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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Schwedische Stimmungen

Osten verteidigte. Das neue Deutschland schien 1914 die alte Aufgabe Preußens
als Vormacht -des westlichen Kulturkreises gegen Moskau, in der jenes einst
Schweden abgelöst hatte, endlich wieder ausgenommen zu haben, nachdem es
diese Aufgabe durch ein Jahrhundert im Bund mit dem Zarismus verneint
hatte. Die russische Gefahr war Schweden seit der Vergewaltigung Finnlands
M Jahre 1897 durch Nußland greifbar nahegerückt worden. Sie war es, die
alle historisch gebildeten, weitblickenden Politiker, sowie König Gustav und die
Königin Viktoria, die Armee und den führenden Teil der Presse auf den Plan
und an die Seite Deutschlands gerufen hatte.

Wirtschaftskrieg ist etwas anderes wie die Verteidigung der Kultur,--der Wirt-
schaftskrieg hat auch noch andere Mittel als die Mobilisierung der Armee und Blut¬
opfer. Darum sind dieSchwcden neutral geblieben und haben dreiJahrenachKriegs-
beginn allem Anschein nach kein "zusammenschließendes außenpolitisches Ziel".
Dder: sie leben in steter Besorgnis, sich bei allen ihren politischen Zielen, ob
ste als Skandinavismus oder Ostseefrage auftreten, die Flanke gegen das wirt¬
schaftliche Deutschland decken zu müssen, ein politisches Argument, das von
unseren angelsächsischen Feinden mit rücksichtsloser Zähigkeit immer wieder in
die innerpolitischen Kämpfe des Landes hineingetrieben wird.

Schwedens gegenwärtige Politik geht unter der Losung: aktive Neu¬
tralität! Was darunter zu verstehen sei, hat Herr Lindenau, Schwedens
Außenminister, kürzlich in glänzender Rede dargetan. Die schwedische Negierung
läßt sich danach ausschließlich von Gesichtspunkten leiten, die nach ihrer Auf¬
fassung geeignet sind, den Interessen des schwedischen Volkes zu dienen. Eine
Selbstverständlichkeit, über die eigentlich kein Wort verloren werden sollte; das
Bezeichnende daran ist denn auch der Umstand, daß die Regierung diese ihre
pflichtgemäße Haltung noch besonders erläutern muß. Das bringt einmal die
^age zwischen den kriegführenden Großmächten und dann die innerpolitische
Spannung so mit sich, die durch Brantings Streben zur Macht ins Land ge¬
tragen wird. Schwedens gegenwärtige Negierung will zunächst lediglich freie
Hand behalten, da und dann einzugreifen, wo schwedische Interessen direkt
berührt werden,' im übrigen die Kriegsentwicklung abwartend, niemand zu¬
liebe und niemand zuleide I

Faßt man diese Taktik im Rahmen der Weltlage ins Auge, so könnte
niam zu der Auffassung kommen, daß für ihre Betätigung nur ein recht eng¬
begrenztes Gebiet offen bleibt.

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Politik der aktiven Neutralität
^ in der Handels- und Finanzpolitik zu erschöpfen. Wenigstens gelangt
"avon am meisten an die Öffentlichkeit. Bei näherem Zusehen und Vertiefung
^ die schwedische Geschichte des letzten Jahrhunderts wird man dagegen finden,
baß das Wirkungsgebiet größer geworden ist als es vor dem Kriege war,
"ud daß die Hilfsmittel, die hinter jeder auswärtigen Politik stehen müssen,
w drei Kriegsjahren auch in Schweden merklich gewachsen find. Daß auch


Schwedische Stimmungen

Osten verteidigte. Das neue Deutschland schien 1914 die alte Aufgabe Preußens
als Vormacht -des westlichen Kulturkreises gegen Moskau, in der jenes einst
Schweden abgelöst hatte, endlich wieder ausgenommen zu haben, nachdem es
diese Aufgabe durch ein Jahrhundert im Bund mit dem Zarismus verneint
hatte. Die russische Gefahr war Schweden seit der Vergewaltigung Finnlands
M Jahre 1897 durch Nußland greifbar nahegerückt worden. Sie war es, die
alle historisch gebildeten, weitblickenden Politiker, sowie König Gustav und die
Königin Viktoria, die Armee und den führenden Teil der Presse auf den Plan
und an die Seite Deutschlands gerufen hatte.

Wirtschaftskrieg ist etwas anderes wie die Verteidigung der Kultur,—der Wirt-
schaftskrieg hat auch noch andere Mittel als die Mobilisierung der Armee und Blut¬
opfer. Darum sind dieSchwcden neutral geblieben und haben dreiJahrenachKriegs-
beginn allem Anschein nach kein „zusammenschließendes außenpolitisches Ziel".
Dder: sie leben in steter Besorgnis, sich bei allen ihren politischen Zielen, ob
ste als Skandinavismus oder Ostseefrage auftreten, die Flanke gegen das wirt¬
schaftliche Deutschland decken zu müssen, ein politisches Argument, das von
unseren angelsächsischen Feinden mit rücksichtsloser Zähigkeit immer wieder in
die innerpolitischen Kämpfe des Landes hineingetrieben wird.

