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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Gstseepolitik

Deutsche Reich aber wird eine sein Wohl und Wehe aufs tiefste berührende
Schicksalsfrage sein, zu welchem Ergebnis Englands Ostseepläne führen werden,
nachdem der Krieg dem englischen Leu die willkommene Gelegenheit geboten hat,
eine Pranke mit schwerem Druck auf die russische Volkswirtschaft zu legen.

Die Randländer der Ostsee haben wegen ihres Reichtums an Naturschätzen
und Rohstoffen auf die englischen Handelsleute schon in den ältesten Zeiten eine
starke Anziehungskraft ausgeübt. Mit preußischen Seestädten, mit Holland und
Schweden bestanden rege Verkehrsbeziehungen; englische Seefahrer wußten im
sechzehnten Jahrhundert auch schon über das Weiße Meer in die russische Wildnis
einzudringen und bis an den Zarenhof in Moskau zu gelangen. Während des
achtzehnten Jahrhunderts nahm der englisch-russische Handel zum Vorteil für
beide Seiten einen überraschenden Aufschwung. Hierzu half die Navigations-
akte. indem britische Erzeugnisse oder Kolonialprodukte nur auf englischen Schiffen
ausgeführt werden durften. Dadurch beherrschte England die Einfuhr nach
Rußland und bot auf seinen Schiffen eine gute Gelegenheit für russische Produkte
Zur Ausfuhr. Der Eifer, mit dem Peter der Große nach der Einverleibung
Avlands (1710) von dort aus den Handel mit Westeuropa in die Höhe zu
bringen beflissen war. kam dem englischen "Kommerzium" trefflich zu statten.
Die baltischen Kaufleute in den Ostseehäfen, beispielsweise in Riga, sahen die
fremden Kaufleute nicht ungern, denn sie brachten ihnen begehrte Waren zum
Weiteroertrieb nach dem Osten und waren willige Abnehmer der russischen Ur-
stoffe. Sehr verdrossen wurden die einheimischen Zwischenhändler allerdings,
wenn die englischen Agenten auch am örtlichen Handel sich beteiligen wollten,
achteten mit ihren Protesten aber wenig aus, da englische Münze von jeher bei
russischen Beamten wie eine Zauberformel gewirkt hat.*) Zahlreiche eng¬
lische Kaufleute sind im Laufe der Zeit in den baltischen Häfen ansässig ge¬
worden und zu hochangesehenen Stellungen gelangt. Sie haben sich dort nicht
"ur als ausgezeichnete Vermittler im englisch-russischen Handel erwiesen, sondern
sind sogar den örtlichen Interessen mit Verständnis nachgegangen. Eine noch
größere Rolle in den Ostseehäfen spielen freilich, wie sich von selbst versteht,
"eben den Zuzüglern englicher Herkunft die reichsdeutschen Kaufleute, besonders
seitdem in neuerer Zeit eine industrielle Entwicklung großen Maßstabs in den
Seestädten sich entfaltet hat. In gleicher Weise haben die englischen Kaufleute
^ verstanden, in Se. Petersburg nicht nur festen Fuß zu fassen, sondern auch
ihren wirtschaftlichen Einfluß zu politischer Annäherung zwischen den beiden
Großmächten zu betätigen. Die beiderseitigen wirtschaftlichen Vorteile sollten,
wie in London und Petersburg wiederholt betont wurde, der politischen Freund¬
schaft Vorschub leisten. Daß die Förderung eines regen Güteraustausches und
England auf eine Verdrängung der deutschen Waren von den russischen Märkten



*) Mancherlei berichtet hierzu Professor Wilhelm Stieda "Die Engländer in der Ostsee"
der "Deutschen Rundschau". August 1917. S. 159-174.
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Großbritanniens Gstseepolitik

Deutsche Reich aber wird eine sein Wohl und Wehe aufs tiefste berührende
Schicksalsfrage sein, zu welchem Ergebnis Englands Ostseepläne führen werden,
nachdem der Krieg dem englischen Leu die willkommene Gelegenheit geboten hat,
eine Pranke mit schwerem Druck auf die russische Volkswirtschaft zu legen.

Die Randländer der Ostsee haben wegen ihres Reichtums an Naturschätzen
und Rohstoffen auf die englischen Handelsleute schon in den ältesten Zeiten eine
starke Anziehungskraft ausgeübt. Mit preußischen Seestädten, mit Holland und
Schweden bestanden rege Verkehrsbeziehungen; englische Seefahrer wußten im
sechzehnten Jahrhundert auch schon über das Weiße Meer in die russische Wildnis
einzudringen und bis an den Zarenhof in Moskau zu gelangen. Während des
achtzehnten Jahrhunderts nahm der englisch-russische Handel zum Vorteil für
beide Seiten einen überraschenden Aufschwung. Hierzu half die Navigations-
akte. indem britische Erzeugnisse oder Kolonialprodukte nur auf englischen Schiffen
ausgeführt werden durften. Dadurch beherrschte England die Einfuhr nach
Rußland und bot auf seinen Schiffen eine gute Gelegenheit für russische Produkte
Zur Ausfuhr. Der Eifer, mit dem Peter der Große nach der Einverleibung
Avlands (1710) von dort aus den Handel mit Westeuropa in die Höhe zu
bringen beflissen war. kam dem englischen „Kommerzium" trefflich zu statten.
Die baltischen Kaufleute in den Ostseehäfen, beispielsweise in Riga, sahen die
fremden Kaufleute nicht ungern, denn sie brachten ihnen begehrte Waren zum
Weiteroertrieb nach dem Osten und waren willige Abnehmer der russischen Ur-
stoffe. Sehr verdrossen wurden die einheimischen Zwischenhändler allerdings,
wenn die englischen Agenten auch am örtlichen Handel sich beteiligen wollten,
achteten mit ihren Protesten aber wenig aus, da englische Münze von jeher bei
russischen Beamten wie eine Zauberformel gewirkt hat.*) Zahlreiche eng¬
lische Kaufleute sind im Laufe der Zeit in den baltischen Häfen ansässig ge¬
worden und zu hochangesehenen Stellungen gelangt. Sie haben sich dort nicht
»ur als ausgezeichnete Vermittler im englisch-russischen Handel erwiesen, sondern
sind sogar den örtlichen Interessen mit Verständnis nachgegangen. Eine noch
größere Rolle in den Ostseehäfen spielen freilich, wie sich von selbst versteht,
"eben den Zuzüglern englicher Herkunft die reichsdeutschen Kaufleute, besonders
seitdem in neuerer Zeit eine industrielle Entwicklung großen Maßstabs in den
Seestädten sich entfaltet hat. In gleicher Weise haben die englischen Kaufleute
^ verstanden, in Se. Petersburg nicht nur festen Fuß zu fassen, sondern auch
ihren wirtschaftlichen Einfluß zu politischer Annäherung zwischen den beiden
Großmächten zu betätigen. Die beiderseitigen wirtschaftlichen Vorteile sollten,
wie in London und Petersburg wiederholt betont wurde, der politischen Freund¬
schaft Vorschub leisten. Daß die Förderung eines regen Güteraustausches und
England auf eine Verdrängung der deutschen Waren von den russischen Märkten



*) Mancherlei berichtet hierzu Professor Wilhelm Stieda „Die Engländer in der Ostsee"
der „Deutschen Rundschau". August 1917. S. 159-174.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/303>, abgerufen am 02.07.2024.