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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Stellung des höheren Lehrerstandes

so sind sie doch für eine weit verbreitete Stimmung kennzeichnend. Während
also der Oberlehrerstand durch seine wirtschaftliche Hebung sich äußerlich in der
Gesellschaft eine viel günstigere Lage erobert hat, ist dagegen die Bewertung
seiner Berufstätigkeit nicht in gleichem Maße gestiegen. Und wenn ehemals
sein Verhältnis zur Öffentlichkeit wesentlich durch das Gefühl sozialer Beengung
bestimmt war, so trat jetzt eine Art Spannung ein, die wiederum die sreie
Entfaltung aller in ihm vorhandenen Kräfte hemmen mußte.

Die Tatsache, daß der Oberlehrerstand im öffentlichen Leben nicht die
Rolle spielt, die ihm nach seinen geistigen Fähigkeiten zukommt, hat die ver¬
schiedensten Ursachen, die allerdings nur zu einem Teil in der kulturgeschicht¬
lichen Entwicklung, zum anderen vielmehr in der Eigenart des Lehrberufes
selbst zu suchen sind.

Bekanntlich hat etwa nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutsch¬
land durch den Aufschwung der Industrie eine Umschichtung der Stände statt¬
gefunden: die sogenannten gelehrten Berufe wurden in ihrer sozialen Stellung
durch die emporsteigenden Industriellen und Unternehmer zurückgedrängt. Der
Geist des Unternehmertums mit seiner ausschließlichen Bewertung des mate¬
riellen Erfolges machte sich zu ungunsten derjenigen Kreise geltend, die man
bisher als die "gebildeten" anerkannt hatte. "Der Sieg solcher Strömungen
würde", wie Karl Lamprecht ausführt, "zu der . . . Konsequenz führen, daß
soziale Wertung allein noch von unternehmerischen Erfolg abgeleitet würde
und daß eine geistige Bildung eingehenderer Art nicht mehr als durchaus regel¬
mäßige Voraussetzung angesehen würde für hohe gesellschaftliche -- und damit
politische -- Geltung. Der Begriff eines geistigen Adels würde damit ver¬
loren gehen oder wenigstens wesentlichen Umgestaltungen anheimfallen." So
weit ist es glücklicherweise bei uns im Gegensatz zu englischen und amerika¬
nischen Verhältnissen noch nicht gekommen. Aber daß die akademischen Berufe,
auch der des Arztes und des Juristen, in der öffentlichen Schätzung zurück¬
gegangen oder doch von den neu emporgekommenen "Aristokraten der bürger¬
lichen Unternehmung" überholt worden sind, läßt sich nicht bestreiten. Nun hat
es der Oberlehrerstand zwar verstanden, die gegebenen Verhältnisse auszunutzen,
indem er es durch Organisation zu einem beträchtlichen wirtschaftlichen Aufstieg
brachte. Aber die größere gesellschaftliche Anerkennung, die sich als Folge der
finanziellen Sicherung bald einstellte, vermochte doch nicht das starke Mißtrauen
zu heben, das sich gegen die berufliche Tätigkeit des einzelnen wie das ganze
Erziehungs- und Unterrichtssystem herausgebildet hatte. Man fand die Arbeit
der höheren Schule unzeitgemäß, lebensfremd, einseitig intellektualistisch; und,
was doch wesentlich dem System zu schulden kam, wurde den Vertretern des
Standes zur Last gelegt. Solche aus den Zeitverhältnissen entspringende Kritik¬
sucht verstärkte noch die Spannung, die wohl immer zwischen Schule und Öffent¬
lichkeit bestehen wird. Eine Anerkennung, deren sich andere Berufe mit ähn¬
licher oder auch geringerer Vorbildung zu erfreuen haben, kann der Philologe


Die Stellung des höheren Lehrerstandes

so sind sie doch für eine weit verbreitete Stimmung kennzeichnend. Während
also der Oberlehrerstand durch seine wirtschaftliche Hebung sich äußerlich in der
Gesellschaft eine viel günstigere Lage erobert hat, ist dagegen die Bewertung
seiner Berufstätigkeit nicht in gleichem Maße gestiegen. Und wenn ehemals
sein Verhältnis zur Öffentlichkeit wesentlich durch das Gefühl sozialer Beengung
bestimmt war, so trat jetzt eine Art Spannung ein, die wiederum die sreie
Entfaltung aller in ihm vorhandenen Kräfte hemmen mußte.

Die Tatsache, daß der Oberlehrerstand im öffentlichen Leben nicht die
Rolle spielt, die ihm nach seinen geistigen Fähigkeiten zukommt, hat die ver¬
schiedensten Ursachen, die allerdings nur zu einem Teil in der kulturgeschicht¬
lichen Entwicklung, zum anderen vielmehr in der Eigenart des Lehrberufes
selbst zu suchen sind.

