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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Gstseepolitik

wird, wie aus allen Anzeichen zu folgern, auch fernerhin sich bewähren. Nach
vielen wenig ergiebigen Versuchen, die auf ihre Unabhängigkeit pochenden
Dominions mit dem Stammlande fester zu verklammern, hat die Stunde der
Gefahr eine Gemeinbürgschaft gezeitigt, deren wirtschaftliche und militärische
Ausgestaltung im Frieden mit Sicherheit sich voraussehen läßt. Die innere
Einheit ist jedenfalls gestärkt worden. Neben der angebahnten strafferen
Organisation des Reiches sind inmitten aller Kriegsbedrängnisse die Pläne zur
äußeren Festigung des Reichsgebäudes nie und nirgend aus den Augen ver¬
loren worden. So wurden die ohne Krieg unerfüllbaren Träume von der
großen Völkerstraße unter englischer Oberhoheit, die von Kapstadt nach Kairo
und von dort über die kleinasiatischen Besitzungen unseres türkischen Verbündeten
nach Kalkutta führen sollte, mit zielbewußter Energie verfolgt. An Erfolgen hat
es dem englischen Imperialismus auch hier nicht gefehlt, und seine Aussichten
sind leider nicht ungünstig, wenigstens wichtige Teile der großen Landbrücke
nach dem Kriege in seiner Hand zu behalten. Ob wir die Rückgabe der nach
tapferster Verteidigung von den Feinden leider eroberten deutschen Kolonien
in Afrika in vollem Umfange werden erzwingen können, steht dahin. Ob die
Türkei ein Stück der ihr gänzlich entwundenen Oberhoheit über Ägypten zurück¬
gewinnen wird, ist noch viel zweifelhafter. Ob ferner die. von den beiden
angelsächsischen Großmächten angelegentlich betriebenen Kriegsziele einer Schutz¬
herrschaft über Palästina, um dort aus naheliegenden Hintergedanken dem
Zionismus eine eigene Niederlassung zu bereiten, am Ende der Dinge scheitern
werden, erscheint uns vorläufig ebenso als offene Frage, wie die Gründung
eines arabischen Staates in Mesopotamien oder die nach Rußlands Rückzug
eingeleitete völlige Umstrickung Persiens und ähnliches mehr. Überall nehmen
wir aber einen vor leinen Hindernissen zurückschreckenden Willen zur Anlegung
"von Verteidigungsgräben für die englischen Okkupationen und von Festungs¬
wällen zur Sicherung Indiens wahr.

Der englischen Weltpolitik im Kriege und durch den Krieg ist es gelungen,
neue Steine in ihr Spielbrett zu setzen, die insgesamt einen Machtzuwachs be¬
deuten, auf dessen nachfolgende Herabminderung eher mit ideellen Hoffnungen
als mit realen Faktoren zu rechnen ist. Als Früchte der neuen Orientierung
wären zu nennen: die festbegründete Interessengemeinschaft mit den Vereinigten
Staaten; die Einbeziehung Frankreichs und Rußlands und deren gleichzeitig
erschöpfte Widerstandsfähigkeit einem energischen Auftrumpfen gegenüber; die
einem Vasallenverhältnis gleichzuachtende Abhängigkeit kleinerer Staaten von
der britischen Befehlsgewalt; die wenngleich vorläufige Besetzung griechischer und
kleinasiatischer Inseln im Mittelmeer; die häusliche Niederlassung auf dem Fest"
lande, die Einräumung von Marinestützpunkten auf russischem Boden u. a. w-
Wieviele von diesen Etappen maritimer Stärkung und wirtschaftlichen Vor¬
dringens England nach dem Kriege sich dauernd wird zugute schreiben können,
ist mit hundert geheimnisvollen Schleiern der Weltenwende umgeben, für das


Großbritanniens Gstseepolitik

wird, wie aus allen Anzeichen zu folgern, auch fernerhin sich bewähren. Nach
vielen wenig ergiebigen Versuchen, die auf ihre Unabhängigkeit pochenden
Dominions mit dem Stammlande fester zu verklammern, hat die Stunde der
Gefahr eine Gemeinbürgschaft gezeitigt, deren wirtschaftliche und militärische
Ausgestaltung im Frieden mit Sicherheit sich voraussehen läßt. Die innere
Einheit ist jedenfalls gestärkt worden. Neben der angebahnten strafferen
Organisation des Reiches sind inmitten aller Kriegsbedrängnisse die Pläne zur
äußeren Festigung des Reichsgebäudes nie und nirgend aus den Augen ver¬
loren worden. So wurden die ohne Krieg unerfüllbaren Träume von der
großen Völkerstraße unter englischer Oberhoheit, die von Kapstadt nach Kairo
und von dort über die kleinasiatischen Besitzungen unseres türkischen Verbündeten
nach Kalkutta führen sollte, mit zielbewußter Energie verfolgt. An Erfolgen hat
es dem englischen Imperialismus auch hier nicht gefehlt, und seine Aussichten
sind leider nicht ungünstig, wenigstens wichtige Teile der großen Landbrücke
nach dem Kriege in seiner Hand zu behalten. Ob wir die Rückgabe der nach
tapferster Verteidigung von den Feinden leider eroberten deutschen Kolonien
in Afrika in vollem Umfange werden erzwingen können, steht dahin. Ob die
Türkei ein Stück der ihr gänzlich entwundenen Oberhoheit über Ägypten zurück¬
gewinnen wird, ist noch viel zweifelhafter. Ob ferner die. von den beiden
angelsächsischen Großmächten angelegentlich betriebenen Kriegsziele einer Schutz¬
herrschaft über Palästina, um dort aus naheliegenden Hintergedanken dem
Zionismus eine eigene Niederlassung zu bereiten, am Ende der Dinge scheitern
werden, erscheint uns vorläufig ebenso als offene Frage, wie die Gründung
eines arabischen Staates in Mesopotamien oder die nach Rußlands Rückzug
eingeleitete völlige Umstrickung Persiens und ähnliches mehr. Überall nehmen
wir aber einen vor leinen Hindernissen zurückschreckenden Willen zur Anlegung
"von Verteidigungsgräben für die englischen Okkupationen und von Festungs¬
wällen zur Sicherung Indiens wahr.

