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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

"Diese Nachricht läßt die Hoffnung aufkommen, daß der moralischen
Depression der letzten Wochen ein Ende bereitet wurde und die Interessen des
Vaterlandes über die Klasseninteressen gestellt werden" . . .

Es galt jetzt vor allem, den Offensivgeist zu beleben und den "sofort
bemerkbaren Gesundungsprozeß" kräftig zu unterstützen. Man veranstaltete
Meetings und Umzüge bei denen, wie die "Prawda" damals giftig bemerkte,
"das feine Publikum" vorherrschte; man zog vor die Gesandtschaften der
großen und kleinen Bundesgenossen; Miljukow, Buchanan, der italienische
Botschafter, hielten "begeistert aufgenommene Ansprachen"; man pries Kerenski
als den Nationalheros, trug Fahnen mit seinem Bildnis herum und arrangierte
auch sofort Spendensammlungen für die "Regimenter vom ersten Juli", einige
Unglücksmenschen, die es wagten, gegen die Offensive zu sprechen, wurden
jämmerlich vethauen und nach den Kommissariaten geschleppt (wo man sie
wieder freiließ 11) kurzum, man machte viel Geschrei und Trara.

In der Bourgeoisiepresse trat man sofort energisch dafür ein, den für die
russische Freiheit an der Front kämpfenden Brüdern Verstärkungen zu schicken,
vor allem aus Petersburg (I), denn schon kamen auch "zuverlässige Meldungen
von der Front", die durch "Gefangenenaussagen bestätigt" wurden, daß Hinden-
burg die Niederlage rächen und an der Nordfront durchbrechen werde; die
deutsche Flotte würde sich ebenfalls an der gegen Petersburg gerichteten Aktion
beteiligen, dieser Plan Hindenburgs könnte noch rechtzeitig zuschanden gemacht
werden, wenn jetzt auch die russische Flotte und die Nordfront ihre revolutionäre
Pflicht erfüllten und zur Offensive übergingen.

Die gemäßigte sozialistische Presse verhielt sich der Offensive gegenüber
Zurückhaltender, man wandte sich gegen die chauvinistischen Losungen, die in
Form von Glückwunschadressen an Kerenski gekleidet waren. Das Schwergewicht
wurde hier auf die moralische Wirkung der Offensive gelegt; man betonte, daß
die revolutionäre Armee sich vor der Welt rehabilitiert habe, kein Tropfen
russischen Blutes dürfte umsonst vergossen werden, jedenfalls nicht für imperia¬
listische Ziele der Alliierten.

Die Offensive staute ab, die Nordfront konnte oder mochte nicht mitmachen,
die Flotte kam über Resolutionen nicht hinaus, ebensowenig wie die Petersburger
Regimenter, die lieber ihre Beschützerrolle in der Hauptstadt weiterspielten als
an die Front zu gehen. In der Bourgeoisiepresse zog man jetzt über die
sozialistische Presse her. wegen ihrer "Furcht vor dem Siege", es galt, die
Minierarbeit fortzusetzen.^ Die Agitation richtet sich gegen den Sowjet, der die dort
sitzenden Bolschewik! nicht abschütteln könne, der Sowjet sei daher der Feind
der Provisorischen Negierung. die aber gegen den Sowjet selbst nicht energisch
vorzugehen wage, eine feste Regierungsgewalt sei nicht vorhanden und man
steuere mit vollen Segeln ins Verderben. Auf diesen Ton sind von jetzt ab
wieder alle Artikel der Bourgeoisiepresse abgestimmt mit der "Rjetsch" voran.
Die besten Vorkämpfer bleiben auch weiterhin die Bolschewik mit ihrer Losung:


Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

„Diese Nachricht läßt die Hoffnung aufkommen, daß der moralischen
Depression der letzten Wochen ein Ende bereitet wurde und die Interessen des
Vaterlandes über die Klasseninteressen gestellt werden" . . .

Es galt jetzt vor allem, den Offensivgeist zu beleben und den „sofort
bemerkbaren Gesundungsprozeß" kräftig zu unterstützen. Man veranstaltete
Meetings und Umzüge bei denen, wie die „Prawda" damals giftig bemerkte,
»das feine Publikum" vorherrschte; man zog vor die Gesandtschaften der
großen und kleinen Bundesgenossen; Miljukow, Buchanan, der italienische
Botschafter, hielten „begeistert aufgenommene Ansprachen"; man pries Kerenski
als den Nationalheros, trug Fahnen mit seinem Bildnis herum und arrangierte
auch sofort Spendensammlungen für die „Regimenter vom ersten Juli", einige
Unglücksmenschen, die es wagten, gegen die Offensive zu sprechen, wurden
jämmerlich vethauen und nach den Kommissariaten geschleppt (wo man sie
wieder freiließ 11) kurzum, man machte viel Geschrei und Trara.

