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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Stellung des höheren Lehrerstandes

festen Wissens-- und Bildungskern. Der Lehrende muß die Lebensbeziehungen
seines Faches und dessen allgemeine Bedeutung für die Kultur seiner Zeit
erkennen; und daß eine solche Anschauung mit gründlicher Fachbildung vereinbar
ist. ja diese voraussetzt, leuchtet ohne weiteres ein. "Wer sein besonderes Lehr¬
fach nur als besonderes kennt und nicht fähig ist, weder das Allgemeine in
Hin zu erkennen, noch den Ausdruck einer universell-wissenschaftlichen Bildung
in ihm niederzulegen, ist unwürdig. Lehrer und Bewahrer der Wissenschaft zu
sein." Dieser Ausspruch Schellings ("Methode des akademischen Studiums",
herausgeg. von O. Braun, S. 28--29). legt mit wohltuender Deutlichkeit die
schwache Seite auch des heutigen Bildungswesens bloß. Denn die Einengung
des Gesichtskreises auf das Einzelfach hat sowohl die unfruchtbare Zersplitterung
unseres höheren Unterrichtsbetriebes wie auch die Entfremdung des Lehrer-
standes von den weitergreifenden Lebensaufgaben verschuldet. Nicht als ob
dieser Stand, dem innere Regsamkeit wahrlich nicht fehlt, überhaupt nicht fort¬
geschritten sei; aber er ist nicht in steter Berührung geblieben mit den neuen
Anforderungen unserer Kultur, die, wenn nicht reicher, so doch viel verwickelter
und problematischer geworden ist. Und gerade, weil die eigentlichen Geistes¬
arbeiter vielfach beiseite standen, mangelte dieser hastigen Entwicklung die innere
Durchgeistung und Beseelung. Wie geistesarm die Zeit vor dem Kriege war.
ist vielleicht erst jetzt manchem zum Bewußtsein gekommen. Bedenken wir ferner
noch die drohende Gefahr, daß plötzlicher Geldgewinn eine gesellschaftliche Schicht
in die Höhe heben wird, der wir den Schatz unserer deutschen Bildung nun
und nimmer anvertrauen dürfen, so wird man die Forderung gerechtfertigt
Aden, daß alle im höheren Sinne geistigen Berufe danach trachten müssen,
die ihnen gebührende Stellung im Leben der Nation wieder zu erringen. Es
dürfen die mannigfachen Kräfte, die in den wissenschaftlich geschulten Ständen
schlummern, für die Allgemeinheit nicht verloren gehen. Noch einmal sei betont,
daß damit nicht von jedem Jugendbildner verlangt wird, er solle sich öffentlich
betätigen. Wo aber Fähigkeit und Neigung dazu vorhanden sind, dürfen äußere
Bedenken oder falsche Scheu nicht davor zurückschrecken. Das gebietet schon die
sozialökonomische Rücksicht.

Daß solche Erwartungen mehr als bloße Ideale find, darauf deutet eine
Bewegung unter den Studenten hin. Gewisse Wandlungen im akademischen
Leben, vor allem auch die soziale Studentenarbeit, zeigen, daß in der studierenden
Tugend eine neue Auffassung von ihren nationalen und sozialen Pflichten
erwacht ist. Und wahrlich, mit jenem geradezu mittelalterlichen Gebaren, wie
°s sich besonders im Verbindungsleben erhalten hat. muß endlich einmal auf¬
geräumt werden. Wer als reifer Mann hört, mit welcher Wichtigkeit der
Student die richtigen Formen des "Komments" oder gar Toilettenfragen be¬
handelt, wie die Persönlichkeiten in erster Linie nach ihrem Äußeren und ihrer
geldlichen Leistungsfähigkeit eingeschätzt werden, der hat die peinliche Empfindung.
das Denken junger Leute, die zu Führern der Nation berufen sind, von


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Die Stellung des höheren Lehrerstandes

festen Wissens-- und Bildungskern. Der Lehrende muß die Lebensbeziehungen
seines Faches und dessen allgemeine Bedeutung für die Kultur seiner Zeit
erkennen; und daß eine solche Anschauung mit gründlicher Fachbildung vereinbar
ist. ja diese voraussetzt, leuchtet ohne weiteres ein. „Wer sein besonderes Lehr¬
fach nur als besonderes kennt und nicht fähig ist, weder das Allgemeine in
Hin zu erkennen, noch den Ausdruck einer universell-wissenschaftlichen Bildung
in ihm niederzulegen, ist unwürdig. Lehrer und Bewahrer der Wissenschaft zu
sein." Dieser Ausspruch Schellings („Methode des akademischen Studiums",
herausgeg. von O. Braun, S. 28—29). legt mit wohltuender Deutlichkeit die
schwache Seite auch des heutigen Bildungswesens bloß. Denn die Einengung
des Gesichtskreises auf das Einzelfach hat sowohl die unfruchtbare Zersplitterung
unseres höheren Unterrichtsbetriebes wie auch die Entfremdung des Lehrer-
standes von den weitergreifenden Lebensaufgaben verschuldet. Nicht als ob
dieser Stand, dem innere Regsamkeit wahrlich nicht fehlt, überhaupt nicht fort¬
geschritten sei; aber er ist nicht in steter Berührung geblieben mit den neuen
Anforderungen unserer Kultur, die, wenn nicht reicher, so doch viel verwickelter
und problematischer geworden ist. Und gerade, weil die eigentlichen Geistes¬
arbeiter vielfach beiseite standen, mangelte dieser hastigen Entwicklung die innere
Durchgeistung und Beseelung. Wie geistesarm die Zeit vor dem Kriege war.
ist vielleicht erst jetzt manchem zum Bewußtsein gekommen. Bedenken wir ferner
noch die drohende Gefahr, daß plötzlicher Geldgewinn eine gesellschaftliche Schicht
in die Höhe heben wird, der wir den Schatz unserer deutschen Bildung nun
und nimmer anvertrauen dürfen, so wird man die Forderung gerechtfertigt
Aden, daß alle im höheren Sinne geistigen Berufe danach trachten müssen,
die ihnen gebührende Stellung im Leben der Nation wieder zu erringen. Es
dürfen die mannigfachen Kräfte, die in den wissenschaftlich geschulten Ständen
schlummern, für die Allgemeinheit nicht verloren gehen. Noch einmal sei betont,
daß damit nicht von jedem Jugendbildner verlangt wird, er solle sich öffentlich
betätigen. Wo aber Fähigkeit und Neigung dazu vorhanden sind, dürfen äußere
Bedenken oder falsche Scheu nicht davor zurückschrecken. Das gebietet schon die
sozialökonomische Rücksicht.

