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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Der mitteleuropäische Gedanke

Denken sich bereits etwas mehr auf die mitteleuropäische Notwendigkeit einstellt
als das ungarische, und daß die Magyaren in dieser Beziehung doch hier und
da noch werden ein wenig umlernen müssen.

Ein solcher Punkt ist vor allem das Verhältnis der Ungarn zur deutschen
Sprache im eigenen Lande. Ungarn legt großen Wert darauf, zur west- und
mitteleuropäischen Staatengruppe und nicht etwa zum Balkangebiet gerechnet zu
werden. Diese Zugehörigkeit ist aber nur unter Mitbenutzung der deutschen
Sprache möglich. Denn die west- und mitteleuropäische Kultur ist lateinisch¬
germanisch. Ein Volk, das weder eine lateinische, noch eine germanische
Sprache redet, kann mit seiner Landessprache nicht allein zur Geltung kommen,
es braucht eine Hilfssprache, die allgemeiner in der europäischen Kulturwelt
verstanden wird. Nach politischen und geographischen Gesetzen kommt für die
Magyaren nur das Deutsche in Betracht.

Ich beabsichtige hier nicht, die ungarische Nationalitätenpolitik zu erörtern.
In Ungarn gibt es eine ganze Anzahl Völker, die neben den Magyaren im
Staate Raum beanspruchen. Darunter befinden sich über zwei Millionen Deutsche.
Aber das Deutschtum ist in Ungarn gar nicht bloß "Nationalität", wie etwa
das Serben-, das Rumänen- oder das Slowakentum. Es war ein schwerer
Fehler, daß die Magyaren versucht haben, es als "Nationalität" zu behandeln.
Ungarische Wissenschaft, Literatur und Wirtschaft kann des Ausdrucksmittels
der deutschen Sprache neben der magyarischen nicht entraten. Das Deutsche
müßte konsequent als zweite Landes- und Kulturhilfssprache anerkannt werden,
weil das Magyarische außer Landes wegen seiner völlig mangelnden Ver¬
wandtschaft mit den germanisch-romanischen Sprachen fast nirgends verstanden
wird und auch nicht darauf rechnen kann, in Zukunft mehr verstanden zu werden.
Ungarn ist nun bei gutem Willen und richtiger Erkenntnis seiner Lage ohne
weiteres imstande, der deutschen Sprache die richtige Position zu geben. Jeder
tüchtige ungarische Geschäftsmann sorgt ohnehin dafür, daß das Deutsche in
weiten Kreisen verstanden und gesprochen wird. Außerdem gibt es, wie er¬
wähnt, ein starkes eingesessenes ungarländisches deutsches Volkstum. Aber es
ist außer den siebenbürger Sachsen schlecht organisiert. Die Magyaren sehen
den nationalen Verfall bei den ungarländischen Deutschen gern, weil sie glauben,
daß Abbröckelungserfcheinungen bei den "Nationalitäten" ihnen zugute kommen.
Aber es bleibt dabei, daß das Deutschtum jenseits der Leitha eben nicht bloß
"Nationalität" ist. Ein Staat, der Deutsch als zweite Landes- und Kultur¬
hilfssprache braucht, hat kein wahres Interesse daran, daß Staatsbürger, die
von Haus aus Deutsch können, es verlernen. Dahin läßt man es aber nicht
ohne Absicht allmählich kommen.

Es gibt heute schon viele "Magyaren" mit rein deutschen Namen und
demzufolge von deutscher Abstammung. Es gibt ganze Orte, wo die deutsche
Sprache ursprünglich allgemein gebraucht wurde, aber mit der Zeit immer
seltener erklingt. In solchen Orten wird manchmal noch in der Kirche deutsch


Der mitteleuropäische Gedanke

Denken sich bereits etwas mehr auf die mitteleuropäische Notwendigkeit einstellt
als das ungarische, und daß die Magyaren in dieser Beziehung doch hier und
da noch werden ein wenig umlernen müssen.

Ein solcher Punkt ist vor allem das Verhältnis der Ungarn zur deutschen
Sprache im eigenen Lande. Ungarn legt großen Wert darauf, zur west- und
mitteleuropäischen Staatengruppe und nicht etwa zum Balkangebiet gerechnet zu
werden. Diese Zugehörigkeit ist aber nur unter Mitbenutzung der deutschen
Sprache möglich. Denn die west- und mitteleuropäische Kultur ist lateinisch¬
germanisch. Ein Volk, das weder eine lateinische, noch eine germanische
Sprache redet, kann mit seiner Landessprache nicht allein zur Geltung kommen,
es braucht eine Hilfssprache, die allgemeiner in der europäischen Kulturwelt
verstanden wird. Nach politischen und geographischen Gesetzen kommt für die
Magyaren nur das Deutsche in Betracht.

