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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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einmal zur Erziehungstätigkeit gehören. Aber haben nicht auch andere Berufe,
wie der des Rechtsanwaltes oder des Arztes, Seiten, die dem Unbeteiligten
als niedrig, wenig geistig, ja fast unwürdig erscheinen müssen? Der höhere
Lehrer soll nach Wilhelm Münch ("Geist des Lehramts", zweite Auflage. S. 493)
"in den weiteren Lebenskreisen, in denen er sich bewegt, echte Bildung ver¬
treten und echtes Bildungsstreben, auch -- wenngleich er selbst forschend oder
darstellend nicht mitzuarbeiten vermag -- wissenschaftlichen Sinn und Geist.
Er soll womöglich inmitten einer Gesellschaft, der der Begriff der Bildung
immer ins Vage oder Wertlose zu zerfließen droht, eine ernstere Auffassung
derselben immer wieder fühlen lassen." Der Beamtencharakter des Oberlehrers,
obwohl er noch nicht allgemein anerkannt ist, hat zweifellos zu seiner gesell¬
schaftlichen Hebung beigetragen; aber er hat auch seine Gefahren, da er einer
ichematischen. ungeistigen Auffassung des Berufes Vorschub leisten könnte. Und
wenn in den letzten Jahrzehnten der schneidige Reserveleutnant vielleicht der
häufigere Typus in der Lehrerwelt war als der gelehrte, aber weltfremde,
unpraktische Bücherwurm (E. Reicke. "Der Lehrer", 1901. S. 135). so liegt
das hauptsächlich an dem Streben, auch im äußeren Auftreten den Staats¬
beamten hervorzukehren. Demgegenüber bemerkt Norrenberg ("Die deutsche
Schule nach dem Weltkrieg". 1916, S. 257): "In unsere Zeit paßt nicht mehr
das alte Profefsorenoriginal, das im feierlichen Gewände einherschritt und ganz
in seinen Büchern lebte, aber auch nicht der mit äußerem Schneid auftretende
Philologe der achtziger und neunziger Jahre, der sein Standesbewußtsein mög¬
lichst kräftig zur Schau stellen mußte, um sich die Möglichkeit einer angemessenen
Lebenshaltung mühsam zu erringen. Zeitgemäß ist nur noch der geistig viel¬
seitig angeregte Mensch mit offenem Blick und offenem Herzen, der bei aller
männlichen Kraft und bei allem durchgreifenden Wollen in der ernsten Tages-
arbeit ein liebenswürdiges Verständnis hat für des Kinderherzens jugendliche
Eigenart mit seinen Sorgen und Freuden." Solche vielseitig angeregten
Menschen mit offenem Blick und offenem Herzen werden auch leicht das Ver¬
trauen der Öffentlichkeit erringen und so auf weitere Kreise wirken können.

Über die Art dieses Einflusses müssen wenige Andeutungen genügen.
Zusammenfassend könnte man als ihr Ziel die gesamte Volksbildung und die
Jugendfürsorge bezeichnen, die ja in Zukunft voraussichtlich eine noch größere
Bedeutung haben wird als bisher. Da ist es denn zunächst wünschenswert,
daß geeignete Persönlichkeiten aus dem höheren Lehrerstande in den Ausschüssen
und Vorständen der Vereine, die solchen Zwecken gewidmet sind, zahlreich ver¬
beten sind. Gegenwärtig ist bei der Auswahl für solche Stellungen weniger
Bildung und Sachkenntnis als äußeres gesellschaftliches Ansehen. Besitz und
Titel maßgebend. Man wird neben Männern mehr praktischen Sinnes in den
leisten Fällen doch auch der wissenschaftlich und pädagogisch Einsichtigen be¬
dürfen. Bei der außerordentlichen Bedeutung des Schulwesens in Staat und
Gemeinde ist es ausfallend, daß (nach Ausweis von Kuntzes Kalender 1916)


