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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Schwedische Stimmungen

Deutschlands Haltung, die auf einem hohen Gleichklang der beiderseitigen Inter¬
essen beruht, Schwedens Bewegungsfreiheit in seinen eigensten politischen Zielen
begünstigt, will ich als sorgsamer Chronist nicht verschweigen. Die Frage
ist nur. ob dle Leiter der schwedischen Politik sich dieser günstigen Lage auch
bewußt sind und ob sie schon das Ziel ins Auge gefaßt haben, auf das sie
die neuen Kräfte anzusetzen gedenken. Ich glaube nicht, daß es uns zukommt,
sie belehren zu wollen, um so weniger, als genug Anzeichen dafür vorhanden sind, die
das Zielsichere ihrer Haltung und die Richtigkeit der angewandten Taktik bezeugen.
Die Parteimänner im Innern und jene Kreise in Großbritannien und Nord¬
amerika, die Schweden zur offenen Parteinahme für sich gewinnen wollen,
denken darüber anders. Sie sind eben allesamt Parteimänner und wünschen
die schwedische Politik ihren Sonderabsichten nutzbar zu machen. Und wie sich
die Ententemächte und die innerpolitischen Gegner der jetzigen Regierung dabei
Hand in Hand arbeiten, davon geben die Wahlkämpfe, die gegenwärtig hier
ausgefochten werden, und in die Amerika seine "Enthüllungen" hineintelegraphiert,
ein anschauliches Bild.

Während diese Zeilen der deutschen Öffentlichkeit vorgelegt werden, dürste
das Wahlergebnis bereits vorliegen; ich muß daher doppelt vorsichtig mit
Prophezeiungen sein. Aber auch die Verhältnisse in Schweden selbst legen mir
größte Zurückhaltung auf: es fehlt eigentlich allen Parteien an zündenden
positiven Parolen, aus denen Schlüsse auf die mögliche Zahl der Stimmen
gezogen werden könnten. In friedlichen Zeiten hätten vielleicht die Liberalen
eine solche mit ihrem Anspruch auf weitere Parlamentarisierung des Regierungs-
geschästs. Gegenwärtig treten indessen rein politische Forderungen hinter die
reinen Magenfragen zurück, und die Liberalen müssen sich schon der sozialistischen
Krücken bedienen, um ihren Einfluß im Parlamente zu vergrößern. Die Konser¬
vativen sind durch das Hervordrängen der Ernährungsfrage doch auch wegen
ihrer deutschen Sympathien, dann wegen ihrer klaren Haltung in der Frage der
Armeereform vor dem Kriege und ihres sozialen Zusammenhanges mit den
Hauptproduzenten des Landes in Industrie und Landwirtschaft so gut wie
ganz in die Verteidigung gedrängt, aus der kühne Vorstöße zu wage"
Zeit und Umstände wenig Gelegenheit bieten. Und doch mache ich mich keiner
schiefen Berichterstattung schuldig, wenn ich schreibe: Die Konservativen sind
die einzige Partei, welche klarsehend die Regierung in ihrem mühevollen Streben
stützen, dem schwedischen Reiche die Unabhängigkeit zu erhalten.-

Allgemein betrachtet, läßt sich nicht leugnen, daß die Sozialisten um Bran
ting von allen Parteien unter den günstigsten Bedingungen kämpfen. Sie haben
die wirksamsten Parolen zur Betörung der Massen zur Hand: den Krieg als Ur¬
sache der Krise auf dem Arbeitsmarkt. den deutschen U-Bootkrieg besonders als
Verteurer der Lebensmittel zur Propaganda gegen die Mittelmächte, den Lebens¬
mittelwucher als Kampfmittel gegen die Landwirte und Industriellen, "ut
die Verdächtigung der Rechten und der Regierung Lindmanns als Kriegs-


Schwedische Stimmungen

Deutschlands Haltung, die auf einem hohen Gleichklang der beiderseitigen Inter¬
essen beruht, Schwedens Bewegungsfreiheit in seinen eigensten politischen Zielen
begünstigt, will ich als sorgsamer Chronist nicht verschweigen. Die Frage
ist nur. ob dle Leiter der schwedischen Politik sich dieser günstigen Lage auch
bewußt sind und ob sie schon das Ziel ins Auge gefaßt haben, auf das sie
die neuen Kräfte anzusetzen gedenken. Ich glaube nicht, daß es uns zukommt,
sie belehren zu wollen, um so weniger, als genug Anzeichen dafür vorhanden sind, die
das Zielsichere ihrer Haltung und die Richtigkeit der angewandten Taktik bezeugen.
Die Parteimänner im Innern und jene Kreise in Großbritannien und Nord¬
amerika, die Schweden zur offenen Parteinahme für sich gewinnen wollen,
denken darüber anders. Sie sind eben allesamt Parteimänner und wünschen
die schwedische Politik ihren Sonderabsichten nutzbar zu machen. Und wie sich
die Ententemächte und die innerpolitischen Gegner der jetzigen Regierung dabei
Hand in Hand arbeiten, davon geben die Wahlkämpfe, die gegenwärtig hier
ausgefochten werden, und in die Amerika seine „Enthüllungen" hineintelegraphiert,
ein anschauliches Bild.

