Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ist England steuermüde geworden?

livrer sollten sofort noch 30Millionen hinzugefügt werden. Jetzt, solange der Krieg
dauere, sei die Zeit der Ausschreibung neuer Steuern günstig; jetzt sei das Volk
noch geneigt, zu der Deckung der Kosten des Krieges durch hohe Steuern bei¬
zutragen. Die Abgaben auf Nahrungsmittel (ova-tuxes, womit der Redner
an Tee und Zucker gedacht haben wird) seien viel zu hoch; sie bedrückten
weite Volkskreise, deren Einkommen durch die Preissteigerungen eigentlich unter
das Existenzminimum gesunken wäre. Man solle höhere direkte Steuern aus¬
schreiben und die indirekten Steuern bei entbehrlichen Gegenständen erhöhen.

Major C. Collins bedauerte es lebhaft, daß der Schatzkanzler nicht den
Mut aufgebracht habe, den durch den Krieg notwendig gewordenen Ausgaben
mit höheren Einnahmen zu begegnen. Er habe gehofft, daß das Land zu
einem großen finanziellen Opfer aufgerufen werden würde (Vermögenssteuer?).
Wenn die Soldaten aus dem Kriege nach Hause kämen, würden sie eine große
Staatsschuld vorfinden. Man hätte ihnen dann nicht nur zugemutet, die
Schlachten zu schlagen, sondern käme ihnen jetzt auch noch damit, genau so viel
Steuern zu zahlen wie die, welche zuhause geblieben wären. Die Einkommen¬
steuer müsse unbedingt auf 6 s 2 et vom Pfund erhöht werden.

Mr. Outhwaite erklärte, daß nach dem Kriege ein großer Teil der gegen¬
wärtigen indirekten Besteuerung verschwinden müsse. Mit Friedensschluß werde
mau sich der Notwendigkeit gegenübergestellt sehen, die Einkommensteuer auf
10 s vom Pfund (!) zu erhöhen.

Wie aus diesen wenigen Zeugnissen ersichtlich, hat der Schätzkanzler es
an "Entschiedenheit" fehlen lassen. Er hat allerdings "seine guten Gründe"
für seine Zaghaftigkeit gehabt. Von bereits berührten Erwägungen abgesehen,
dachte er wohl, daß er auch so sein Auskommen finden würde, wiewohl er
sich bewußt sein mußte, daß er an manchen Stellen seines Voranschlages
-- bei den Einnahmen und bei den Ausgaben -- zu optimistisch gerechnet
haben könnte. Er trug sich offenbar mit der Annahme, daß die Ausgaben
zurückgingen; daß die Zuschüsse, welche England seinen Verbündeten gewähren
muß, nicht mehr so groß sein werden wie früher; daß er deren Ansprüche in
der Hauptsache auf die Vereinigten Staaten abschieben kann usw. Er rechnete
allem Anschein nach auch damit, daß England seine eigene Kriegführung dem¬
nächst verbilligen kann; daß mit den Vereinigten Staaten ein Abkommen zur
Eindämmung der Preissteigerung bei den Hauptartikeln, welche England drüben
kaufen muß, z. B. bei Weizen, zustande kommen wird. Me.Kenna hat in seiner
Antwort auf die Rede des Schcchkanzlers ungeniert zum Ausdruck gebracht,
daß die Vereinigten Staaten jetzt, als Verbündete, ein solches Opfer auf sich
nehmen und das gute Beispiel Englands, welches seinen Verbündeten gegenüber
auch in eine Beschränkung der Höchstsätze für Frachten und Kohlen gewilligt
habe, befolgen müßten.