einmal zur Erziehungstätigkeit gehören. Aber haben nicht auch andere Berufe,
wie der des Rechtsanwaltes oder des Arztes, Seiten, die dem Unbeteiligten
als niedrig, wenig geistig, ja fast unwürdig erscheinen müssen? Der höhere
Lehrer soll nach Wilhelm Münch („Geist des Lehramts", zweite Auflage. S. 493)
»in den weiteren Lebenskreisen, in denen er sich bewegt, echte Bildung ver¬
treten und echtes Bildungsstreben, auch — wenngleich er selbst forschend oder
darstellend nicht mitzuarbeiten vermag — wissenschaftlichen Sinn und Geist.
Er soll womöglich inmitten einer Gesellschaft, der der Begriff der Bildung
immer ins Vage oder Wertlose zu zerfließen droht, eine ernstere Auffassung
derselben immer wieder fühlen lassen." Der Beamtencharakter des Oberlehrers,
obwohl er noch nicht allgemein anerkannt ist, hat zweifellos zu seiner gesell¬
schaftlichen Hebung beigetragen; aber er hat auch seine Gefahren, da er einer
ichematischen. ungeistigen Auffassung des Berufes Vorschub leisten könnte. Und
wenn in den letzten Jahrzehnten der schneidige Reserveleutnant vielleicht der
häufigere Typus in der Lehrerwelt war als der gelehrte, aber weltfremde,
unpraktische Bücherwurm (E. Reicke. „Der Lehrer", 1901. S. 135). so liegt
das hauptsächlich an dem Streben, auch im äußeren Auftreten den Staats¬
beamten hervorzukehren. Demgegenüber bemerkt Norrenberg („Die deutsche
Schule nach dem Weltkrieg". 1916, S. 257): „In unsere Zeit paßt nicht mehr
das alte Profefsorenoriginal, das im feierlichen Gewände einherschritt und ganz
in seinen Büchern lebte, aber auch nicht der mit äußerem Schneid auftretende
Philologe der achtziger und neunziger Jahre, der sein Standesbewußtsein mög¬
lichst kräftig zur Schau stellen mußte, um sich die Möglichkeit einer angemessenen
Lebenshaltung mühsam zu erringen. Zeitgemäß ist nur noch der geistig viel¬
seitig angeregte Mensch mit offenem Blick und offenem Herzen, der bei aller
männlichen Kraft und bei allem durchgreifenden Wollen in der ernsten Tages-
arbeit ein liebenswürdiges Verständnis hat für des Kinderherzens jugendliche
Eigenart mit seinen Sorgen und Freuden." Solche vielseitig angeregten
Menschen mit offenem Blick und offenem Herzen werden auch leicht das Ver¬
trauen der Öffentlichkeit erringen und so auf weitere Kreise wirken können.

Über die Art dieses Einflusses müssen wenige Andeutungen genügen.
Zusammenfassend könnte man als ihr Ziel die gesamte Volksbildung und die
Jugendfürsorge bezeichnen, die ja in Zukunft voraussichtlich eine noch größere
Bedeutung haben wird als bisher. Da ist es denn zunächst wünschenswert,
daß geeignete Persönlichkeiten aus dem höheren Lehrerstande in den Ausschüssen
und Vorständen der Vereine, die solchen Zwecken gewidmet sind, zahlreich ver¬
beten sind. Gegenwärtig ist bei der Auswahl für solche Stellungen weniger
Bildung und Sachkenntnis als äußeres gesellschaftliches Ansehen. Besitz und
Titel maßgebend. Man wird neben Männern mehr praktischen Sinnes in den
leisten Fällen doch auch der wissenschaftlich und pädagogisch Einsichtigen be¬
dürfen. Bei der außerordentlichen Bedeutung des Schulwesens in Staat und
Gemeinde ist es ausfallend, daß (nach Ausweis von Kuntzes Kalender 1916)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/289>, abgerufen am 03.07.2024.