Während diese Zeilen der deutschen Öffentlichkeit vorgelegt werden, dürste
das Wahlergebnis bereits vorliegen; ich muß daher doppelt vorsichtig mit
Prophezeiungen sein. Aber auch die Verhältnisse in Schweden selbst legen mir
größte Zurückhaltung auf: es fehlt eigentlich allen Parteien an zündenden
positiven Parolen, aus denen Schlüsse auf die mögliche Zahl der Stimmen
gezogen werden könnten. In friedlichen Zeiten hätten vielleicht die Liberalen
eine solche mit ihrem Anspruch auf weitere Parlamentarisierung des Regierungs-
geschästs. Gegenwärtig treten indessen rein politische Forderungen hinter die
reinen Magenfragen zurück, und die Liberalen müssen sich schon der sozialistischen
Krücken bedienen, um ihren Einfluß im Parlamente zu vergrößern. Die Konser¬
vativen sind durch das Hervordrängen der Ernährungsfrage doch auch wegen
ihrer deutschen Sympathien, dann wegen ihrer klaren Haltung in der Frage der
Armeereform vor dem Kriege und ihres sozialen Zusammenhanges mit den
Hauptproduzenten des Landes in Industrie und Landwirtschaft so gut wie
ganz in die Verteidigung gedrängt, aus der kühne Vorstöße zu wage»
Zeit und Umstände wenig Gelegenheit bieten. Und doch mache ich mich keiner
schiefen Berichterstattung schuldig, wenn ich schreibe: Die Konservativen sind
die einzige Partei, welche klarsehend die Regierung in ihrem mühevollen Streben
stützen, dem schwedischen Reiche die Unabhängigkeit zu erhalten.-

Allgemein betrachtet, läßt sich nicht leugnen, daß die Sozialisten um Bran
ting von allen Parteien unter den günstigsten Bedingungen kämpfen. Sie haben
die wirksamsten Parolen zur Betörung der Massen zur Hand: den Krieg als Ur¬
sache der Krise auf dem Arbeitsmarkt. den deutschen U-Bootkrieg besonders als
Verteurer der Lebensmittel zur Propaganda gegen die Mittelmächte, den Lebens¬
mittelwucher als Kampfmittel gegen die Landwirte und Industriellen, »ut
die Verdächtigung der Rechten und der Regierung Lindmanns als Kriegs-


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[0370] Schwedische Stimmungen Deutschlands Haltung, die auf einem hohen Gleichklang der beiderseitigen Inter¬ essen beruht, Schwedens Bewegungsfreiheit in seinen eigensten politischen Zielen begünstigt, will ich als sorgsamer Chronist nicht verschweigen. Die Frage ist nur. ob dle Leiter der schwedischen Politik sich dieser günstigen Lage auch bewußt sind und ob sie schon das Ziel ins Auge gefaßt haben, auf das sie die neuen Kräfte anzusetzen gedenken. Ich glaube nicht, daß es uns zukommt, sie belehren zu wollen, um so weniger, als genug Anzeichen dafür vorhanden sind, die das Zielsichere ihrer Haltung und die Richtigkeit der angewandten Taktik bezeugen. Die Parteimänner im Innern und jene Kreise in Großbritannien und Nord¬ amerika, die Schweden zur offenen Parteinahme für sich gewinnen wollen, denken darüber anders. Sie sind eben allesamt Parteimänner und wünschen die schwedische Politik ihren Sonderabsichten nutzbar zu machen. Und wie sich die Ententemächte und die innerpolitischen Gegner der jetzigen Regierung dabei Hand in Hand arbeiten, davon geben die Wahlkämpfe, die gegenwärtig hier ausgefochten werden, und in die Amerika seine „Enthüllungen" hineintelegraphiert, ein anschauliches Bild. Während diese Zeilen der deutschen Öffentlichkeit vorgelegt werden, dürste das Wahlergebnis bereits vorliegen; ich muß daher doppelt vorsichtig mit Prophezeiungen sein. Aber auch die Verhältnisse in Schweden selbst legen mir größte Zurückhaltung auf: es fehlt eigentlich allen Parteien an zündenden positiven Parolen, aus denen Schlüsse auf die mögliche Zahl der Stimmen gezogen werden könnten. In friedlichen Zeiten hätten vielleicht die Liberalen eine solche mit ihrem Anspruch auf weitere Parlamentarisierung des Regierungs- geschästs. Gegenwärtig treten indessen rein politische Forderungen hinter die reinen Magenfragen zurück, und die Liberalen müssen sich schon der sozialistischen Krücken bedienen, um ihren Einfluß im Parlamente zu vergrößern. Die Konser¬ vativen sind durch das Hervordrängen der Ernährungsfrage doch auch wegen ihrer deutschen Sympathien, dann wegen ihrer klaren Haltung in der Frage der Armeereform vor dem Kriege und ihres sozialen Zusammenhanges mit den Hauptproduzenten des Landes in Industrie und Landwirtschaft so gut wie ganz in die Verteidigung gedrängt, aus der kühne Vorstöße zu wage» Zeit und Umstände wenig Gelegenheit bieten. Und doch mache ich mich keiner schiefen Berichterstattung schuldig, wenn ich schreibe: Die Konservativen sind die einzige Partei, welche klarsehend die Regierung in ihrem mühevollen Streben stützen, dem schwedischen Reiche die Unabhängigkeit zu erhalten.- Allgemein betrachtet, läßt sich nicht leugnen, daß die Sozialisten um Bran ting von allen Parteien unter den günstigsten Bedingungen kämpfen. Sie haben die wirksamsten Parolen zur Betörung der Massen zur Hand: den Krieg als Ur¬ sache der Krise auf dem Arbeitsmarkt. den deutschen U-Bootkrieg besonders als Verteurer der Lebensmittel zur Propaganda gegen die Mittelmächte, den Lebens¬ mittelwucher als Kampfmittel gegen die Landwirte und Industriellen, »ut die Verdächtigung der Rechten und der Regierung Lindmanns als Kriegs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/370>, abgerufen am 03.07.2024.