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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Gstseepolitik

tretern des zarischen Absolutismus eingeleiteten und in einer lauen Ableugnung
bestrittenen Versuche, auf einzelne Punkte des russischen Ostseegestades durch
Pachtung oder Verpfändung die englische Hand zu legen, infolge des politischen
Umsturzes einstweilen ins Stocken geraten sind, sie sind aber ganz gewiß nicht
aufgegeben worden. Zwei Tatsachen liegen jedenfalls vor, die mehr als eine
vorübergehende Besitzergreifung zu strategischen Zwecken bedeuten. Einmal sind
englische Kapitalisten an der livländischen und vor allem estländischen Küste
durch Gutsankäufe die Basis für ausgedehnte britische Niederlassungen zu
schaffen bemüht gewesen. Von den in englischen Besitz übergegangenen
estländischen Herrschaften Naustfer, Kurnal, Wredenhagen und Elz ist bemerkens¬
wert, daß sie teilweise in unmittelbarer Nähe des Kriegshafens Reval belegen
sind. Reval aber ist in gleicher Weise vorzüglich geeignet, von dort aus eine
breite Handelsstraße nach Petersburg, Moskau und weiter in den fernen Osten
und nach Südasien zu veranlagen, wie auch dort einen maritimen Flottenstütz¬
punkt als eine Art fremdländischer Zwingburg auf russischem Boden zu er¬
richten. Wenn Kurland in deutschem Besitz verbleibt, so müßte der in Sicht¬
nähe der deutschen Grenze belegene Rigasche Hafen an Wert für den russischen
Außenhandel wesentlich einbüßen, während von Reval aus der gesamte Handel
im Rigaschen Meerbusen sich leicht überwachen ließe.

Die zweite Tatsache, an die in den Generalstabsberichten durch die Er¬
wähnung von Angriffen unserer Luftstreitkräfte mehrfach erinnert wurde, ist die
Festsetzung englischer Marinetechniker auf den dem Rigaschen Meerbusen vor¬
gelagerten Inseln. Werden die jetzt von der englischen Seemacht beherrschten
Stützpunkte mit Beendigung des Krieges nicht völlig aufgegeben, so läßt sich
von ihnen ähnlich wie bei Gibraltar und Suez eine bequeme Kontrolle über
den Schiffsverkehr von und nach Rußland ausüben. Ein von feindseligen
Gesinnungen erfüllter Beobachter wird insbesondere in den deutschen Ostsee'
Handel hineingesetzt, der in der günstigsten Lage wäre, den Wert der von uns
eroberten Provinz Kurland militärisch und kaufmännisch tief herabzudrücken.
Kap Domesnäs, der spitz vorragende Ausläufer des nördlichen Kurlands, liegt,
nur durch eine etwa 30 Kilometer breite Meerenge getrennt, der äußersten
Spitze der Insel Osel am Eingange zum Rigaschen Meerbusen gegenüber-
Einen besseren Beobachtungsposten als auf der insularen Landzunge, Sworb^
genannt, kann man sich nicht wünschen. Nun wird mehrseitig versichert, day
englische Seeoffiziere und Ingenieure seit vielen Monaten dort eine unheimliche
Geschäftigkeit in Vermessungsarbetten entwickeln, um, wie aus ihren Äußerungen
zu entnehmen, Pläne für Festungsanlagen auszuarbeiten. Die Errichtung einer
Seefestung auf der Sworbe, die zu Ansiedlungszwecken im übrigen ganz un¬
geeignet ist, läßt sich gegenwärtig unter dem Deckmantel eines Schutze
russischer Seeinteressen gemächlich vorbereiten, obgleich für diese Art des Ver^
teidigungssystems gerade dort ein unmittelbarer Anlaß nicht gegeben ist,
Plan ist daher sehr durchsichtig, eine befestigte Torwache für die Einfahrt!"


Großbritanniens Gstseepolitik

tretern des zarischen Absolutismus eingeleiteten und in einer lauen Ableugnung
bestrittenen Versuche, auf einzelne Punkte des russischen Ostseegestades durch
Pachtung oder Verpfändung die englische Hand zu legen, infolge des politischen
Umsturzes einstweilen ins Stocken geraten sind, sie sind aber ganz gewiß nicht
aufgegeben worden. Zwei Tatsachen liegen jedenfalls vor, die mehr als eine
vorübergehende Besitzergreifung zu strategischen Zwecken bedeuten. Einmal sind
englische Kapitalisten an der livländischen und vor allem estländischen Küste
durch Gutsankäufe die Basis für ausgedehnte britische Niederlassungen zu
schaffen bemüht gewesen. Von den in englischen Besitz übergegangenen
estländischen Herrschaften Naustfer, Kurnal, Wredenhagen und Elz ist bemerkens¬
wert, daß sie teilweise in unmittelbarer Nähe des Kriegshafens Reval belegen
sind. Reval aber ist in gleicher Weise vorzüglich geeignet, von dort aus eine
breite Handelsstraße nach Petersburg, Moskau und weiter in den fernen Osten
und nach Südasien zu veranlagen, wie auch dort einen maritimen Flottenstütz¬
punkt als eine Art fremdländischer Zwingburg auf russischem Boden zu er¬
richten. Wenn Kurland in deutschem Besitz verbleibt, so müßte der in Sicht¬
nähe der deutschen Grenze belegene Rigasche Hafen an Wert für den russischen
Außenhandel wesentlich einbüßen, während von Reval aus der gesamte Handel
im Rigaschen Meerbusen sich leicht überwachen ließe.