Der englischen Weltpolitik im Kriege und durch den Krieg ist es gelungen,
neue Steine in ihr Spielbrett zu setzen, die insgesamt einen Machtzuwachs be¬
deuten, auf dessen nachfolgende Herabminderung eher mit ideellen Hoffnungen
als mit realen Faktoren zu rechnen ist. Als Früchte der neuen Orientierung
wären zu nennen: die festbegründete Interessengemeinschaft mit den Vereinigten
Staaten; die Einbeziehung Frankreichs und Rußlands und deren gleichzeitig
erschöpfte Widerstandsfähigkeit einem energischen Auftrumpfen gegenüber; die
einem Vasallenverhältnis gleichzuachtende Abhängigkeit kleinerer Staaten von
der britischen Befehlsgewalt; die wenngleich vorläufige Besetzung griechischer und
kleinasiatischer Inseln im Mittelmeer; die häusliche Niederlassung auf dem Fest"
lande, die Einräumung von Marinestützpunkten auf russischem Boden u. a. w-
Wieviele von diesen Etappen maritimer Stärkung und wirtschaftlichen Vor¬
dringens England nach dem Kriege sich dauernd wird zugute schreiben können,
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[0302] Großbritanniens Gstseepolitik wird, wie aus allen Anzeichen zu folgern, auch fernerhin sich bewähren. Nach vielen wenig ergiebigen Versuchen, die auf ihre Unabhängigkeit pochenden Dominions mit dem Stammlande fester zu verklammern, hat die Stunde der Gefahr eine Gemeinbürgschaft gezeitigt, deren wirtschaftliche und militärische Ausgestaltung im Frieden mit Sicherheit sich voraussehen läßt. Die innere Einheit ist jedenfalls gestärkt worden. Neben der angebahnten strafferen Organisation des Reiches sind inmitten aller Kriegsbedrängnisse die Pläne zur äußeren Festigung des Reichsgebäudes nie und nirgend aus den Augen ver¬ loren worden. So wurden die ohne Krieg unerfüllbaren Träume von der großen Völkerstraße unter englischer Oberhoheit, die von Kapstadt nach Kairo und von dort über die kleinasiatischen Besitzungen unseres türkischen Verbündeten nach Kalkutta führen sollte, mit zielbewußter Energie verfolgt. An Erfolgen hat es dem englischen Imperialismus auch hier nicht gefehlt, und seine Aussichten sind leider nicht ungünstig, wenigstens wichtige Teile der großen Landbrücke nach dem Kriege in seiner Hand zu behalten. Ob wir die Rückgabe der nach tapferster Verteidigung von den Feinden leider eroberten deutschen Kolonien in Afrika in vollem Umfange werden erzwingen können, steht dahin. Ob die Türkei ein Stück der ihr gänzlich entwundenen Oberhoheit über Ägypten zurück¬ gewinnen wird, ist noch viel zweifelhafter. Ob ferner die. von den beiden angelsächsischen Großmächten angelegentlich betriebenen Kriegsziele einer Schutz¬ herrschaft über Palästina, um dort aus naheliegenden Hintergedanken dem Zionismus eine eigene Niederlassung zu bereiten, am Ende der Dinge scheitern werden, erscheint uns vorläufig ebenso als offene Frage, wie die Gründung eines arabischen Staates in Mesopotamien oder die nach Rußlands Rückzug eingeleitete völlige Umstrickung Persiens und ähnliches mehr. Überall nehmen wir aber einen vor leinen Hindernissen zurückschreckenden Willen zur Anlegung "von Verteidigungsgräben für die englischen Okkupationen und von Festungs¬ wällen zur Sicherung Indiens wahr. Der englischen Weltpolitik im Kriege und durch den Krieg ist es gelungen, neue Steine in ihr Spielbrett zu setzen, die insgesamt einen Machtzuwachs be¬ deuten, auf dessen nachfolgende Herabminderung eher mit ideellen Hoffnungen als mit realen Faktoren zu rechnen ist. Als Früchte der neuen Orientierung wären zu nennen: die festbegründete Interessengemeinschaft mit den Vereinigten Staaten; die Einbeziehung Frankreichs und Rußlands und deren gleichzeitig erschöpfte Widerstandsfähigkeit einem energischen Auftrumpfen gegenüber; die einem Vasallenverhältnis gleichzuachtende Abhängigkeit kleinerer Staaten von der britischen Befehlsgewalt; die wenngleich vorläufige Besetzung griechischer und kleinasiatischer Inseln im Mittelmeer; die häusliche Niederlassung auf dem Fest" lande, die Einräumung von Marinestützpunkten auf russischem Boden u. a. w- Wieviele von diesen Etappen maritimer Stärkung und wirtschaftlichen Vor¬ dringens England nach dem Kriege sich dauernd wird zugute schreiben können, ist mit hundert geheimnisvollen Schleiern der Weltenwende umgeben, für das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/302>, abgerufen am 02.10.2024.