Ich beabsichtige hier nicht, die ungarische Nationalitätenpolitik zu erörtern.
In Ungarn gibt es eine ganze Anzahl Völker, die neben den Magyaren im
Staate Raum beanspruchen. Darunter befinden sich über zwei Millionen Deutsche.
Aber das Deutschtum ist in Ungarn gar nicht bloß „Nationalität", wie etwa
das Serben-, das Rumänen- oder das Slowakentum. Es war ein schwerer
Fehler, daß die Magyaren versucht haben, es als „Nationalität" zu behandeln.
Ungarische Wissenschaft, Literatur und Wirtschaft kann des Ausdrucksmittels
der deutschen Sprache neben der magyarischen nicht entraten. Das Deutsche
müßte konsequent als zweite Landes- und Kulturhilfssprache anerkannt werden,
weil das Magyarische außer Landes wegen seiner völlig mangelnden Ver¬
wandtschaft mit den germanisch-romanischen Sprachen fast nirgends verstanden
wird und auch nicht darauf rechnen kann, in Zukunft mehr verstanden zu werden.
Ungarn ist nun bei gutem Willen und richtiger Erkenntnis seiner Lage ohne
weiteres imstande, der deutschen Sprache die richtige Position zu geben. Jeder
tüchtige ungarische Geschäftsmann sorgt ohnehin dafür, daß das Deutsche in
weiten Kreisen verstanden und gesprochen wird. Außerdem gibt es, wie er¬
wähnt, ein starkes eingesessenes ungarländisches deutsches Volkstum. Aber es
ist außer den siebenbürger Sachsen schlecht organisiert. Die Magyaren sehen
den nationalen Verfall bei den ungarländischen Deutschen gern, weil sie glauben,
daß Abbröckelungserfcheinungen bei den „Nationalitäten" ihnen zugute kommen.
Aber es bleibt dabei, daß das Deutschtum jenseits der Leitha eben nicht bloß
„Nationalität" ist. Ein Staat, der Deutsch als zweite Landes- und Kultur¬
hilfssprache braucht, hat kein wahres Interesse daran, daß Staatsbürger, die
von Haus aus Deutsch können, es verlernen. Dahin läßt man es aber nicht
ohne Absicht allmählich kommen.

Es gibt heute schon viele „Magyaren" mit rein deutschen Namen und
demzufolge von deutscher Abstammung. Es gibt ganze Orte, wo die deutsche
Sprache ursprünglich allgemein gebraucht wurde, aber mit der Zeit immer
seltener erklingt. In solchen Orten wird manchmal noch in der Kirche deutsch


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[0387] Der mitteleuropäische Gedanke Denken sich bereits etwas mehr auf die mitteleuropäische Notwendigkeit einstellt als das ungarische, und daß die Magyaren in dieser Beziehung doch hier und da noch werden ein wenig umlernen müssen. Ein solcher Punkt ist vor allem das Verhältnis der Ungarn zur deutschen Sprache im eigenen Lande. Ungarn legt großen Wert darauf, zur west- und mitteleuropäischen Staatengruppe und nicht etwa zum Balkangebiet gerechnet zu werden. Diese Zugehörigkeit ist aber nur unter Mitbenutzung der deutschen Sprache möglich. Denn die west- und mitteleuropäische Kultur ist lateinisch¬ germanisch. Ein Volk, das weder eine lateinische, noch eine germanische Sprache redet, kann mit seiner Landessprache nicht allein zur Geltung kommen, es braucht eine Hilfssprache, die allgemeiner in der europäischen Kulturwelt verstanden wird. Nach politischen und geographischen Gesetzen kommt für die Magyaren nur das Deutsche in Betracht. Ich beabsichtige hier nicht, die ungarische Nationalitätenpolitik zu erörtern. In Ungarn gibt es eine ganze Anzahl Völker, die neben den Magyaren im Staate Raum beanspruchen. Darunter befinden sich über zwei Millionen Deutsche. Aber das Deutschtum ist in Ungarn gar nicht bloß „Nationalität", wie etwa das Serben-, das Rumänen- oder das Slowakentum. Es war ein schwerer Fehler, daß die Magyaren versucht haben, es als „Nationalität" zu behandeln. Ungarische Wissenschaft, Literatur und Wirtschaft kann des Ausdrucksmittels der deutschen Sprache neben der magyarischen nicht entraten. Das Deutsche müßte konsequent als zweite Landes- und Kulturhilfssprache anerkannt werden, weil das Magyarische außer Landes wegen seiner völlig mangelnden Ver¬ wandtschaft mit den germanisch-romanischen Sprachen fast nirgends verstanden wird und auch nicht darauf rechnen kann, in Zukunft mehr verstanden zu werden. Ungarn ist nun bei gutem Willen und richtiger Erkenntnis seiner Lage ohne weiteres imstande, der deutschen Sprache die richtige Position zu geben. Jeder tüchtige ungarische Geschäftsmann sorgt ohnehin dafür, daß das Deutsche in weiten Kreisen verstanden und gesprochen wird. Außerdem gibt es, wie er¬ wähnt, ein starkes eingesessenes ungarländisches deutsches Volkstum. Aber es ist außer den siebenbürger Sachsen schlecht organisiert. Die Magyaren sehen den nationalen Verfall bei den ungarländischen Deutschen gern, weil sie glauben, daß Abbröckelungserfcheinungen bei den „Nationalitäten" ihnen zugute kommen. Aber es bleibt dabei, daß das Deutschtum jenseits der Leitha eben nicht bloß „Nationalität" ist. Ein Staat, der Deutsch als zweite Landes- und Kultur¬ hilfssprache braucht, hat kein wahres Interesse daran, daß Staatsbürger, die von Haus aus Deutsch können, es verlernen. Dahin läßt man es aber nicht ohne Absicht allmählich kommen. Es gibt heute schon viele „Magyaren" mit rein deutschen Namen und demzufolge von deutscher Abstammung. Es gibt ganze Orte, wo die deutsche Sprache ursprünglich allgemein gebraucht wurde, aber mit der Zeit immer seltener erklingt. In solchen Orten wird manchmal noch in der Kirche deutsch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/387>, abgerufen am 04.07.2024.