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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Schwedische Stimmungen

wuchsen wohl die ersten Bedenken auf, ob die eben in der Reform befindliche
Armee schon als ein Faktor in die Welttragödie eingreifen konnte, mächtig
genug, um Schweden den von den Aktivisten erwarteten politischen Nutzen auch
wirklich zu erkämpfen. Herr Wallenberg konnte seine Politik wiederholt gegen
die Angriffe der Aktivisten verteidigen mit Gründen, die der Chef des General¬
stabs herbeischaffte. Den Bedächtigeren kamen politische Argumente zu Hilfe,
die Deutschland selbst gegen die Beweise der Aktivisten lieferte.

Nach anfänglicher würdevoller Einigkeit hinter den Fronten hatte sich dort
ein hitziger Kampf der Geister um die Frage, welches Deutschlands Hauptfeind
sei, erhoben. Hieß es zu Anfang scheinbar einmütig: Rußland der Feind!,
so war es dem Grafen Reventlow und Georg Bernhard bald gelungen, diese
Einmütigkeit zu untergraben: sie bewiesen, daß England der Feind sei, der
niedergerungen werden müsse. Und während sie des Reichskanzlers Verständi¬
gungswillen mit Großbritannien verhöhnten, wirkten sie für eine Verständigung
mit Rußland. Besonders Bernhards Darlegungen in der "Vossischen Zeitung"
machten -- ich folge hier den mündlichen Ausführungen eines der jetzigen
schwedischen Regierung nahestehenden Politikers -- auf das schwedische Publikum,
soweit es politisch überhaupt in Frage kam, einen tiefen Eindruck. Da be¬
stätigten ja die Deutschen selbst Herrn Wallenbergs Auffassung, daß in dem
Kriege nicht so sehr um Kulturideale gerungen würde, wie die Aktivisten glauben
machen wollten, als vielmehr um die wirtschaftliche Hegemonie gewisser Mächte!
Bei Kriegsausbruch schien es, besonders auch unter dem Eindruck der nun
durch die Aussagen von Januschkjewitsch im Ssuchomlinowprozeß erklärten wort¬
brüchigen Haltung des Zaren Nikolaus, als sei Deutschland einmal von der
russischen Negierung dazu gezwungen, nunmehr entschlossen, die germanische
Kulturfrage gegen Osten aufzuwerfen. (Wie bekannt lag eine solche Stellung¬
nahme gar nicht auf dem Wege unserer großen Politik, da sie nur der pan-
slawistischen Propaganda zugute gekommen wäre, während wir doch darauf
angewiesen waren mit mehreren slawischen Völkern zusammen gegen den
Petrograder Zarismus aufzutreten.) Das anfängliche Vordringen in Belgien
und Frankreich galt als strategisches Vorspiel, erklärlich mit dem russisch-fran¬
zösischen Bündnis. Bethmann Hollwegs Bedauern über die Notwendigkeit
des deutschen Einmarsches in Belgien und die von ihm bekundete Bereit¬
willigkeit der deutschen Regierung, den dem neutralen Lande zugefügten Schaden
zu ersetzen, bestärkten die schwedischen Konservativen in ihrer Auffassung, daß
Deutschlands Hauptfront nach Osten gerichtet war. Das Bild zielbewußter
Geschlossenheit der deutschen Politik fand auch seinen stilgerechten Rahmen, als
Hindenburg sich über die Russen hermachte und sie auf denselben Schlacht¬
feldern schlug, auf denen Karl der Zwölfte die Kultur des Westens gegen den


Bd. I, S. 290/91, betrug die Zahl der militärisch ausgebildeten kriegspflichtigen Bürger im
Jahre 1913 rund 600 000 Mann; davon waren 250 000 Stamm und Erstes Ausgebot,
90 000 Zweites Aufgebot und 165 000 Landsturm. Artillerie besaß kein Geschütz über 14,91 om.
Schwedische Stimmungen

wuchsen wohl die ersten Bedenken auf, ob die eben in der Reform befindliche
Armee schon als ein Faktor in die Welttragödie eingreifen konnte, mächtig
genug, um Schweden den von den Aktivisten erwarteten politischen Nutzen auch
wirklich zu erkämpfen. Herr Wallenberg konnte seine Politik wiederholt gegen
die Angriffe der Aktivisten verteidigen mit Gründen, die der Chef des General¬
stabs herbeischaffte. Den Bedächtigeren kamen politische Argumente zu Hilfe,
die Deutschland selbst gegen die Beweise der Aktivisten lieferte.