Die ersten sechs Wochen des laufenden Finanzjahres allerdings geben
keinen Anlaß zu der Annahme, daß die Kriegsausgaben Englands sinken


Ist England steuermüde geworden?

livrer sollten sofort noch 30Millionen hinzugefügt werden. Jetzt, solange der Krieg
dauere, sei die Zeit der Ausschreibung neuer Steuern günstig; jetzt sei das Volk
noch geneigt, zu der Deckung der Kosten des Krieges durch hohe Steuern bei¬
zutragen. Die Abgaben auf Nahrungsmittel (ova-tuxes, womit der Redner
an Tee und Zucker gedacht haben wird) seien viel zu hoch; sie bedrückten
weite Volkskreise, deren Einkommen durch die Preissteigerungen eigentlich unter
das Existenzminimum gesunken wäre. Man solle höhere direkte Steuern aus¬
schreiben und die indirekten Steuern bei entbehrlichen Gegenständen erhöhen.

Major C. Collins bedauerte es lebhaft, daß der Schatzkanzler nicht den
Mut aufgebracht habe, den durch den Krieg notwendig gewordenen Ausgaben
mit höheren Einnahmen zu begegnen. Er habe gehofft, daß das Land zu
einem großen finanziellen Opfer aufgerufen werden würde (Vermögenssteuer?).
Wenn die Soldaten aus dem Kriege nach Hause kämen, würden sie eine große
Staatsschuld vorfinden. Man hätte ihnen dann nicht nur zugemutet, die
Schlachten zu schlagen, sondern käme ihnen jetzt auch noch damit, genau so viel
Steuern zu zahlen wie die, welche zuhause geblieben wären. Die Einkommen¬
steuer müsse unbedingt auf 6 s 2 et vom Pfund erhöht werden.

Mr. Outhwaite erklärte, daß nach dem Kriege ein großer Teil der gegen¬
wärtigen indirekten Besteuerung verschwinden müsse. Mit Friedensschluß werde
mau sich der Notwendigkeit gegenübergestellt sehen, die Einkommensteuer auf
10 s vom Pfund (!) zu erhöhen.

Wie aus diesen wenigen Zeugnissen ersichtlich, hat der Schätzkanzler es
an „Entschiedenheit" fehlen lassen. Er hat allerdings „seine guten Gründe"
für seine Zaghaftigkeit gehabt. Von bereits berührten Erwägungen abgesehen,
dachte er wohl, daß er auch so sein Auskommen finden würde, wiewohl er
sich bewußt sein mußte, daß er an manchen Stellen seines Voranschlages
— bei den Einnahmen und bei den Ausgaben — zu optimistisch gerechnet
haben könnte. Er trug sich offenbar mit der Annahme, daß die Ausgaben
zurückgingen; daß die Zuschüsse, welche England seinen Verbündeten gewähren
muß, nicht mehr so groß sein werden wie früher; daß er deren Ansprüche in
der Hauptsache auf die Vereinigten Staaten abschieben kann usw. Er rechnete
allem Anschein nach auch damit, daß England seine eigene Kriegführung dem¬
nächst verbilligen kann; daß mit den Vereinigten Staaten ein Abkommen zur
Eindämmung der Preissteigerung bei den Hauptartikeln, welche England drüben
kaufen muß, z. B. bei Weizen, zustande kommen wird. Me.Kenna hat in seiner
Antwort auf die Rede des Schcchkanzlers ungeniert zum Ausdruck gebracht,
daß die Vereinigten Staaten jetzt, als Verbündete, ein solches Opfer auf sich
nehmen und das gute Beispiel Englands, welches seinen Verbündeten gegenüber
auch in eine Beschränkung der Höchstsätze für Frachten und Kohlen gewilligt
habe, befolgen müßten.