Die zweite Tatsache, an die in den Generalstabsberichten durch die Er¬
wähnung von Angriffen unserer Luftstreitkräfte mehrfach erinnert wurde, ist die
Festsetzung englischer Marinetechniker auf den dem Rigaschen Meerbusen vor¬
gelagerten Inseln. Werden die jetzt von der englischen Seemacht beherrschten
Stützpunkte mit Beendigung des Krieges nicht völlig aufgegeben, so läßt sich
von ihnen ähnlich wie bei Gibraltar und Suez eine bequeme Kontrolle über
den Schiffsverkehr von und nach Rußland ausüben. Ein von feindseligen
Gesinnungen erfüllter Beobachter wird insbesondere in den deutschen Ostsee'
Handel hineingesetzt, der in der günstigsten Lage wäre, den Wert der von uns
eroberten Provinz Kurland militärisch und kaufmännisch tief herabzudrücken.
Kap Domesnäs, der spitz vorragende Ausläufer des nördlichen Kurlands, liegt,
nur durch eine etwa 30 Kilometer breite Meerenge getrennt, der äußersten
Spitze der Insel Osel am Eingange zum Rigaschen Meerbusen gegenüber-
Einen besseren Beobachtungsposten als auf der insularen Landzunge, Sworb^
genannt, kann man sich nicht wünschen. Nun wird mehrseitig versichert, day
englische Seeoffiziere und Ingenieure seit vielen Monaten dort eine unheimliche
Geschäftigkeit in Vermessungsarbetten entwickeln, um, wie aus ihren Äußerungen
zu entnehmen, Pläne für Festungsanlagen auszuarbeiten. Die Errichtung einer
Seefestung auf der Sworbe, die zu Ansiedlungszwecken im übrigen ganz un¬
geeignet ist, läßt sich gegenwärtig unter dem Deckmantel eines Schutze
russischer Seeinteressen gemächlich vorbereiten, obgleich für diese Art des Ver^
teidigungssystems gerade dort ein unmittelbarer Anlaß nicht gegeben ist,
Plan ist daher sehr durchsichtig, eine befestigte Torwache für die Einfahrt!"


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[0306] Großbritanniens Gstseepolitik tretern des zarischen Absolutismus eingeleiteten und in einer lauen Ableugnung bestrittenen Versuche, auf einzelne Punkte des russischen Ostseegestades durch Pachtung oder Verpfändung die englische Hand zu legen, infolge des politischen Umsturzes einstweilen ins Stocken geraten sind, sie sind aber ganz gewiß nicht aufgegeben worden. Zwei Tatsachen liegen jedenfalls vor, die mehr als eine vorübergehende Besitzergreifung zu strategischen Zwecken bedeuten. Einmal sind englische Kapitalisten an der livländischen und vor allem estländischen Küste durch Gutsankäufe die Basis für ausgedehnte britische Niederlassungen zu schaffen bemüht gewesen. Von den in englischen Besitz übergegangenen estländischen Herrschaften Naustfer, Kurnal, Wredenhagen und Elz ist bemerkens¬ wert, daß sie teilweise in unmittelbarer Nähe des Kriegshafens Reval belegen sind. Reval aber ist in gleicher Weise vorzüglich geeignet, von dort aus eine breite Handelsstraße nach Petersburg, Moskau und weiter in den fernen Osten und nach Südasien zu veranlagen, wie auch dort einen maritimen Flottenstütz¬ punkt als eine Art fremdländischer Zwingburg auf russischem Boden zu er¬ richten. Wenn Kurland in deutschem Besitz verbleibt, so müßte der in Sicht¬ nähe der deutschen Grenze belegene Rigasche Hafen an Wert für den russischen Außenhandel wesentlich einbüßen, während von Reval aus der gesamte Handel im Rigaschen Meerbusen sich leicht überwachen ließe. Die zweite Tatsache, an die in den Generalstabsberichten durch die Er¬ wähnung von Angriffen unserer Luftstreitkräfte mehrfach erinnert wurde, ist die Festsetzung englischer Marinetechniker auf den dem Rigaschen Meerbusen vor¬ gelagerten Inseln. Werden die jetzt von der englischen Seemacht beherrschten Stützpunkte mit Beendigung des Krieges nicht völlig aufgegeben, so läßt sich von ihnen ähnlich wie bei Gibraltar und Suez eine bequeme Kontrolle über den Schiffsverkehr von und nach Rußland ausüben. Ein von feindseligen Gesinnungen erfüllter Beobachter wird insbesondere in den deutschen Ostsee' Handel hineingesetzt, der in der günstigsten Lage wäre, den Wert der von uns eroberten Provinz Kurland militärisch und kaufmännisch tief herabzudrücken. Kap Domesnäs, der spitz vorragende Ausläufer des nördlichen Kurlands, liegt, nur durch eine etwa 30 Kilometer breite Meerenge getrennt, der äußersten Spitze der Insel Osel am Eingange zum Rigaschen Meerbusen gegenüber- Einen besseren Beobachtungsposten als auf der insularen Landzunge, Sworb^ genannt, kann man sich nicht wünschen. Nun wird mehrseitig versichert, day englische Seeoffiziere und Ingenieure seit vielen Monaten dort eine unheimliche Geschäftigkeit in Vermessungsarbetten entwickeln, um, wie aus ihren Äußerungen zu entnehmen, Pläne für Festungsanlagen auszuarbeiten. Die Errichtung einer Seefestung auf der Sworbe, die zu Ansiedlungszwecken im übrigen ganz un¬ geeignet ist, läßt sich gegenwärtig unter dem Deckmantel eines Schutze russischer Seeinteressen gemächlich vorbereiten, obgleich für diese Art des Ver^ teidigungssystems gerade dort ein unmittelbarer Anlaß nicht gegeben ist, Plan ist daher sehr durchsichtig, eine befestigte Torwache für die Einfahrt!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/306>, abgerufen am 25.06.2024.