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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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"In Schweden überraschte die Weltkrise ein Volk, das seit Jahrzehnten
nicht mehr daran gewöhnt ist, außenpolitisch zu denken und sich nun gezwungen
sieht, in einem europäischen Konflikt Partei zu ergreifen. Ein Volk ohne zu¬
sammenschließende außenpolitische Ziele und ohne jene Stärke und Spannkraft,
die der abhärtende Kampf für die Aufgaben des Reiches verleiht." So ur-
teilte ein Schwede, der seine Landsleute aufforderte, sich der Verantwortung für
die Freiheit und Sicherheit der schwedischen Kultur bewußt zu sein und dafür
mit Gut und Blut einzutreten, "wenn die Not es verlangt"*). Geschrieben
wurden diese Sätze zu einer Zeit, wo der erste Überschwang, der Schweden an
die Seite Deutschlands führen sollte, bereits stark abgeebt hatte und der kon¬
servative, historisch durchgebildete Hamerskjold längst durch den liberalen Finanz¬
mann Wallenberg im Amt des Außenministers abgelöst war. Kriegserfahrungen
und politische Enttäuschungen und nicht zuletzt Herrn Wallenbergs auf das Nächste
gerichtete Neutralitätspolitik hatten das am Tage des Zusammenbruches der
deutsch-russischen Freundschaft jäh vor die Schweden gestellte "zusammenschließende
außenpolitische Ziel", das ein starkes, erstrebenswertes Kriegsziel sein konnte,
nämlich den offenen Anschluß an Deutschland für Kriegsdauer und damit an Mittel-
europa über den Krieg hinaus, allmählich zerflattern lassen. Der zusammen¬
fassende Geist, der s. Zt. viele tausend Bauern vor das Königsschloß zu Stockholm
getrieben hatte, um der Armeereform eine Gasse zu schlagen, war auseinander¬
gestoben in tausend wirtschaftliche und politische Einzelinteressen.

Es hieße Wallenbergs Einfluß weit überschätzen, wollte man ihn allein für
den Stimmungsumschwung in Schweden verantwortlich machen. Bei allen seinen
starken Eigenschaften wäre ihm solches nicht gelungen, wenn nicht an anderen
Stellen und gerade zu der Zeit, als Schwedens Anschluß an die Mittel¬
mächte ausgemachte Sache schien, besonders im Sommer 1915 zur Zeit
der großen Offensive Hindenburgs in Galizien. Polen und Litauen, alle
die Gründe erstarkten, die dagegen sprachen oder wenigstens zu bedäch¬
tigem Prüfen aller Umstände drängten. Als die politische Stimmung im
Lande sich zu dem Entschluß zur Teilnahme kristallisiert hatte, fingen die
Berichte der schwedischen Generalstäbler, die dem Ringen auf allen Fronten
und bei allen Nationen aufmerksam gefolgt waren, an. in Stockholm einzu¬
treffen. Sie erzählten von ungeahnten Ausmaßen, die die Kämpfe angenommen
hatten, von dem ungeheuren Aufwand an Munition und Material, von der
Notwendigkeit feinster, nur in Jahre währender Übung möglichen Durchbildung
aller Truppenteile und der technischen Hilfsmittel, die der moderne Krieg be-
ansprucht.**) Im Schoße der militärischen Sachverständigen der Negierung




SchwedischeStimmen zum Weltkrieg". Übersetzt und mit einem Vorwort der-
s°hin "vn Dr. Friedrich Stieve. II. Aufl. Druck und Verlag bei G. B. Teubner, Leipzig
und Berlin 1916. S. 191.
**) Nach dem im Auftrage der schwedischen Regierung, 1913. non I. Gmnchard heraus¬
gegebenen trefflichen historisch-statistischen Handbuch "Schweden"; zweite (deutsche) Ausgabe.
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„In Schweden überraschte die Weltkrise ein Volk, das seit Jahrzehnten
nicht mehr daran gewöhnt ist, außenpolitisch zu denken und sich nun gezwungen
sieht, in einem europäischen Konflikt Partei zu ergreifen. Ein Volk ohne zu¬
sammenschließende außenpolitische Ziele und ohne jene Stärke und Spannkraft,
die der abhärtende Kampf für die Aufgaben des Reiches verleiht." So ur-
teilte ein Schwede, der seine Landsleute aufforderte, sich der Verantwortung für
die Freiheit und Sicherheit der schwedischen Kultur bewußt zu sein und dafür
mit Gut und Blut einzutreten, „wenn die Not es verlangt"*). Geschrieben
wurden diese Sätze zu einer Zeit, wo der erste Überschwang, der Schweden an
die Seite Deutschlands führen sollte, bereits stark abgeebt hatte und der kon¬
servative, historisch durchgebildete Hamerskjold längst durch den liberalen Finanz¬
mann Wallenberg im Amt des Außenministers abgelöst war. Kriegserfahrungen
und politische Enttäuschungen und nicht zuletzt Herrn Wallenbergs auf das Nächste
gerichtete Neutralitätspolitik hatten das am Tage des Zusammenbruches der
deutsch-russischen Freundschaft jäh vor die Schweden gestellte „zusammenschließende
außenpolitische Ziel", das ein starkes, erstrebenswertes Kriegsziel sein konnte,
nämlich den offenen Anschluß an Deutschland für Kriegsdauer und damit an Mittel-
europa über den Krieg hinaus, allmählich zerflattern lassen. Der zusammen¬
fassende Geist, der s. Zt. viele tausend Bauern vor das Königsschloß zu Stockholm
getrieben hatte, um der Armeereform eine Gasse zu schlagen, war auseinander¬
gestoben in tausend wirtschaftliche und politische Einzelinteressen.