Die ersten sechs Wochen des laufenden Finanzjahres allerdings geben
keinen Anlaß zu der Annahme, daß die Kriegsausgaben Englands sinken


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332311"/>
          <fw type="header" place="top"> Ist England steuermüde geworden?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_69" prev="#ID_68"> livrer sollten sofort noch 30Millionen hinzugefügt werden. Jetzt, solange der Krieg<lb/>
dauere, sei die Zeit der Ausschreibung neuer Steuern günstig; jetzt sei das Volk<lb/>
noch geneigt, zu der Deckung der Kosten des Krieges durch hohe Steuern bei¬<lb/>
zutragen. Die Abgaben auf Nahrungsmittel (ova-tuxes, womit der Redner<lb/>
an Tee und Zucker gedacht haben wird) seien viel zu hoch; sie bedrückten<lb/>
weite Volkskreise, deren Einkommen durch die Preissteigerungen eigentlich unter<lb/>
das Existenzminimum gesunken wäre. Man solle höhere direkte Steuern aus¬<lb/>
schreiben und die indirekten Steuern bei entbehrlichen Gegenständen erhöhen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_70"> Major C. Collins bedauerte es lebhaft, daß der Schatzkanzler nicht den<lb/>
Mut aufgebracht habe, den durch den Krieg notwendig gewordenen Ausgaben<lb/>
mit höheren Einnahmen zu begegnen. Er habe gehofft, daß das Land zu<lb/>
einem großen finanziellen Opfer aufgerufen werden würde (Vermögenssteuer?).<lb/>
Wenn die Soldaten aus dem Kriege nach Hause kämen, würden sie eine große<lb/>
Staatsschuld vorfinden. Man hätte ihnen dann nicht nur zugemutet, die<lb/>
Schlachten zu schlagen, sondern käme ihnen jetzt auch noch damit, genau so viel<lb/>
Steuern zu zahlen wie die, welche zuhause geblieben wären. Die Einkommen¬<lb/>
steuer müsse unbedingt auf 6 s 2 et vom Pfund erhöht werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_71"> Mr. Outhwaite erklärte, daß nach dem Kriege ein großer Teil der gegen¬<lb/>
wärtigen indirekten Besteuerung verschwinden müsse. Mit Friedensschluß werde<lb/>
mau sich der Notwendigkeit gegenübergestellt sehen, die Einkommensteuer auf<lb/>
10 s vom Pfund (!) zu erhöhen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_72"> Wie aus diesen wenigen Zeugnissen ersichtlich, hat der Schätzkanzler es<lb/>
an &#x201E;Entschiedenheit" fehlen lassen. Er hat allerdings &#x201E;seine guten Gründe"<lb/>
für seine Zaghaftigkeit gehabt. Von bereits berührten Erwägungen abgesehen,<lb/>
dachte er wohl, daß er auch so sein Auskommen finden würde, wiewohl er<lb/>
sich bewußt sein mußte, daß er an manchen Stellen seines Voranschlages<lb/>
&#x2014; bei den Einnahmen und bei den Ausgaben &#x2014; zu optimistisch gerechnet<lb/>
haben könnte. Er trug sich offenbar mit der Annahme, daß die Ausgaben<lb/>
zurückgingen; daß die Zuschüsse, welche England seinen Verbündeten gewähren<lb/>
muß, nicht mehr so groß sein werden wie früher; daß er deren Ansprüche in<lb/>
der Hauptsache auf die Vereinigten Staaten abschieben kann usw. Er rechnete<lb/>
allem Anschein nach auch damit, daß England seine eigene Kriegführung dem¬<lb/>
nächst verbilligen kann; daß mit den Vereinigten Staaten ein Abkommen zur<lb/>
Eindämmung der Preissteigerung bei den Hauptartikeln, welche England drüben<lb/>
kaufen muß, z. B. bei Weizen, zustande kommen wird. Me.Kenna hat in seiner<lb/>
Antwort auf die Rede des Schcchkanzlers ungeniert zum Ausdruck gebracht,<lb/>
daß die Vereinigten Staaten jetzt, als Verbündete, ein solches Opfer auf sich<lb/>
nehmen und das gute Beispiel Englands, welches seinen Verbündeten gegenüber<lb/>
