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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

und Reich stand gesetze ein. Denn immer blieb für Landesangelegenheiten auch
der Weg des Reichsgesetzes zulässig. Dieselbe Nechtsbestimmung konnte je nach
Entschließung der Reichsgewalt lediglich durch das Reich, als Neichsteilgesetz i. e. S.,
das ist als Neichsgesetz, oder unter Inanspruchnahme der gewährten Autonomie,
im Zusammenwirken von Reichsgewalt und autonomer Körperschaft -- Landes¬
ausschuß -- als eigentliches Neichslandgesetz erlassen werden. Tatsächlich freilich
ist von dem Rechte zu Neichsteilgesetzsn nur sehr selten Gebrauch gemacht
worden.

Der Grundsatz des Art. 2 der Reichsverfassung, daß Reichsgesetze den
Landesgesetzen-vorgehen, gilt gegenüber den Gesetzen der Bundesstaaten und
den Reichslandgesetzen in dem ihnen eigentümlichen Doppelcharakter (von Reich
und Land gemeinsam geschaffenen Gesetze). Die Reichsteilgesetze i. e. S. hin¬
gegen sind selbst Reichsgesetze.


IV.

Die neue Verfassung Elsaß-Lothringens von 1911 hat aus der
Reichslandgesetzgebung den Bundesrat ausgeschieden und an Stelle des Landes-
ausschusses einen elsaß-lothringischen Landtag gesetzt, so daß nun Kaiser und
Landtag die Gesetzgebungssaltoren sind. Die Autonomie hat so eine wesentlich
verstärkte Bedeutung gewonnen.

Zugleich ist der Umfang ihrer Wirksamkeit sehr erweitert, indem § 5 der
Landesverfassung für elsaß-lothringische Landesangelegenheiten nur noch Landes-
gesetze, das ist Reichslandgesetze, nicht mehr Reichsgesetze, das ist Reichsteil¬
gesetze i. e. S., in Aussicht stellt.

Trotzdem aber ist die Autonomie des Landes geblieben, was sie war,
prekaristisch, eine freie, jederzeit widerrufliche Gabe des Reichs, sie hat sich nicht
in Eigenrechtsautonomie gewandelt. Denn die elsaß-lothringische Verfassung
mit der darin gewährten Autonomie kann, wie sie auf Reichsgesetz beruht,
jederzeit durch Neichsgesetz wieder aufgehoben werden. Das galt ebenso für
die frühere Verfassung von 1879. Der Fortbestand der Autonomie war und
ist trotz ihrer Anerkennung in der Landesverfassung lediglich in den Willen
des Reiches gestellt.

Steht aber dem Reiche frei, die Autonomie auf diesem Wege überhaupt
zu beseitigen, so folgt zwingend, daß auch der geringere Eingriff, die Durch¬
brechung der Autonomie im Einzelfall durch Erlaß eines Reichs- statt eines
Reichslandgesetzes rechtlich zulässig ist. Während den Einzelstaaten gegenüber
die Reichsgesetzgebung an die Zuständigkeitsschranken des Art. 4 der Reichs¬
verfassung gebunden ist, hat das Reich für Elsaß-Lothringen auch heute noch
eine rechtlich unbeschränkte Gssetzgebungszuständigkeit. Aus der Autonomie¬
gewährung ist dem Reichslande nicht ein Recht gegen das Reich erwachsen-
Das Reich wird die Autonomie aufheben, durchbrechen nur, wenn ein Reichs¬
bedürfnis es erheischt. Aber diese Vorfrage steht allein zu seiner Entscheidung-
Eine rechtlich verbindliche Autonomiezustcherung an das Reichsland ist nicht
erfolgt. Wie hätte auch die Reichsgewalt, die berufene Hüterin der Reichs-


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

und Reich stand gesetze ein. Denn immer blieb für Landesangelegenheiten auch
der Weg des Reichsgesetzes zulässig. Dieselbe Nechtsbestimmung konnte je nach
Entschließung der Reichsgewalt lediglich durch das Reich, als Neichsteilgesetz i. e. S.,
das ist als Neichsgesetz, oder unter Inanspruchnahme der gewährten Autonomie,
im Zusammenwirken von Reichsgewalt und autonomer Körperschaft — Landes¬
ausschuß — als eigentliches Neichslandgesetz erlassen werden. Tatsächlich freilich
ist von dem Rechte zu Neichsteilgesetzsn nur sehr selten Gebrauch gemacht
worden.

Der Grundsatz des Art. 2 der Reichsverfassung, daß Reichsgesetze den
Landesgesetzen-vorgehen, gilt gegenüber den Gesetzen der Bundesstaaten und
den Reichslandgesetzen in dem ihnen eigentümlichen Doppelcharakter (von Reich
und Land gemeinsam geschaffenen Gesetze). Die Reichsteilgesetze i. e. S. hin¬
gegen sind selbst Reichsgesetze.


IV.

Die neue Verfassung Elsaß-Lothringens von 1911 hat aus der
Reichslandgesetzgebung den Bundesrat ausgeschieden und an Stelle des Landes-
ausschusses einen elsaß-lothringischen Landtag gesetzt, so daß nun Kaiser und
Landtag die Gesetzgebungssaltoren sind. Die Autonomie hat so eine wesentlich
verstärkte Bedeutung gewonnen.

Zugleich ist der Umfang ihrer Wirksamkeit sehr erweitert, indem § 5 der
Landesverfassung für elsaß-lothringische Landesangelegenheiten nur noch Landes-
gesetze, das ist Reichslandgesetze, nicht mehr Reichsgesetze, das ist Reichsteil¬
gesetze i. e. S., in Aussicht stellt.

