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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Ist England steuermüde geworden?
von Dr, Glier (Schluß)

Die Tatsache, daß der Schatzkanzler über die Frage, ob er nicht durch
Erhöhung der Einkommensteuer seine Einnahmen heben solle, wortlos hinweg¬
glitt, verdient festgehalten zu werden; und noch mehr die Tatsache, daß er bei
der ersten Lesung der Steuervorlage von mehreren Seiten direkt gefragt wurde,
warum er bei der Einkommensteuer nicht aufgeschlagen habe und daß er auf
diese Anzapfungen keine Antwort gab.

Wo mag der Grund für seine Schweigsamkeit und für sein "Beharrungs¬
vermögen" gelegen haben?

Daß es bei der Steuer in der Höhe von 25 Prozent vom Einkommen
(5 8 vom Pfund) noch nicht sein Bewenden haben wird, daß man in England
noch auf 30 Prozent und mehr als "Rate" bei der Einkommensteuer kommen
wird, ist nicht ausgeschlossen. Nach dem Kriege wird vermutlich ein Teil der in¬
direkten Steuern abgebaut und für den Ausfall Ersatz gesucht werden müssen;
natürlich bei der Einkommensteuer; es sei denn, der Freihandel würde ab¬
gedankt und an seine Stelle der Schutzzoll gesetzt. Wird dieser die großen
Erträge bringen, die man sich von ihm verspricht? Nur dann, wenn man die
Einfuhr von Getreide und Fleisch besteuert; das aber ist der Stein des größten
Anstoßes für den englischen Arbeiter. Mit den Jndustriezöllen befreundet sich
natürlich dieser ohne weiteres; ob auch mit den Nahrungsmittelzöllen, erscheint
heute noch zweifelhaft. Die im Gange befindliche Wahlreform mit ihrer Ver¬
breiterung des Wählerkreises ist der Einführung von Lebensmittelzöllen in Eng¬
land kaum förderlich. Die Hausfrauen mit Stimmrecht sind Gegnerinnen
der Verteuerung der Lebenshaltung.

Die Frage der Erhöhung der englischen Einkommensteuer hat ihre Schatten
schon auf die letzthin ausgegebene dritte Kriegsanleihe geworfen. Von dieser
wurden zwei Serien zur Zeichnung aufgelegt; die eine zu 4 Prozent, ein¬
kommensteuerfrei, aber zuschlagssteuerpflichtig, Ausgabepreis 100, Rente 4 Prozent;
und die andere zu 5 Prozent bei 95 Ausgabepreis; sie rentiert bei 5 8 Ein¬
kommensteuer auf das Pfund mit 3 1^ 19 8; dazu Tilgungsprämie bei dreißig
Jahren Laufzeit 18 4 6; bei nur zwölfjähriger Laufzeit 6 8 6 6. -- Nach
welchem Typ sollte da der Kapitalist greifen? Wenn die Einkommensteuer
künftig da stehen blieb, wo sie stand, so war die fünfprozentige Serie vorm-




Ist England steuermüde geworden?
von Dr, Glier (Schluß)

Die Tatsache, daß der Schatzkanzler über die Frage, ob er nicht durch
Erhöhung der Einkommensteuer seine Einnahmen heben solle, wortlos hinweg¬
glitt, verdient festgehalten zu werden; und noch mehr die Tatsache, daß er bei
der ersten Lesung der Steuervorlage von mehreren Seiten direkt gefragt wurde,
warum er bei der Einkommensteuer nicht aufgeschlagen habe und daß er auf
diese Anzapfungen keine Antwort gab.

Wo mag der Grund für seine Schweigsamkeit und für sein „Beharrungs¬
vermögen" gelegen haben?

Daß es bei der Steuer in der Höhe von 25 Prozent vom Einkommen
(5 8 vom Pfund) noch nicht sein Bewenden haben wird, daß man in England
noch auf 30 Prozent und mehr als „Rate" bei der Einkommensteuer kommen
wird, ist nicht ausgeschlossen. Nach dem Kriege wird vermutlich ein Teil der in¬
direkten Steuern abgebaut und für den Ausfall Ersatz gesucht werden müssen;
natürlich bei der Einkommensteuer; es sei denn, der Freihandel würde ab¬
gedankt und an seine Stelle der Schutzzoll gesetzt. Wird dieser die großen
Erträge bringen, die man sich von ihm verspricht? Nur dann, wenn man die
Einfuhr von Getreide und Fleisch besteuert; das aber ist der Stein des größten
Anstoßes für den englischen Arbeiter. Mit den Jndustriezöllen befreundet sich
natürlich dieser ohne weiteres; ob auch mit den Nahrungsmittelzöllen, erscheint
heute noch zweifelhaft. Die im Gange befindliche Wahlreform mit ihrer Ver¬
breiterung des Wählerkreises ist der Einführung von Lebensmittelzöllen in Eng¬
land kaum förderlich. Die Hausfrauen mit Stimmrecht sind Gegnerinnen
der Verteuerung der Lebenshaltung.

Die Frage der Erhöhung der englischen Einkommensteuer hat ihre Schatten
schon auf die letzthin ausgegebene dritte Kriegsanleihe geworfen. Von dieser
wurden zwei Serien zur Zeichnung aufgelegt; die eine zu 4 Prozent, ein¬
kommensteuerfrei, aber zuschlagssteuerpflichtig, Ausgabepreis 100, Rente 4 Prozent;
und die andere zu 5 Prozent bei 95 Ausgabepreis; sie rentiert bei 5 8 Ein¬
kommensteuer auf das Pfund mit 3 1^ 19 8; dazu Tilgungsprämie bei dreißig
Jahren Laufzeit 18 4 6; bei nur zwölfjähriger Laufzeit 6 8 6 6. — Nach
welchem Typ sollte da der Kapitalist greifen? Wenn die Einkommensteuer
künftig da stehen blieb, wo sie stand, so war die fünfprozentige Serie vorm-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/30>, abgerufen am 29.06.2024.