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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Johann Friedrich August Tischbein und August Wilhelm Schlegel

Trotz der liebenswürdigen Aufforderung der beiden Ehegatten fand
Schlegel keine Zeit, im Herbste des Jahres 1795 nach Weimar zu kommen.
Kaum waren daher Tischbeins im Dezember nach Dessau übergesiedelt, als
Frau Sophie dem Freunde in einem ebenso launigen wie gehaltvollen Briefe
dringend ans Herz legt, die alten Amsterdamer Bekannten nun doch wenigstens,
falls er einmal von Braunschweig nach Leipzig reisen würde, von dort aus in
ihrem neuen Wohnsitze zu besuchen:

Dessau, den 14 ten December 1795

Da Sie werthester Freund aus Erfahrung wißen, wie wenig Zeit und
Muse man auf der Reise zum Schreiben hat, werden Sie unser langes
Stilschweigen gern verzeihen. Unsere Versetzung von Weimar nach Dessau hat
mich und Tischbein so sehr beschäftigt, daß an kein Schreiben zu denken war.
Unser Vornehmen war den Winter in Wseimar) zubringen, wie ich Ihnen in
meinem Brief sagte; allein das Schicksal hat uns noch ein wenig weiter
getrieben; es geht den Leuten die keine bleibende Stelle haben immer so, sie
solten nie bestimmen wie lange ihr Aufenthalt sein wird. Der Fürst von
Dessau hatte den Wunsch geäussert TiMbein^ so bald als möglich hier zu
sehen; einige andere Umstände dazu machten, das wier es auch vor vernünftiger
hielten dießmal in Wi^eimar^ abzubrechen und uns hier her zu verpflantzen-
Das ich anfänglich meinU Antwort aufschob war, weil wier uns wärmt dem
außerordentlich schönen Herbst immer mit der angenehmen Hoffnung schmeichelten
Sie vieleicht noch in Wei^mar^ zu sehen; es scheint aber Sie haben das schöne
Braunschweig nicht verlassen können. -- Ein klein wenig Rache war auch ein
wenig schuld das ich nicht früher schrib; denn haben Sie mich nicht erbärmlich
lange auf eine Antwort warten lassen? Und das in einem Zeitpunkt wie der
damalige. Sie wußten wie mich Hollands Schicksal intereßirte wie zugethan
ich übersandt der Politick war und das mir in metner Einsamkeit in
M^engeringhausen^ nichts angenehmeres würde gewesen sein als wenn Sie nur
recht viel von dort her erzält hätten. -- Demohngeachtet aber verließen Sie
Amsterdam, durchreißten halb Teutschland und schrieben mir immer nicht-
Wollen Sie wohl glauben das ich im Ernst oft glaubte Sie wären gestorben-
Mein Bruder reißte nach Hanover ihm gab ich die Comißion sich dort nach
Ihnen zu erkundigen und erfuhr durch ihn das Sie wirklich noch lebten, dor
gewesen wären^) aber schon damals wieder fort waren. Nun war ich hop'
ich hatte gehoft durch Sie so viel und so mancherlei von Amsterdam 6"
erfahren, und nun mußte die neugirige Frau auf alle die wigtigen politischen
Neuigkeiten Verzigt thun, worauf sie sich schon im Geist so lange gefreut hatte-
Jetz muß ich Ihnen sagen habe ich die Politick an den Hacken gedenckt (w^e
man zu sagen pflegt) ich lese so gar keine Zeitung mehr. Hätten Sie n?op



"°) Nach seiner Rückkehr aus Holland hatte Schlegel, bevor er nach Braunschweig g"^'
zunächst seine in Hannover lebende, seit zwei Jahren verwitwete Mutter besucht.
Johann Friedrich August Tischbein und August Wilhelm Schlegel

Trotz der liebenswürdigen Aufforderung der beiden Ehegatten fand
Schlegel keine Zeit, im Herbste des Jahres 1795 nach Weimar zu kommen.
Kaum waren daher Tischbeins im Dezember nach Dessau übergesiedelt, als
Frau Sophie dem Freunde in einem ebenso launigen wie gehaltvollen Briefe
dringend ans Herz legt, die alten Amsterdamer Bekannten nun doch wenigstens,
falls er einmal von Braunschweig nach Leipzig reisen würde, von dort aus in
ihrem neuen Wohnsitze zu besuchen:

