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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Vstsoepolitik

demselben Jahre auf Riga und Reval 19.3 Prozent. Libau und Windau
13.2 Prozent und Petersburg ungefähr 10 Prozent.*) Die Ostseeplätze
nahmen 1912 mit 74 Prozent an der russischen Ausfuhr teil, und zwar Riga
wie 35 Prozent, Libau mit 13.8 Prozent und Petersburg mit 9.5 Prozent.
Riga steht also weitaus an der Spitze durch den Umfang seines Ausfuhrhandels.
In seiner Einfuhr aber hat England stets an erster. Deutschland an zweiter
Stelle gestanden, mit Ausnahme der Jahre 1905 und 1908. In der Ausfuhr
Rigas steht England bei weitem an erster Stelle, die Ausfuhr nach Deutschland
ist etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die nach England geht. Noch zu
Beginn des Jahrhunderts waren die südrussischen Häfen mit 44 Prozent bzw.
51 Prozent den baltischen Häfen überlegen, die seitdem den Vorrang sich er¬
stritten haben, wie sie auch ihre Verschiffungen auf Kosten der Ausfuhr über
die westliche Landesgrenze steigern konnten.

Man hat von berufener russischer Seite die Ostseehäfen die Lunge für den
Außenhandel Rußlands genannt. Diejenige auswärtige Macht, welche diese
Lunge mit ihrenl Handelsverkehr am kräftigsten zu durchfluten vermag, wird
im Güteraustausch mit Rußland auch die erste Stelle einnehmen. In dieser
Erkenntnis bildet die dauernde Verankerung der englischen Handelsinteressen in
jenen Häfen einen wichtigen Punkt im Programm der "wirtschaftlichen Durch-
dringung" Rußlands. Die überschwenglichen Hoffnungen, mit denen seitens
der Entente die gen Westen in Bewegung gesetzte russische Dampfwalze begrüßt
wurde, sind zwar gescheitert, so sollen wenigstens die nach Osten geschlagenen
Handelsbrücken dauernden Bestand haben. Die englische Politik hat von An¬
beginn aus ihrem Bündnis mit Rußland in doppelter Hinsicht Kapital ge-
schlagen. Aus dem ungeheuren Menschenreservoir des Zarenreiches mußten
immer neue Millionen von Streitern in verzweifeltem Ansturm gegen die un-
erschütterliche Front der Mittelmächte anrennen, während gleichzeitig die ge-
schäftliche Ausbeutung der russischen Hilfsquellen von den lieben Verbündeten
Mit der Rücksichtslosigkeit eines gebietenden Eroberers in Szene gesetzt wurde.
Die wirtschaftliche Spekulation ging mit dem politischen Moment Hand in Hand.
Aas die Engländer als Gegenleistung für Kriegslieferungen und Geldunter-
ltützungen in Form von Verpfändungen, Konzessionen, Übertragung von
industriellen Unternehmungen und Pachtungen von der zarischen Regierung alles
Rattert haben, wird erst nach dem Kriege vollständig offenbar werden. Für
deutsche Zukunft ist die bedrohlichste Zettelung Albions, daß es in den
^dischen Häfen und auf den Inseln an den Eingängen zum Rigaischen und
^"Nischen Busen Besitzrechte erwirbt.

Wie weit diese weitausschauenden Pläne gegenwärtig gediehen send. ent-
"He sich unserer Kenntnis. Es ist sehr wohl möglich, daß die mit den Ver-



*) Die Angaben sind einer Arbeit von Mendel über die baltischen Häfen im "Welt-
>- Archiv" 191S. Januarheft, entnommen.
Großbritanniens Vstsoepolitik

demselben Jahre auf Riga und Reval 19.3 Prozent. Libau und Windau
13.2 Prozent und Petersburg ungefähr 10 Prozent.*) Die Ostseeplätze
nahmen 1912 mit 74 Prozent an der russischen Ausfuhr teil, und zwar Riga
wie 35 Prozent, Libau mit 13.8 Prozent und Petersburg mit 9.5 Prozent.
Riga steht also weitaus an der Spitze durch den Umfang seines Ausfuhrhandels.
In seiner Einfuhr aber hat England stets an erster. Deutschland an zweiter
Stelle gestanden, mit Ausnahme der Jahre 1905 und 1908. In der Ausfuhr
Rigas steht England bei weitem an erster Stelle, die Ausfuhr nach Deutschland
ist etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die nach England geht. Noch zu
Beginn des Jahrhunderts waren die südrussischen Häfen mit 44 Prozent bzw.
51 Prozent den baltischen Häfen überlegen, die seitdem den Vorrang sich er¬
stritten haben, wie sie auch ihre Verschiffungen auf Kosten der Ausfuhr über
die westliche Landesgrenze steigern konnten.