Bekanntlich hat etwa nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutsch¬
land durch den Aufschwung der Industrie eine Umschichtung der Stände statt¬
gefunden: die sogenannten gelehrten Berufe wurden in ihrer sozialen Stellung
durch die emporsteigenden Industriellen und Unternehmer zurückgedrängt. Der
Geist des Unternehmertums mit seiner ausschließlichen Bewertung des mate¬
riellen Erfolges machte sich zu ungunsten derjenigen Kreise geltend, die man
bisher als die „gebildeten" anerkannt hatte. „Der Sieg solcher Strömungen
würde", wie Karl Lamprecht ausführt, „zu der . . . Konsequenz führen, daß
soziale Wertung allein noch von unternehmerischen Erfolg abgeleitet würde
und daß eine geistige Bildung eingehenderer Art nicht mehr als durchaus regel¬
mäßige Voraussetzung angesehen würde für hohe gesellschaftliche — und damit
politische — Geltung. Der Begriff eines geistigen Adels würde damit ver¬
loren gehen oder wenigstens wesentlichen Umgestaltungen anheimfallen." So
weit ist es glücklicherweise bei uns im Gegensatz zu englischen und amerika¬
nischen Verhältnissen noch nicht gekommen. Aber daß die akademischen Berufe,
auch der des Arztes und des Juristen, in der öffentlichen Schätzung zurück¬
gegangen oder doch von den neu emporgekommenen „Aristokraten der bürger¬
lichen Unternehmung" überholt worden sind, läßt sich nicht bestreiten. Nun hat
es der Oberlehrerstand zwar verstanden, die gegebenen Verhältnisse auszunutzen,
indem er es durch Organisation zu einem beträchtlichen wirtschaftlichen Aufstieg
brachte. Aber die größere gesellschaftliche Anerkennung, die sich als Folge der
finanziellen Sicherung bald einstellte, vermochte doch nicht das starke Mißtrauen
zu heben, das sich gegen die berufliche Tätigkeit des einzelnen wie das ganze
Erziehungs- und Unterrichtssystem herausgebildet hatte. Man fand die Arbeit
der höheren Schule unzeitgemäß, lebensfremd, einseitig intellektualistisch; und,
was doch wesentlich dem System zu schulden kam, wurde den Vertretern des
Standes zur Last gelegt. Solche aus den Zeitverhältnissen entspringende Kritik¬
sucht verstärkte noch die Spannung, die wohl immer zwischen Schule und Öffent¬
lichkeit bestehen wird. Eine Anerkennung, deren sich andere Berufe mit ähn¬
licher oder auch geringerer Vorbildung zu erfreuen haben, kann der Philologe


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[0282] Die Stellung des höheren Lehrerstandes so sind sie doch für eine weit verbreitete Stimmung kennzeichnend. Während also der Oberlehrerstand durch seine wirtschaftliche Hebung sich äußerlich in der Gesellschaft eine viel günstigere Lage erobert hat, ist dagegen die Bewertung seiner Berufstätigkeit nicht in gleichem Maße gestiegen. Und wenn ehemals sein Verhältnis zur Öffentlichkeit wesentlich durch das Gefühl sozialer Beengung bestimmt war, so trat jetzt eine Art Spannung ein, die wiederum die sreie Entfaltung aller in ihm vorhandenen Kräfte hemmen mußte. Die Tatsache, daß der Oberlehrerstand im öffentlichen Leben nicht die Rolle spielt, die ihm nach seinen geistigen Fähigkeiten zukommt, hat die ver¬ schiedensten Ursachen, die allerdings nur zu einem Teil in der kulturgeschicht¬ lichen Entwicklung, zum anderen vielmehr in der Eigenart des Lehrberufes selbst zu suchen sind. Bekanntlich hat etwa nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutsch¬ land durch den Aufschwung der Industrie eine Umschichtung der Stände statt¬ gefunden: die sogenannten gelehrten Berufe wurden in ihrer sozialen Stellung durch die emporsteigenden Industriellen und Unternehmer zurückgedrängt. Der Geist des Unternehmertums mit seiner ausschließlichen Bewertung des mate¬ riellen Erfolges machte sich zu ungunsten derjenigen Kreise geltend, die man bisher als die „gebildeten" anerkannt hatte. „Der Sieg solcher Strömungen würde", wie Karl Lamprecht ausführt, „zu der . . . Konsequenz führen, daß soziale Wertung allein noch von unternehmerischen Erfolg abgeleitet würde und daß eine geistige Bildung eingehenderer Art nicht mehr als durchaus regel¬ mäßige Voraussetzung angesehen würde für hohe gesellschaftliche — und damit politische — Geltung. Der Begriff eines geistigen Adels würde damit ver¬ loren gehen oder wenigstens wesentlichen Umgestaltungen anheimfallen." So weit ist es glücklicherweise bei uns im Gegensatz zu englischen und amerika¬ nischen Verhältnissen noch nicht gekommen. Aber daß die akademischen Berufe, auch der des Arztes und des Juristen, in der öffentlichen Schätzung zurück¬ gegangen oder doch von den neu emporgekommenen „Aristokraten der bürger¬ lichen Unternehmung" überholt worden sind, läßt sich nicht bestreiten. Nun hat es der Oberlehrerstand zwar verstanden, die gegebenen Verhältnisse auszunutzen, indem er es durch Organisation zu einem beträchtlichen wirtschaftlichen Aufstieg brachte. Aber die größere gesellschaftliche Anerkennung, die sich als Folge der finanziellen Sicherung bald einstellte, vermochte doch nicht das starke Mißtrauen zu heben, das sich gegen die berufliche Tätigkeit des einzelnen wie das ganze Erziehungs- und Unterrichtssystem herausgebildet hatte. Man fand die Arbeit der höheren Schule unzeitgemäß, lebensfremd, einseitig intellektualistisch; und, was doch wesentlich dem System zu schulden kam, wurde den Vertretern des Standes zur Last gelegt. Solche aus den Zeitverhältnissen entspringende Kritik¬ sucht verstärkte noch die Spannung, die wohl immer zwischen Schule und Öffent¬ lichkeit bestehen wird. Eine Anerkennung, deren sich andere Berufe mit ähn¬ licher oder auch geringerer Vorbildung zu erfreuen haben, kann der Philologe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/282>, abgerufen am 24.07.2024.