Dessau, den 14 ten December 1795

Da Sie werthester Freund aus Erfahrung wißen, wie wenig Zeit und
Muse man auf der Reise zum Schreiben hat, werden Sie unser langes
Stilschweigen gern verzeihen. Unsere Versetzung von Weimar nach Dessau hat
mich und Tischbein so sehr beschäftigt, daß an kein Schreiben zu denken war.
Unser Vornehmen war den Winter in Wseimar) zubringen, wie ich Ihnen in
meinem Brief sagte; allein das Schicksal hat uns noch ein wenig weiter
getrieben; es geht den Leuten die keine bleibende Stelle haben immer so, sie
solten nie bestimmen wie lange ihr Aufenthalt sein wird. Der Fürst von
Dessau hatte den Wunsch geäussert TiMbein^ so bald als möglich hier zu
sehen; einige andere Umstände dazu machten, das wier es auch vor vernünftiger
hielten dießmal in Wi^eimar^ abzubrechen und uns hier her zu verpflantzen-
Das ich anfänglich meinU Antwort aufschob war, weil wier uns wärmt dem
außerordentlich schönen Herbst immer mit der angenehmen Hoffnung schmeichelten
Sie vieleicht noch in Wei^mar^ zu sehen; es scheint aber Sie haben das schöne
Braunschweig nicht verlassen können. — Ein klein wenig Rache war auch ein
wenig schuld das ich nicht früher schrib; denn haben Sie mich nicht erbärmlich
lange auf eine Antwort warten lassen? Und das in einem Zeitpunkt wie der
damalige. Sie wußten wie mich Hollands Schicksal intereßirte wie zugethan
ich übersandt der Politick war und das mir in metner Einsamkeit in
M^engeringhausen^ nichts angenehmeres würde gewesen sein als wenn Sie nur
recht viel von dort her erzält hätten. — Demohngeachtet aber verließen Sie
Amsterdam, durchreißten halb Teutschland und schrieben mir immer nicht-
Wollen Sie wohl glauben das ich im Ernst oft glaubte Sie wären gestorben-
Mein Bruder reißte nach Hanover ihm gab ich die Comißion sich dort nach
Ihnen zu erkundigen und erfuhr durch ihn das Sie wirklich noch lebten, dor
gewesen wären^) aber schon damals wieder fort waren. Nun war ich hop'
ich hatte gehoft durch Sie so viel und so mancherlei von Amsterdam 6"
erfahren, und nun mußte die neugirige Frau auf alle die wigtigen politischen
Neuigkeiten Verzigt thun, worauf sie sich schon im Geist so lange gefreut hatte-
Jetz muß ich Ihnen sagen habe ich die Politick an den Hacken gedenckt (w^e
man zu sagen pflegt) ich lese so gar keine Zeitung mehr. Hätten Sie n?op



«°) Nach seiner Rückkehr aus Holland hatte Schlegel, bevor er nach Braunschweig g«^'
zunächst seine in Hannover lebende, seit zwei Jahren verwitwete Mutter besucht.
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[0322] Johann Friedrich August Tischbein und August Wilhelm Schlegel Trotz der liebenswürdigen Aufforderung der beiden Ehegatten fand Schlegel keine Zeit, im Herbste des Jahres 1795 nach Weimar zu kommen. Kaum waren daher Tischbeins im Dezember nach Dessau übergesiedelt, als Frau Sophie dem Freunde in einem ebenso launigen wie gehaltvollen Briefe dringend ans Herz legt, die alten Amsterdamer Bekannten nun doch wenigstens, falls er einmal von Braunschweig nach Leipzig reisen würde, von dort aus in ihrem neuen Wohnsitze zu besuchen: Dessau, den 14 ten December 1795 Da Sie werthester Freund aus Erfahrung wißen, wie wenig Zeit und Muse man auf der Reise zum Schreiben hat, werden Sie unser langes Stilschweigen gern verzeihen. Unsere Versetzung von Weimar nach Dessau hat mich und Tischbein so sehr beschäftigt, daß an kein Schreiben zu denken war. Unser Vornehmen war den Winter in Wseimar) zubringen, wie ich Ihnen in meinem Brief sagte; allein das Schicksal hat uns noch ein wenig weiter getrieben; es geht den Leuten die keine bleibende Stelle haben immer so, sie solten nie bestimmen wie lange ihr Aufenthalt sein wird. Der Fürst von Dessau hatte den Wunsch geäussert TiMbein^ so bald als möglich hier zu sehen; einige andere Umstände dazu machten, das wier es auch vor vernünftiger hielten dießmal in Wi^eimar^ abzubrechen und uns hier her zu verpflantzen- Das ich anfänglich meinU Antwort aufschob war, weil wier uns wärmt dem außerordentlich schönen Herbst immer mit der angenehmen Hoffnung schmeichelten Sie vieleicht noch in Wei^mar^ zu sehen; es scheint aber Sie haben das schöne Braunschweig nicht verlassen können. — Ein klein wenig Rache war auch ein wenig schuld das ich nicht früher schrib; denn haben Sie mich nicht erbärmlich lange auf eine Antwort warten lassen? Und das in einem Zeitpunkt wie der damalige. Sie wußten wie mich Hollands Schicksal intereßirte wie zugethan ich übersandt der Politick war und das mir in metner Einsamkeit in M^engeringhausen^ nichts angenehmeres würde gewesen sein als wenn Sie nur recht viel von dort her erzält hätten. — Demohngeachtet aber verließen Sie Amsterdam, durchreißten halb Teutschland und schrieben mir immer nicht- Wollen Sie wohl glauben das ich im Ernst oft glaubte Sie wären gestorben- Mein Bruder reißte nach Hanover ihm gab ich die Comißion sich dort nach Ihnen zu erkundigen und erfuhr durch ihn das Sie wirklich noch lebten, dor gewesen wären^) aber schon damals wieder fort waren. Nun war ich hop' ich hatte gehoft durch Sie so viel und so mancherlei von Amsterdam 6" erfahren, und nun mußte die neugirige Frau auf alle die wigtigen politischen Neuigkeiten Verzigt thun, worauf sie sich schon im Geist so lange gefreut hatte- Jetz muß ich Ihnen sagen habe ich die Politick an den Hacken gedenckt (w^e man zu sagen pflegt) ich lese so gar keine Zeitung mehr. Hätten Sie n?op «°) Nach seiner Rückkehr aus Holland hatte Schlegel, bevor er nach Braunschweig g«^' zunächst seine in Hannover lebende, seit zwei Jahren verwitwete Mutter besucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/322>, abgerufen am 03.07.2024.