Schwedens gegenwärtige Politik geht unter der Losung: aktive Neu¬
tralität! Was darunter zu verstehen sei, hat Herr Lindenau, Schwedens
Außenminister, kürzlich in glänzender Rede dargetan. Die schwedische Negierung
läßt sich danach ausschließlich von Gesichtspunkten leiten, die nach ihrer Auf¬
fassung geeignet sind, den Interessen des schwedischen Volkes zu dienen. Eine
Selbstverständlichkeit, über die eigentlich kein Wort verloren werden sollte; das
Bezeichnende daran ist denn auch der Umstand, daß die Regierung diese ihre
pflichtgemäße Haltung noch besonders erläutern muß. Das bringt einmal die
^age zwischen den kriegführenden Großmächten und dann die innerpolitische
Spannung so mit sich, die durch Brantings Streben zur Macht ins Land ge¬
tragen wird. Schwedens gegenwärtige Negierung will zunächst lediglich freie
Hand behalten, da und dann einzugreifen, wo schwedische Interessen direkt
berührt werden,' im übrigen die Kriegsentwicklung abwartend, niemand zu¬
liebe und niemand zuleide I

Faßt man diese Taktik im Rahmen der Weltlage ins Auge, so könnte
niam zu der Auffassung kommen, daß für ihre Betätigung nur ein recht eng¬
begrenztes Gebiet offen bleibt.

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Politik der aktiven Neutralität
^ in der Handels- und Finanzpolitik zu erschöpfen. Wenigstens gelangt
"avon am meisten an die Öffentlichkeit. Bei näherem Zusehen und Vertiefung
^ die schwedische Geschichte des letzten Jahrhunderts wird man dagegen finden,
baß das Wirkungsgebiet größer geworden ist als es vor dem Kriege war,
"ud daß die Hilfsmittel, die hinter jeder auswärtigen Politik stehen müssen,
w drei Kriegsjahren auch in Schweden merklich gewachsen find. Daß auch


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[0369] Schwedische Stimmungen Osten verteidigte. Das neue Deutschland schien 1914 die alte Aufgabe Preußens als Vormacht -des westlichen Kulturkreises gegen Moskau, in der jenes einst Schweden abgelöst hatte, endlich wieder ausgenommen zu haben, nachdem es diese Aufgabe durch ein Jahrhundert im Bund mit dem Zarismus verneint hatte. Die russische Gefahr war Schweden seit der Vergewaltigung Finnlands M Jahre 1897 durch Nußland greifbar nahegerückt worden. Sie war es, die alle historisch gebildeten, weitblickenden Politiker, sowie König Gustav und die Königin Viktoria, die Armee und den führenden Teil der Presse auf den Plan und an die Seite Deutschlands gerufen hatte. Wirtschaftskrieg ist etwas anderes wie die Verteidigung der Kultur,—der Wirt- schaftskrieg hat auch noch andere Mittel als die Mobilisierung der Armee und Blut¬ opfer. Darum sind dieSchwcden neutral geblieben und haben dreiJahrenachKriegs- beginn allem Anschein nach kein „zusammenschließendes außenpolitisches Ziel". Dder: sie leben in steter Besorgnis, sich bei allen ihren politischen Zielen, ob ste als Skandinavismus oder Ostseefrage auftreten, die Flanke gegen das wirt¬ schaftliche Deutschland decken zu müssen, ein politisches Argument, das von unseren angelsächsischen Feinden mit rücksichtsloser Zähigkeit immer wieder in die innerpolitischen Kämpfe des Landes hineingetrieben wird. Schwedens gegenwärtige Politik geht unter der Losung: aktive Neu¬ tralität! Was darunter zu verstehen sei, hat Herr Lindenau, Schwedens Außenminister, kürzlich in glänzender Rede dargetan. Die schwedische Negierung läßt sich danach ausschließlich von Gesichtspunkten leiten, die nach ihrer Auf¬ fassung geeignet sind, den Interessen des schwedischen Volkes zu dienen. Eine Selbstverständlichkeit, über die eigentlich kein Wort verloren werden sollte; das Bezeichnende daran ist denn auch der Umstand, daß die Regierung diese ihre pflichtgemäße Haltung noch besonders erläutern muß. Das bringt einmal die ^age zwischen den kriegführenden Großmächten und dann die innerpolitische Spannung so mit sich, die durch Brantings Streben zur Macht ins Land ge¬ tragen wird. Schwedens gegenwärtige Negierung will zunächst lediglich freie Hand behalten, da und dann einzugreifen, wo schwedische Interessen direkt berührt werden,' im übrigen die Kriegsentwicklung abwartend, niemand zu¬ liebe und niemand zuleide I Faßt man diese Taktik im Rahmen der Weltlage ins Auge, so könnte niam zu der Auffassung kommen, daß für ihre Betätigung nur ein recht eng¬ begrenztes Gebiet offen bleibt. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Politik der aktiven Neutralität ^ in der Handels- und Finanzpolitik zu erschöpfen. Wenigstens gelangt "avon am meisten an die Öffentlichkeit. Bei näherem Zusehen und Vertiefung ^ die schwedische Geschichte des letzten Jahrhunderts wird man dagegen finden, baß das Wirkungsgebiet größer geworden ist als es vor dem Kriege war, "ud daß die Hilfsmittel, die hinter jeder auswärtigen Politik stehen müssen, w drei Kriegsjahren auch in Schweden merklich gewachsen find. Daß auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/369>, abgerufen am 03.07.2024.