Es hieße Wallenbergs Einfluß weit überschätzen, wollte man ihn allein für
den Stimmungsumschwung in Schweden verantwortlich machen. Bei allen seinen
starken Eigenschaften wäre ihm solches nicht gelungen, wenn nicht an anderen
Stellen und gerade zu der Zeit, als Schwedens Anschluß an die Mittel¬
mächte ausgemachte Sache schien, besonders im Sommer 1915 zur Zeit
der großen Offensive Hindenburgs in Galizien. Polen und Litauen, alle
die Gründe erstarkten, die dagegen sprachen oder wenigstens zu bedäch¬
tigem Prüfen aller Umstände drängten. Als die politische Stimmung im
Lande sich zu dem Entschluß zur Teilnahme kristallisiert hatte, fingen die
Berichte der schwedischen Generalstäbler, die dem Ringen auf allen Fronten
und bei allen Nationen aufmerksam gefolgt waren, an. in Stockholm einzu¬
treffen. Sie erzählten von ungeahnten Ausmaßen, die die Kämpfe angenommen
hatten, von dem ungeheuren Aufwand an Munition und Material, von der
Notwendigkeit feinster, nur in Jahre währender Übung möglichen Durchbildung
aller Truppenteile und der technischen Hilfsmittel, die der moderne Krieg be-
ansprucht.**) Im Schoße der militärischen Sachverständigen der Negierung




SchwedischeStimmen zum Weltkrieg". Übersetzt und mit einem Vorwort der-
s°hin »vn Dr. Friedrich Stieve. II. Aufl. Druck und Verlag bei G. B. Teubner, Leipzig
und Berlin 1916. S. 191.
**) Nach dem im Auftrage der schwedischen Regierung, 1913. non I. Gmnchard heraus¬
gegebenen trefflichen historisch-statistischen Handbuch „Schweden"; zweite (deutsche) Ausgabe.
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[0367] „In Schweden überraschte die Weltkrise ein Volk, das seit Jahrzehnten nicht mehr daran gewöhnt ist, außenpolitisch zu denken und sich nun gezwungen sieht, in einem europäischen Konflikt Partei zu ergreifen. Ein Volk ohne zu¬ sammenschließende außenpolitische Ziele und ohne jene Stärke und Spannkraft, die der abhärtende Kampf für die Aufgaben des Reiches verleiht." So ur- teilte ein Schwede, der seine Landsleute aufforderte, sich der Verantwortung für die Freiheit und Sicherheit der schwedischen Kultur bewußt zu sein und dafür mit Gut und Blut einzutreten, „wenn die Not es verlangt"*). Geschrieben wurden diese Sätze zu einer Zeit, wo der erste Überschwang, der Schweden an die Seite Deutschlands führen sollte, bereits stark abgeebt hatte und der kon¬ servative, historisch durchgebildete Hamerskjold längst durch den liberalen Finanz¬ mann Wallenberg im Amt des Außenministers abgelöst war. Kriegserfahrungen und politische Enttäuschungen und nicht zuletzt Herrn Wallenbergs auf das Nächste gerichtete Neutralitätspolitik hatten das am Tage des Zusammenbruches der deutsch-russischen Freundschaft jäh vor die Schweden gestellte „zusammenschließende außenpolitische Ziel", das ein starkes, erstrebenswertes Kriegsziel sein konnte, nämlich den offenen Anschluß an Deutschland für Kriegsdauer und damit an Mittel- europa über den Krieg hinaus, allmählich zerflattern lassen. Der zusammen¬ fassende Geist, der s. Zt. viele tausend Bauern vor das Königsschloß zu Stockholm getrieben hatte, um der Armeereform eine Gasse zu schlagen, war auseinander¬ gestoben in tausend wirtschaftliche und politische Einzelinteressen. Es hieße Wallenbergs Einfluß weit überschätzen, wollte man ihn allein für den Stimmungsumschwung in Schweden verantwortlich machen. Bei allen seinen starken Eigenschaften wäre ihm solches nicht gelungen, wenn nicht an anderen Stellen und gerade zu der Zeit, als Schwedens Anschluß an die Mittel¬ mächte ausgemachte Sache schien, besonders im Sommer 1915 zur Zeit der großen Offensive Hindenburgs in Galizien. Polen und Litauen, alle die Gründe erstarkten, die dagegen sprachen oder wenigstens zu bedäch¬ tigem Prüfen aller Umstände drängten. Als die politische Stimmung im Lande sich zu dem Entschluß zur Teilnahme kristallisiert hatte, fingen die Berichte der schwedischen Generalstäbler, die dem Ringen auf allen Fronten und bei allen Nationen aufmerksam gefolgt waren, an. in Stockholm einzu¬ treffen. Sie erzählten von ungeahnten Ausmaßen, die die Kämpfe angenommen hatten, von dem ungeheuren Aufwand an Munition und Material, von der Notwendigkeit feinster, nur in Jahre währender Übung möglichen Durchbildung aller Truppenteile und der technischen Hilfsmittel, die der moderne Krieg be- ansprucht.**) Im Schoße der militärischen Sachverständigen der Negierung SchwedischeStimmen zum Weltkrieg". Übersetzt und mit einem Vorwort der- s°hin »vn Dr. Friedrich Stieve. II. Aufl. Druck und Verlag bei G. B. Teubner, Leipzig und Berlin 1916. S. 191. **) Nach dem im Auftrage der schwedischen Regierung, 1913. non I. Gmnchard heraus¬ gegebenen trefflichen historisch-statistischen Handbuch „Schweden"; zweite (deutsche) Ausgabe. 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/367>, abgerufen am 29.06.2024.