Man hat von berufener russischer Seite die Ostseehäfen die Lunge für den
Außenhandel Rußlands genannt. Diejenige auswärtige Macht, welche diese
Lunge mit ihrenl Handelsverkehr am kräftigsten zu durchfluten vermag, wird
im Güteraustausch mit Rußland auch die erste Stelle einnehmen. In dieser
Erkenntnis bildet die dauernde Verankerung der englischen Handelsinteressen in
jenen Häfen einen wichtigen Punkt im Programm der „wirtschaftlichen Durch-
dringung" Rußlands. Die überschwenglichen Hoffnungen, mit denen seitens
der Entente die gen Westen in Bewegung gesetzte russische Dampfwalze begrüßt
wurde, sind zwar gescheitert, so sollen wenigstens die nach Osten geschlagenen
Handelsbrücken dauernden Bestand haben. Die englische Politik hat von An¬
beginn aus ihrem Bündnis mit Rußland in doppelter Hinsicht Kapital ge-
schlagen. Aus dem ungeheuren Menschenreservoir des Zarenreiches mußten
immer neue Millionen von Streitern in verzweifeltem Ansturm gegen die un-
erschütterliche Front der Mittelmächte anrennen, während gleichzeitig die ge-
schäftliche Ausbeutung der russischen Hilfsquellen von den lieben Verbündeten
Mit der Rücksichtslosigkeit eines gebietenden Eroberers in Szene gesetzt wurde.
Die wirtschaftliche Spekulation ging mit dem politischen Moment Hand in Hand.
Aas die Engländer als Gegenleistung für Kriegslieferungen und Geldunter-
ltützungen in Form von Verpfändungen, Konzessionen, Übertragung von
industriellen Unternehmungen und Pachtungen von der zarischen Regierung alles
Rattert haben, wird erst nach dem Kriege vollständig offenbar werden. Für
deutsche Zukunft ist die bedrohlichste Zettelung Albions, daß es in den
^dischen Häfen und auf den Inseln an den Eingängen zum Rigaischen und
^«Nischen Busen Besitzrechte erwirbt.

Wie weit diese weitausschauenden Pläne gegenwärtig gediehen send. ent-
"He sich unserer Kenntnis. Es ist sehr wohl möglich, daß die mit den Ver-



*) Die Angaben sind einer Arbeit von Mendel über die baltischen Häfen im „Welt-
>- Archiv« 191S. Januarheft, entnommen.
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[0305] Großbritanniens Vstsoepolitik demselben Jahre auf Riga und Reval 19.3 Prozent. Libau und Windau 13.2 Prozent und Petersburg ungefähr 10 Prozent.*) Die Ostseeplätze nahmen 1912 mit 74 Prozent an der russischen Ausfuhr teil, und zwar Riga wie 35 Prozent, Libau mit 13.8 Prozent und Petersburg mit 9.5 Prozent. Riga steht also weitaus an der Spitze durch den Umfang seines Ausfuhrhandels. In seiner Einfuhr aber hat England stets an erster. Deutschland an zweiter Stelle gestanden, mit Ausnahme der Jahre 1905 und 1908. In der Ausfuhr Rigas steht England bei weitem an erster Stelle, die Ausfuhr nach Deutschland ist etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die nach England geht. Noch zu Beginn des Jahrhunderts waren die südrussischen Häfen mit 44 Prozent bzw. 51 Prozent den baltischen Häfen überlegen, die seitdem den Vorrang sich er¬ stritten haben, wie sie auch ihre Verschiffungen auf Kosten der Ausfuhr über die westliche Landesgrenze steigern konnten. Man hat von berufener russischer Seite die Ostseehäfen die Lunge für den Außenhandel Rußlands genannt. Diejenige auswärtige Macht, welche diese Lunge mit ihrenl Handelsverkehr am kräftigsten zu durchfluten vermag, wird im Güteraustausch mit Rußland auch die erste Stelle einnehmen. In dieser Erkenntnis bildet die dauernde Verankerung der englischen Handelsinteressen in jenen Häfen einen wichtigen Punkt im Programm der „wirtschaftlichen Durch- dringung" Rußlands. Die überschwenglichen Hoffnungen, mit denen seitens der Entente die gen Westen in Bewegung gesetzte russische Dampfwalze begrüßt wurde, sind zwar gescheitert, so sollen wenigstens die nach Osten geschlagenen Handelsbrücken dauernden Bestand haben. Die englische Politik hat von An¬ beginn aus ihrem Bündnis mit Rußland in doppelter Hinsicht Kapital ge- schlagen. Aus dem ungeheuren Menschenreservoir des Zarenreiches mußten immer neue Millionen von Streitern in verzweifeltem Ansturm gegen die un- erschütterliche Front der Mittelmächte anrennen, während gleichzeitig die ge- schäftliche Ausbeutung der russischen Hilfsquellen von den lieben Verbündeten Mit der Rücksichtslosigkeit eines gebietenden Eroberers in Szene gesetzt wurde. Die wirtschaftliche Spekulation ging mit dem politischen Moment Hand in Hand. Aas die Engländer als Gegenleistung für Kriegslieferungen und Geldunter- ltützungen in Form von Verpfändungen, Konzessionen, Übertragung von industriellen Unternehmungen und Pachtungen von der zarischen Regierung alles Rattert haben, wird erst nach dem Kriege vollständig offenbar werden. Für deutsche Zukunft ist die bedrohlichste Zettelung Albions, daß es in den ^dischen Häfen und auf den Inseln an den Eingängen zum Rigaischen und ^«Nischen Busen Besitzrechte erwirbt. Wie weit diese weitausschauenden Pläne gegenwärtig gediehen send. ent- "He sich unserer Kenntnis. Es ist sehr wohl möglich, daß die mit den Ver- *) Die Angaben sind einer Arbeit von Mendel über die baltischen Häfen im „Welt- >- Archiv« 191S. Januarheft, entnommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/305>, abgerufen am 28.06.2024.