Nach anfänglicher würdevoller Einigkeit hinter den Fronten hatte sich dort
ein hitziger Kampf der Geister um die Frage, welches Deutschlands Hauptfeind
sei, erhoben. Hieß es zu Anfang scheinbar einmütig: Rußland der Feind!,
so war es dem Grafen Reventlow und Georg Bernhard bald gelungen, diese
Einmütigkeit zu untergraben: sie bewiesen, daß England der Feind sei, der
niedergerungen werden müsse. Und während sie des Reichskanzlers Verständi¬
gungswillen mit Großbritannien verhöhnten, wirkten sie für eine Verständigung
mit Rußland. Besonders Bernhards Darlegungen in der „Vossischen Zeitung"
machten — ich folge hier den mündlichen Ausführungen eines der jetzigen
schwedischen Regierung nahestehenden Politikers — auf das schwedische Publikum,
soweit es politisch überhaupt in Frage kam, einen tiefen Eindruck. Da be¬
stätigten ja die Deutschen selbst Herrn Wallenbergs Auffassung, daß in dem
Kriege nicht so sehr um Kulturideale gerungen würde, wie die Aktivisten glauben
machen wollten, als vielmehr um die wirtschaftliche Hegemonie gewisser Mächte!
Bei Kriegsausbruch schien es, besonders auch unter dem Eindruck der nun
durch die Aussagen von Januschkjewitsch im Ssuchomlinowprozeß erklärten wort¬
brüchigen Haltung des Zaren Nikolaus, als sei Deutschland einmal von der
russischen Negierung dazu gezwungen, nunmehr entschlossen, die germanische
Kulturfrage gegen Osten aufzuwerfen. (Wie bekannt lag eine solche Stellung¬
nahme gar nicht auf dem Wege unserer großen Politik, da sie nur der pan-
slawistischen Propaganda zugute gekommen wäre, während wir doch darauf
angewiesen waren mit mehreren slawischen Völkern zusammen gegen den
Petrograder Zarismus aufzutreten.) Das anfängliche Vordringen in Belgien
und Frankreich galt als strategisches Vorspiel, erklärlich mit dem russisch-fran¬
zösischen Bündnis. Bethmann Hollwegs Bedauern über die Notwendigkeit
des deutschen Einmarsches in Belgien und die von ihm bekundete Bereit¬
willigkeit der deutschen Regierung, den dem neutralen Lande zugefügten Schaden
zu ersetzen, bestärkten die schwedischen Konservativen in ihrer Auffassung, daß
Deutschlands Hauptfront nach Osten gerichtet war. Das Bild zielbewußter
Geschlossenheit der deutschen Politik fand auch seinen stilgerechten Rahmen, als
Hindenburg sich über die Russen hermachte und sie auf denselben Schlacht¬
feldern schlug, auf denen Karl der Zwölfte die Kultur des Westens gegen den


Bd. I, S. 290/91, betrug die Zahl der militärisch ausgebildeten kriegspflichtigen Bürger im
Jahre 1913 rund 600 000 Mann; davon waren 250 000 Stamm und Erstes Ausgebot,
90 000 Zweites Aufgebot und 165 000 Landsturm. Artillerie besaß kein Geschütz über 14,91 om.
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[0368] Schwedische Stimmungen wuchsen wohl die ersten Bedenken auf, ob die eben in der Reform befindliche Armee schon als ein Faktor in die Welttragödie eingreifen konnte, mächtig genug, um Schweden den von den Aktivisten erwarteten politischen Nutzen auch wirklich zu erkämpfen. Herr Wallenberg konnte seine Politik wiederholt gegen die Angriffe der Aktivisten verteidigen mit Gründen, die der Chef des General¬ stabs herbeischaffte. Den Bedächtigeren kamen politische Argumente zu Hilfe, die Deutschland selbst gegen die Beweise der Aktivisten lieferte. Nach anfänglicher würdevoller Einigkeit hinter den Fronten hatte sich dort ein hitziger Kampf der Geister um die Frage, welches Deutschlands Hauptfeind sei, erhoben. Hieß es zu Anfang scheinbar einmütig: Rußland der Feind!, so war es dem Grafen Reventlow und Georg Bernhard bald gelungen, diese Einmütigkeit zu untergraben: sie bewiesen, daß England der Feind sei, der niedergerungen werden müsse. Und während sie des Reichskanzlers Verständi¬ gungswillen mit Großbritannien verhöhnten, wirkten sie für eine Verständigung mit Rußland. Besonders Bernhards Darlegungen in der „Vossischen Zeitung" machten — ich folge hier den mündlichen Ausführungen eines der jetzigen schwedischen Regierung nahestehenden Politikers — auf das schwedische Publikum, soweit es politisch überhaupt in Frage kam, einen tiefen Eindruck. Da be¬ stätigten ja die Deutschen selbst Herrn Wallenbergs Auffassung, daß in dem Kriege nicht so sehr um Kulturideale gerungen würde, wie die Aktivisten glauben machen wollten, als vielmehr um die wirtschaftliche Hegemonie gewisser Mächte! Bei Kriegsausbruch schien es, besonders auch unter dem Eindruck der nun durch die Aussagen von Januschkjewitsch im Ssuchomlinowprozeß erklärten wort¬ brüchigen Haltung des Zaren Nikolaus, als sei Deutschland einmal von der russischen Negierung dazu gezwungen, nunmehr entschlossen, die germanische Kulturfrage gegen Osten aufzuwerfen. (Wie bekannt lag eine solche Stellung¬ nahme gar nicht auf dem Wege unserer großen Politik, da sie nur der pan- slawistischen Propaganda zugute gekommen wäre, während wir doch darauf angewiesen waren mit mehreren slawischen Völkern zusammen gegen den Petrograder Zarismus aufzutreten.) Das anfängliche Vordringen in Belgien und Frankreich galt als strategisches Vorspiel, erklärlich mit dem russisch-fran¬ zösischen Bündnis. Bethmann Hollwegs Bedauern über die Notwendigkeit des deutschen Einmarsches in Belgien und die von ihm bekundete Bereit¬ willigkeit der deutschen Regierung, den dem neutralen Lande zugefügten Schaden zu ersetzen, bestärkten die schwedischen Konservativen in ihrer Auffassung, daß Deutschlands Hauptfront nach Osten gerichtet war. Das Bild zielbewußter Geschlossenheit der deutschen Politik fand auch seinen stilgerechten Rahmen, als Hindenburg sich über die Russen hermachte und sie auf denselben Schlacht¬ feldern schlug, auf denen Karl der Zwölfte die Kultur des Westens gegen den Bd. I, S. 290/91, betrug die Zahl der militärisch ausgebildeten kriegspflichtigen Bürger im Jahre 1913 rund 600 000 Mann; davon waren 250 000 Stamm und Erstes Ausgebot, 90 000 Zweites Aufgebot und 165 000 Landsturm. Artillerie besaß kein Geschütz über 14,91 om.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/368>, abgerufen am 01.07.2024.