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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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nicht erwarten. Schon daß er es nur mit der Jugend zu tun hat. drückt seine
Leistung in den Augen der großen Menge herab. Die entfernte Ähnlichkeit,
die gewisse Amtshandlungen mit der Polizeiaufsicht haben, wirkt auch nicht
gerade erhöhend. Dazu kommt, daß seine ganze Tätigkeit, ja jedes Wort und
jede Bewegung einer unreifen, aber scharfen Beurteilung unterliegt; denn selbst
der Primaner wird meist nicht imstande sein, den persönlichen Wert gerade des
bedeutenden Lehrers zu erfassen. Die Eltern aber sehen den Lehrer doch viel¬
fach mit den Augen ihrer Kinder. Wie viel unabhängiger steht in dieser Be¬
ziehung der Jurist, der Arzt, der Geistliche da!

Ein solches Verhältnis zur Öffentlichkeit muß natürlich das ganze Lebens¬
gefühl des Jugenderziehers beeinflussen. Aber in seiner Berufstätigkeit selbst
liegen noch Momente, die jene polare Abstoßung verstärken. Zunächst wirkt
das Bewußtsein,. beständig einer unzulänglichen Kritik ausgesetzt zu sein, und
der Zwang, sich auch in kleinlichen Dingen stets "zusammennehmen" zu müssen,
auf manchen wie ein leiser Druck. Von freieren Geistern aber wird die fort¬
gesetzte Hemmung ihrer Tätigkeit durch allzuviele amtliche Vorschriften und
Regelungen als eine schwere und unnötige Last empfunden. Und selbst wo
dies durch außergewöhnlich günstige Verhältnisse weniger der Fall ist. bleibt
gerade für den Begabten und Höherstrebenden eine seelische Bindung bestehen,
die mit der Erzieher- und Lehrertätigkeit nun einmal unlösbar verknüpft ist.
Denn in der Entfaltung seiner persönlichsten Eigenart, in dem frohen Drange,
den ganzen reichen Gehalt seines Innenlebens freigebig in die Seelen seiner
Zöglinge überströmen zu lassen, sieht er sich allenthalben durch eine strenge
didaktische Methode gezügelt, die den gegebenen Stoff doch nicht nur formt,
sondern oft genug dem kindlichen Verständnis zuliebe auch vergewaltigen muß.
Und ähnlich findet der Wunsch, den jugendlichen Freunden recht menschlich zu
begegnen, an den Bedingungen der Schulzucht und der Massenerziehung seine
Schranken. Es wird einer besonders glücklichen pädagogischen Beanlagung be¬
dürfen, daß dieser Widerstreit zwischen subjektivem Wollen und Können und
objektiv sachlicher Anforderung überhaupt nicht zum Bewußtsein kommt. Meist
dagegen wird daraus eine innere Hemmung entstehen, die kaum bei irgend¬
einem anderen Berufe in solchem Maße vorkommt, weil keiner -- es sei denn
der des Geistlichen -- eine solche Einsetzung der ganzen Persönlichkeit verlangt.
Daß eine derartige Fesselung der geistigen Beweglichkeit gelegentlich zu pedan¬
tischen Wesen führen wird, ist natürlich. Worauf es hier ankam, war zu
Zeigen, daß schon in der psychologischen Eigenart der Erziehertätigkeit Momente
liegen, die einer freien Ausweitung des Charakters und dadurch mittelbar der
Neigung zu öffentlicher Wirksamkeit entgegenarbeiten. Dazu kommt nun in
Manchen Fällen noch private wissenschaftliche oder schriftstellerische Tätigkeit, die
ein eingezogenes Leben veranlaßt, in anderen ein gewisser Unmut oder gar
Erbitterung über die beständigen Angriffe, denen die mit strengem Pflichtgefühl
und oft mit Aufopferung erledigte Berufsarbeit ausgesetzt ist. Auch hat das


nicht erwarten. Schon daß er es nur mit der Jugend zu tun hat. drückt seine
Leistung in den Augen der großen Menge herab. Die entfernte Ähnlichkeit,
die gewisse Amtshandlungen mit der Polizeiaufsicht haben, wirkt auch nicht
gerade erhöhend. Dazu kommt, daß seine ganze Tätigkeit, ja jedes Wort und
jede Bewegung einer unreifen, aber scharfen Beurteilung unterliegt; denn selbst
der Primaner wird meist nicht imstande sein, den persönlichen Wert gerade des
bedeutenden Lehrers zu erfassen. Die Eltern aber sehen den Lehrer doch viel¬
fach mit den Augen ihrer Kinder. Wie viel unabhängiger steht in dieser Be¬
ziehung der Jurist, der Arzt, der Geistliche da!

Ein solches Verhältnis zur Öffentlichkeit muß natürlich das ganze Lebens¬
gefühl des Jugenderziehers beeinflussen. Aber in seiner Berufstätigkeit selbst
liegen noch Momente, die jene polare Abstoßung verstärken. Zunächst wirkt
das Bewußtsein,. beständig einer unzulänglichen Kritik ausgesetzt zu sein, und
der Zwang, sich auch in kleinlichen Dingen stets „zusammennehmen" zu müssen,
auf manchen wie ein leiser Druck. Von freieren Geistern aber wird die fort¬
gesetzte Hemmung ihrer Tätigkeit durch allzuviele amtliche Vorschriften und
Regelungen als eine schwere und unnötige Last empfunden. Und selbst wo
dies durch außergewöhnlich günstige Verhältnisse weniger der Fall ist. bleibt
gerade für den Begabten und Höherstrebenden eine seelische Bindung bestehen,
die mit der Erzieher- und Lehrertätigkeit nun einmal unlösbar verknüpft ist.
Denn in der Entfaltung seiner persönlichsten Eigenart, in dem frohen Drange,
den ganzen reichen Gehalt seines Innenlebens freigebig in die Seelen seiner
Zöglinge überströmen zu lassen, sieht er sich allenthalben durch eine strenge
didaktische Methode gezügelt, die den gegebenen Stoff doch nicht nur formt,
sondern oft genug dem kindlichen Verständnis zuliebe auch vergewaltigen muß.
Und ähnlich findet der Wunsch, den jugendlichen Freunden recht menschlich zu
begegnen, an den Bedingungen der Schulzucht und der Massenerziehung seine
Schranken. Es wird einer besonders glücklichen pädagogischen Beanlagung be¬
dürfen, daß dieser Widerstreit zwischen subjektivem Wollen und Können und
objektiv sachlicher Anforderung überhaupt nicht zum Bewußtsein kommt. Meist
dagegen wird daraus eine innere Hemmung entstehen, die kaum bei irgend¬
einem anderen Berufe in solchem Maße vorkommt, weil keiner — es sei denn
der des Geistlichen — eine solche Einsetzung der ganzen Persönlichkeit verlangt.
Daß eine derartige Fesselung der geistigen Beweglichkeit gelegentlich zu pedan¬
tischen Wesen führen wird, ist natürlich. Worauf es hier ankam, war zu
Zeigen, daß schon in der psychologischen Eigenart der Erziehertätigkeit Momente
liegen, die einer freien Ausweitung des Charakters und dadurch mittelbar der
Neigung zu öffentlicher Wirksamkeit entgegenarbeiten. Dazu kommt nun in
Manchen Fällen noch private wissenschaftliche oder schriftstellerische Tätigkeit, die
ein eingezogenes Leben veranlaßt, in anderen ein gewisser Unmut oder gar
Erbitterung über die beständigen Angriffe, denen die mit strengem Pflichtgefühl
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/283>, abgerufen am 04.07.2024.