seine Bürger weder politisch noch beruflich dabei tüchtiger. Sprachkenntnisse in breiten Volksschichten sind stets ein Vorteil für das betreffende Volk kulturell so gut wie materiell, für die Bildung sowohl wie fürs Geschäft. Anderwärts bemüht man sich oft ohne durchschlagenden Erfolg, Sprachkenntnisse auszubreiten, Ungarn aber läßt natürliche Bildungs¬ bedingungen ohne Bedauern verkümmern. Es soll hier gar nicht den nationalen Interessen des Deutschtums das Wort geredet werden. Die ungarländischen Deutschen sollen politisch weder zum Reiche noch zu Österreich neigen, sondern sie sollen gute patriotische Ungarn sein. Es handelt sich um Ungarns eigene Interessen. Mit jedem Menschen, der Deutsch verlernt, erleidet Ungarn einen kulturellen und volkswirtschaftlichen Verlust. Und es handelt sich noch mehr um unsere gemeinsamen mitteleuropäischen Belange. Je mehr ungarische Staatsbürger der deutschen Sprache Kenntnis und Verständnis entgegenbringen, desto besser sind naturgemäß die politischen Aussichten des mitteleuropäischen Gedankens. Überall aber, wo man Deutsch verlernt, wird auch der politische Blick stärker in die Enge gebannt bleiben. Vor Ungarns eigener politischer Zukunft, die doch von Osterreich und dem Deutschen Reich nicht loskommen wird, ist es schwer zu verantworten, wenn man dem Verfall der deutschen Sprache unter Bauern mehr oder weniger deutscher Abstammung da, wo er aus Bequemlichkeit erfolgt, mit ganz wohl zufriedener Ruhe zusieht, und da, wo er nicht ganz von selber eintreten will, ihn durch geeignete kleine Mittel sogar fördert oder doch wenigstens früher gefördert hat. Man darf vielleicht hoffen, daß die mitteleuropäische Wirtschaftsentwicklung nach dem Kriege das ungarische Unterrichtsministerium veranlaßt, den Volks¬ schulen eine ausreichende Pflege der deutschen Sprache überall, wo die lokalen Bedingungen dies erlauben, wieder zur Pflicht zu machen. Vom geschäftlichen Standpunkte aus haben zahlreiche wirtschaftliche Organisationen, die mit Ungarn irgendwie zu tun haben, allen Grund, überall wo sie können, unseren Bundes¬ genossen begreiflich zu machen, daß es nicht lohnend ist, Sprachkenntnisse im Volke verkümmern zu lassen, statt sie zu fördern. Wer als Politiker oder Geschäftsmann mit Ungarn zusammenzuarbeiten hat, der sollte nie versäumen, deutlich darauf hinzuweisen, daß die Förderung der deutschen Sprache die Hauptbedingung ist, von der jede gedeihliche politische und geschäftliche Kooperation abhängt. Neben der Schule ist die Kirche die Hauptbildungs¬ anstalt des Volkes. Die evangelische Kirche Ungarns, die doch weiß, daß sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/388>, abgerufen am 03.07.2024.