auch in eine Beschränkung der Höchstsätze für Frachten und Kohlen gewilligt<lb/>
habe, befolgen müßten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_73" next="#ID_74"> Die ersten sechs Wochen des laufenden Finanzjahres allerdings geben<lb/>
keinen Anlaß zu der Annahme, daß die Kriegsausgaben Englands sinken</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] Ist England steuermüde geworden? livrer sollten sofort noch 30Millionen hinzugefügt werden. Jetzt, solange der Krieg dauere, sei die Zeit der Ausschreibung neuer Steuern günstig; jetzt sei das Volk noch geneigt, zu der Deckung der Kosten des Krieges durch hohe Steuern bei¬ zutragen. Die Abgaben auf Nahrungsmittel (ova-tuxes, womit der Redner an Tee und Zucker gedacht haben wird) seien viel zu hoch; sie bedrückten weite Volkskreise, deren Einkommen durch die Preissteigerungen eigentlich unter das Existenzminimum gesunken wäre. Man solle höhere direkte Steuern aus¬ schreiben und die indirekten Steuern bei entbehrlichen Gegenständen erhöhen. Major C. Collins bedauerte es lebhaft, daß der Schatzkanzler nicht den Mut aufgebracht habe, den durch den Krieg notwendig gewordenen Ausgaben mit höheren Einnahmen zu begegnen. Er habe gehofft, daß das Land zu einem großen finanziellen Opfer aufgerufen werden würde (Vermögenssteuer?). Wenn die Soldaten aus dem Kriege nach Hause kämen, würden sie eine große Staatsschuld vorfinden. Man hätte ihnen dann nicht nur zugemutet, die Schlachten zu schlagen, sondern käme ihnen jetzt auch noch damit, genau so viel Steuern zu zahlen wie die, welche zuhause geblieben wären. Die Einkommen¬ steuer müsse unbedingt auf 6 s 2 et vom Pfund erhöht werden. Mr. Outhwaite erklärte, daß nach dem Kriege ein großer Teil der gegen¬ wärtigen indirekten Besteuerung verschwinden müsse. Mit Friedensschluß werde mau sich der Notwendigkeit gegenübergestellt sehen, die Einkommensteuer auf 10 s vom Pfund (!) zu erhöhen. Wie aus diesen wenigen Zeugnissen ersichtlich, hat der Schätzkanzler es an „Entschiedenheit" fehlen lassen. Er hat allerdings „seine guten Gründe" für seine Zaghaftigkeit gehabt. Von bereits berührten Erwägungen abgesehen, dachte er wohl, daß er auch so sein Auskommen finden würde, wiewohl er sich bewußt sein mußte, daß er an manchen Stellen seines Voranschlages — bei den Einnahmen und bei den Ausgaben — zu optimistisch gerechnet haben könnte. Er trug sich offenbar mit der Annahme, daß die Ausgaben zurückgingen; daß die Zuschüsse, welche England seinen Verbündeten gewähren muß, nicht mehr so groß sein werden wie früher; daß er deren Ansprüche in der Hauptsache auf die Vereinigten Staaten abschieben kann usw. Er rechnete allem Anschein nach auch damit, daß England seine eigene Kriegführung dem¬ nächst verbilligen kann; daß mit den Vereinigten Staaten ein Abkommen zur Eindämmung der Preissteigerung bei den Hauptartikeln, welche England drüben kaufen muß, z. B. bei Weizen, zustande kommen wird. Me.Kenna hat in seiner Antwort auf die Rede des Schcchkanzlers ungeniert zum Ausdruck gebracht, daß die Vereinigten Staaten jetzt, als Verbündete, ein solches Opfer auf sich nehmen und das gute Beispiel Englands, welches seinen Verbündeten gegenüber auch in eine Beschränkung der Höchstsätze für Frachten und Kohlen gewilligt habe, befolgen müßten. Die ersten sechs Wochen des laufenden Finanzjahres allerdings geben keinen Anlaß zu der Annahme, daß die Kriegsausgaben Englands sinken

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/32
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/32>, abgerufen am 29.06.2024.