Trotzdem aber ist die Autonomie des Landes geblieben, was sie war,
prekaristisch, eine freie, jederzeit widerrufliche Gabe des Reichs, sie hat sich nicht
in Eigenrechtsautonomie gewandelt. Denn die elsaß-lothringische Verfassung
mit der darin gewährten Autonomie kann, wie sie auf Reichsgesetz beruht,
jederzeit durch Neichsgesetz wieder aufgehoben werden. Das galt ebenso für
die frühere Verfassung von 1879. Der Fortbestand der Autonomie war und
ist trotz ihrer Anerkennung in der Landesverfassung lediglich in den Willen
des Reiches gestellt.

Steht aber dem Reiche frei, die Autonomie auf diesem Wege überhaupt
zu beseitigen, so folgt zwingend, daß auch der geringere Eingriff, die Durch¬
brechung der Autonomie im Einzelfall durch Erlaß eines Reichs- statt eines
Reichslandgesetzes rechtlich zulässig ist. Während den Einzelstaaten gegenüber
die Reichsgesetzgebung an die Zuständigkeitsschranken des Art. 4 der Reichs¬
verfassung gebunden ist, hat das Reich für Elsaß-Lothringen auch heute noch
eine rechtlich unbeschränkte Gssetzgebungszuständigkeit. Aus der Autonomie¬
gewährung ist dem Reichslande nicht ein Recht gegen das Reich erwachsen-
Das Reich wird die Autonomie aufheben, durchbrechen nur, wenn ein Reichs¬
bedürfnis es erheischt. Aber diese Vorfrage steht allein zu seiner Entscheidung-
Eine rechtlich verbindliche Autonomiezustcherung an das Reichsland ist nicht
erfolgt. Wie hätte auch die Reichsgewalt, die berufene Hüterin der Reichs-


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[0382] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande und Reich stand gesetze ein. Denn immer blieb für Landesangelegenheiten auch der Weg des Reichsgesetzes zulässig. Dieselbe Nechtsbestimmung konnte je nach Entschließung der Reichsgewalt lediglich durch das Reich, als Neichsteilgesetz i. e. S., das ist als Neichsgesetz, oder unter Inanspruchnahme der gewährten Autonomie, im Zusammenwirken von Reichsgewalt und autonomer Körperschaft — Landes¬ ausschuß — als eigentliches Neichslandgesetz erlassen werden. Tatsächlich freilich ist von dem Rechte zu Neichsteilgesetzsn nur sehr selten Gebrauch gemacht worden. Der Grundsatz des Art. 2 der Reichsverfassung, daß Reichsgesetze den Landesgesetzen-vorgehen, gilt gegenüber den Gesetzen der Bundesstaaten und den Reichslandgesetzen in dem ihnen eigentümlichen Doppelcharakter (von Reich und Land gemeinsam geschaffenen Gesetze). Die Reichsteilgesetze i. e. S. hin¬ gegen sind selbst Reichsgesetze. IV. Die neue Verfassung Elsaß-Lothringens von 1911 hat aus der Reichslandgesetzgebung den Bundesrat ausgeschieden und an Stelle des Landes- ausschusses einen elsaß-lothringischen Landtag gesetzt, so daß nun Kaiser und Landtag die Gesetzgebungssaltoren sind. Die Autonomie hat so eine wesentlich verstärkte Bedeutung gewonnen. Zugleich ist der Umfang ihrer Wirksamkeit sehr erweitert, indem § 5 der Landesverfassung für elsaß-lothringische Landesangelegenheiten nur noch Landes- gesetze, das ist Reichslandgesetze, nicht mehr Reichsgesetze, das ist Reichsteil¬ gesetze i. e. S., in Aussicht stellt. Trotzdem aber ist die Autonomie des Landes geblieben, was sie war, prekaristisch, eine freie, jederzeit widerrufliche Gabe des Reichs, sie hat sich nicht in Eigenrechtsautonomie gewandelt. Denn die elsaß-lothringische Verfassung mit der darin gewährten Autonomie kann, wie sie auf Reichsgesetz beruht, jederzeit durch Neichsgesetz wieder aufgehoben werden. Das galt ebenso für die frühere Verfassung von 1879. Der Fortbestand der Autonomie war und ist trotz ihrer Anerkennung in der Landesverfassung lediglich in den Willen des Reiches gestellt. Steht aber dem Reiche frei, die Autonomie auf diesem Wege überhaupt zu beseitigen, so folgt zwingend, daß auch der geringere Eingriff, die Durch¬ brechung der Autonomie im Einzelfall durch Erlaß eines Reichs- statt eines Reichslandgesetzes rechtlich zulässig ist. Während den Einzelstaaten gegenüber die Reichsgesetzgebung an die Zuständigkeitsschranken des Art. 4 der Reichs¬ verfassung gebunden ist, hat das Reich für Elsaß-Lothringen auch heute noch eine rechtlich unbeschränkte Gssetzgebungszuständigkeit. Aus der Autonomie¬ gewährung ist dem Reichslande nicht ein Recht gegen das Reich erwachsen- Das Reich wird die Autonomie aufheben, durchbrechen nur, wenn ein Reichs¬ bedürfnis es erheischt. Aber diese Vorfrage steht allein zu seiner Entscheidung- Eine rechtlich verbindliche Autonomiezustcherung an das Reichsland ist nicht erfolgt. Wie hätte auch die Reichsgewalt, die berufene Hüterin der Reichs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/382>, abgerufen am 03.07.2024.