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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

die Kosaken ohnedies schon als Executivorgane der zarischen Ochrana sehr
gelegen kommen.

Für den 23. Juni hatten die Bolschewik, die mit den Verhandlungen des
Allrussischen Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte unzufrieden waren, in
aller Stille eine große bewaffnete Demonstration vorbereitet, deren Zustande¬
kommen nur dank den gewaltigen Anstrengungen des Excekutivkomitees des
Sowjet und der Mitglieder des Allrussischen Kongresses noch in letzter Stunde
inhibiert werden konnte. -- -- Die Bsurgeoisiepresse wetterte damals in
heiligem Zorne gegen diese "Verschwörung", die nicht bloß gegen die Provisorische
Regierung selbst, sondern sogar gegen alle in den Arbeiter- und Soldatenräten
vereinigten Sozialisten gerichtet gewesen sei. Die sozialistische Presse rückte
scharf von den Bolschewiki ab, ließ sich aber auch durch die Zornesausbrüche
der Bourgeoisiepresse gegen die Leninschen Verschwörer nicht irreführen. Jeden¬
falls hatte auch am 23. Juni die revolutionäre Demokratie den Sieg davon¬
getragen über die "dunklen Kräfte", und den konterrevolutionären Elementen
war die Möglichkeit genommen, die Verschwörung der Bolschewiki für einen
Coup auszunützen.

In der Folgezeit mußte die Taktik des Kadettenstabes eine Änderung
erfahren infolge der am 1. Juli einsetzenden russischen Offensive.

Der Allrussische Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte hatte für den
ersten Juli in allen größeren Städten Manifestationen angekündigt und ein
großes Zeremonial dafür ausgearbeitet. Die Bolschewiki legten sich diesen
Kongreßbeschluß als eine Konzession an ihre Partei aus, weil man sie am
23. Juni verhindert hatte, zu demonstrieren und erklärten sofort hocherfreut,
sie würden an diesem Tage mit der Losung "Nieder mit den Kapitalisten¬
ministern, die ganze Macht den Arbeiter- und Soldatenräten" erscheinen. Im
Kadettenlager herrschte Beklemmung. Die "Rjetsch" zog noch am Morgen des
1. Juli gereizt über den Sowjet her, der in der letzten Woche mitsamt den
Sozialistenministern mit vollen Segeln ins Fahrwasser der Bolschewiki gesteuert
sei. -- Der Offiziosus der Demokratie hingegen^ die "Jswestija", schrieb da¬
mals, der 1. Juli solle eine "Demonstration der revolutionären Einheit"
bedeuten und spielte deutlich auf die "dunklen Kräfte" an, welche die revolutionäre
Einheit bedrohten. -- Heute kann man, aus der Perspektive betrachtet, mit
einiger Sicherheit sagen, daß die Manifestationen am 1. Juli gewissermaßen
den Auftakt bilden sollten für die am gleichen Tage einsetzende Offensive der
Revolutionsarmee; der 1. Juli 1917 sollte eine "Heerschau der gesamten
revolutionären Streitkräfte" bedeuten.--Als am Abend die ersten Sieges-
nachrichten nach Petersburg gelangten, war natürlich die Freude groß, und
im Kadettenstabe setzte sofort rührige Tätigkeit ein. Die "Rjetsch" leitartikelte
begeistert über den "denkwürdigen 1. Juli", der das "völlige Fiasko der
großzügig gedacht gewesenen Manifestationen", dafür aber den "glücklichen
entscheidenden Angriff der Revolutionsarmee" gebracht habe.


Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

die Kosaken ohnedies schon als Executivorgane der zarischen Ochrana sehr
gelegen kommen.

Für den 23. Juni hatten die Bolschewik, die mit den Verhandlungen des
Allrussischen Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte unzufrieden waren, in
aller Stille eine große bewaffnete Demonstration vorbereitet, deren Zustande¬
kommen nur dank den gewaltigen Anstrengungen des Excekutivkomitees des
Sowjet und der Mitglieder des Allrussischen Kongresses noch in letzter Stunde
inhibiert werden konnte. — — Die Bsurgeoisiepresse wetterte damals in
heiligem Zorne gegen diese „Verschwörung", die nicht bloß gegen die Provisorische
Regierung selbst, sondern sogar gegen alle in den Arbeiter- und Soldatenräten
vereinigten Sozialisten gerichtet gewesen sei. Die sozialistische Presse rückte
scharf von den Bolschewiki ab, ließ sich aber auch durch die Zornesausbrüche
der Bourgeoisiepresse gegen die Leninschen Verschwörer nicht irreführen. Jeden¬
falls hatte auch am 23. Juni die revolutionäre Demokratie den Sieg davon¬
getragen über die „dunklen Kräfte", und den konterrevolutionären Elementen
war die Möglichkeit genommen, die Verschwörung der Bolschewiki für einen
Coup auszunützen.

In der Folgezeit mußte die Taktik des Kadettenstabes eine Änderung
erfahren infolge der am 1. Juli einsetzenden russischen Offensive.

Der Allrussische Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte hatte für den
ersten Juli in allen größeren Städten Manifestationen angekündigt und ein
großes Zeremonial dafür ausgearbeitet. Die Bolschewiki legten sich diesen
Kongreßbeschluß als eine Konzession an ihre Partei aus, weil man sie am
23. Juni verhindert hatte, zu demonstrieren und erklärten sofort hocherfreut,
sie würden an diesem Tage mit der Losung „Nieder mit den Kapitalisten¬
ministern, die ganze Macht den Arbeiter- und Soldatenräten" erscheinen. Im
Kadettenlager herrschte Beklemmung. Die „Rjetsch" zog noch am Morgen des
1. Juli gereizt über den Sowjet her, der in der letzten Woche mitsamt den
Sozialistenministern mit vollen Segeln ins Fahrwasser der Bolschewiki gesteuert
sei. — Der Offiziosus der Demokratie hingegen^ die „Jswestija", schrieb da¬
mals, der 1. Juli solle eine „Demonstration der revolutionären Einheit"
bedeuten und spielte deutlich auf die „dunklen Kräfte" an, welche die revolutionäre
Einheit bedrohten. — Heute kann man, aus der Perspektive betrachtet, mit
einiger Sicherheit sagen, daß die Manifestationen am 1. Juli gewissermaßen
den Auftakt bilden sollten für die am gleichen Tage einsetzende Offensive der
Revolutionsarmee; der 1. Juli 1917 sollte eine „Heerschau der gesamten
revolutionären Streitkräfte" bedeuten.--Als am Abend die ersten Sieges-
nachrichten nach Petersburg gelangten, war natürlich die Freude groß, und
im Kadettenstabe setzte sofort rührige Tätigkeit ein. Die „Rjetsch" leitartikelte
begeistert über den „denkwürdigen 1. Juli", der das „völlige Fiasko der
großzügig gedacht gewesenen Manifestationen", dafür aber den „glücklichen
entscheidenden Angriff der Revolutionsarmee" gebracht habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/276>, abgerufen am 30.06.2024.