Daß solche Erwartungen mehr als bloße Ideale find, darauf deutet eine
Bewegung unter den Studenten hin. Gewisse Wandlungen im akademischen
Leben, vor allem auch die soziale Studentenarbeit, zeigen, daß in der studierenden
Tugend eine neue Auffassung von ihren nationalen und sozialen Pflichten
erwacht ist. Und wahrlich, mit jenem geradezu mittelalterlichen Gebaren, wie
°s sich besonders im Verbindungsleben erhalten hat. muß endlich einmal auf¬
geräumt werden. Wer als reifer Mann hört, mit welcher Wichtigkeit der
Student die richtigen Formen des „Komments" oder gar Toilettenfragen be¬
handelt, wie die Persönlichkeiten in erster Linie nach ihrem Äußeren und ihrer
geldlichen Leistungsfähigkeit eingeschätzt werden, der hat die peinliche Empfindung.
das Denken junger Leute, die zu Führern der Nation berufen sind, von


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[0287] Die Stellung des höheren Lehrerstandes festen Wissens-- und Bildungskern. Der Lehrende muß die Lebensbeziehungen seines Faches und dessen allgemeine Bedeutung für die Kultur seiner Zeit erkennen; und daß eine solche Anschauung mit gründlicher Fachbildung vereinbar ist. ja diese voraussetzt, leuchtet ohne weiteres ein. „Wer sein besonderes Lehr¬ fach nur als besonderes kennt und nicht fähig ist, weder das Allgemeine in Hin zu erkennen, noch den Ausdruck einer universell-wissenschaftlichen Bildung in ihm niederzulegen, ist unwürdig. Lehrer und Bewahrer der Wissenschaft zu sein." Dieser Ausspruch Schellings („Methode des akademischen Studiums", herausgeg. von O. Braun, S. 28—29). legt mit wohltuender Deutlichkeit die schwache Seite auch des heutigen Bildungswesens bloß. Denn die Einengung des Gesichtskreises auf das Einzelfach hat sowohl die unfruchtbare Zersplitterung unseres höheren Unterrichtsbetriebes wie auch die Entfremdung des Lehrer- standes von den weitergreifenden Lebensaufgaben verschuldet. Nicht als ob dieser Stand, dem innere Regsamkeit wahrlich nicht fehlt, überhaupt nicht fort¬ geschritten sei; aber er ist nicht in steter Berührung geblieben mit den neuen Anforderungen unserer Kultur, die, wenn nicht reicher, so doch viel verwickelter und problematischer geworden ist. Und gerade, weil die eigentlichen Geistes¬ arbeiter vielfach beiseite standen, mangelte dieser hastigen Entwicklung die innere Durchgeistung und Beseelung. Wie geistesarm die Zeit vor dem Kriege war. ist vielleicht erst jetzt manchem zum Bewußtsein gekommen. Bedenken wir ferner noch die drohende Gefahr, daß plötzlicher Geldgewinn eine gesellschaftliche Schicht in die Höhe heben wird, der wir den Schatz unserer deutschen Bildung nun und nimmer anvertrauen dürfen, so wird man die Forderung gerechtfertigt Aden, daß alle im höheren Sinne geistigen Berufe danach trachten müssen, die ihnen gebührende Stellung im Leben der Nation wieder zu erringen. Es dürfen die mannigfachen Kräfte, die in den wissenschaftlich geschulten Ständen schlummern, für die Allgemeinheit nicht verloren gehen. Noch einmal sei betont, daß damit nicht von jedem Jugendbildner verlangt wird, er solle sich öffentlich betätigen. Wo aber Fähigkeit und Neigung dazu vorhanden sind, dürfen äußere Bedenken oder falsche Scheu nicht davor zurückschrecken. Das gebietet schon die sozialökonomische Rücksicht. Daß solche Erwartungen mehr als bloße Ideale find, darauf deutet eine Bewegung unter den Studenten hin. Gewisse Wandlungen im akademischen Leben, vor allem auch die soziale Studentenarbeit, zeigen, daß in der studierenden Tugend eine neue Auffassung von ihren nationalen und sozialen Pflichten erwacht ist. Und wahrlich, mit jenem geradezu mittelalterlichen Gebaren, wie °s sich besonders im Verbindungsleben erhalten hat. muß endlich einmal auf¬ geräumt werden. Wer als reifer Mann hört, mit welcher Wichtigkeit der Student die richtigen Formen des „Komments" oder gar Toilettenfragen be¬ handelt, wie die Persönlichkeiten in erster Linie nach ihrem Äußeren und ihrer geldlichen Leistungsfähigkeit eingeschätzt werden, der hat die peinliche Empfindung. das Denken junger Leute, die zu Führern der Nation berufen sind, von 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/287>, abgerufen am 02.10.2024.