In der Bourgeoisiepresse trat man sofort energisch dafür ein, den für die
russische Freiheit an der Front kämpfenden Brüdern Verstärkungen zu schicken,
vor allem aus Petersburg (I), denn schon kamen auch „zuverlässige Meldungen
von der Front", die durch „Gefangenenaussagen bestätigt" wurden, daß Hinden-
burg die Niederlage rächen und an der Nordfront durchbrechen werde; die
deutsche Flotte würde sich ebenfalls an der gegen Petersburg gerichteten Aktion
beteiligen, dieser Plan Hindenburgs könnte noch rechtzeitig zuschanden gemacht
werden, wenn jetzt auch die russische Flotte und die Nordfront ihre revolutionäre
Pflicht erfüllten und zur Offensive übergingen.

Die gemäßigte sozialistische Presse verhielt sich der Offensive gegenüber
Zurückhaltender, man wandte sich gegen die chauvinistischen Losungen, die in
Form von Glückwunschadressen an Kerenski gekleidet waren. Das Schwergewicht
wurde hier auf die moralische Wirkung der Offensive gelegt; man betonte, daß
die revolutionäre Armee sich vor der Welt rehabilitiert habe, kein Tropfen
russischen Blutes dürfte umsonst vergossen werden, jedenfalls nicht für imperia¬
listische Ziele der Alliierten.

Die Offensive staute ab, die Nordfront konnte oder mochte nicht mitmachen,
die Flotte kam über Resolutionen nicht hinaus, ebensowenig wie die Petersburger
Regimenter, die lieber ihre Beschützerrolle in der Hauptstadt weiterspielten als
an die Front zu gehen. In der Bourgeoisiepresse zog man jetzt über die
sozialistische Presse her. wegen ihrer „Furcht vor dem Siege", es galt, die
Minierarbeit fortzusetzen.^ Die Agitation richtet sich gegen den Sowjet, der die dort
sitzenden Bolschewik! nicht abschütteln könne, der Sowjet sei daher der Feind
der Provisorischen Negierung. die aber gegen den Sowjet selbst nicht energisch
vorzugehen wage, eine feste Regierungsgewalt sei nicht vorhanden und man
steuere mit vollen Segeln ins Verderben. Auf diesen Ton sind von jetzt ab
wieder alle Artikel der Bourgeoisiepresse abgestimmt mit der „Rjetsch" voran.
Die besten Vorkämpfer bleiben auch weiterhin die Bolschewik mit ihrer Losung:


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[0277] Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland „Diese Nachricht läßt die Hoffnung aufkommen, daß der moralischen Depression der letzten Wochen ein Ende bereitet wurde und die Interessen des Vaterlandes über die Klasseninteressen gestellt werden" . . . Es galt jetzt vor allem, den Offensivgeist zu beleben und den „sofort bemerkbaren Gesundungsprozeß" kräftig zu unterstützen. Man veranstaltete Meetings und Umzüge bei denen, wie die „Prawda" damals giftig bemerkte, »das feine Publikum" vorherrschte; man zog vor die Gesandtschaften der großen und kleinen Bundesgenossen; Miljukow, Buchanan, der italienische Botschafter, hielten „begeistert aufgenommene Ansprachen"; man pries Kerenski als den Nationalheros, trug Fahnen mit seinem Bildnis herum und arrangierte auch sofort Spendensammlungen für die „Regimenter vom ersten Juli", einige Unglücksmenschen, die es wagten, gegen die Offensive zu sprechen, wurden jämmerlich vethauen und nach den Kommissariaten geschleppt (wo man sie wieder freiließ 11) kurzum, man machte viel Geschrei und Trara. In der Bourgeoisiepresse trat man sofort energisch dafür ein, den für die russische Freiheit an der Front kämpfenden Brüdern Verstärkungen zu schicken, vor allem aus Petersburg (I), denn schon kamen auch „zuverlässige Meldungen von der Front", die durch „Gefangenenaussagen bestätigt" wurden, daß Hinden- burg die Niederlage rächen und an der Nordfront durchbrechen werde; die deutsche Flotte würde sich ebenfalls an der gegen Petersburg gerichteten Aktion beteiligen, dieser Plan Hindenburgs könnte noch rechtzeitig zuschanden gemacht werden, wenn jetzt auch die russische Flotte und die Nordfront ihre revolutionäre Pflicht erfüllten und zur Offensive übergingen. Die gemäßigte sozialistische Presse verhielt sich der Offensive gegenüber Zurückhaltender, man wandte sich gegen die chauvinistischen Losungen, die in Form von Glückwunschadressen an Kerenski gekleidet waren. Das Schwergewicht wurde hier auf die moralische Wirkung der Offensive gelegt; man betonte, daß die revolutionäre Armee sich vor der Welt rehabilitiert habe, kein Tropfen russischen Blutes dürfte umsonst vergossen werden, jedenfalls nicht für imperia¬ listische Ziele der Alliierten. Die Offensive staute ab, die Nordfront konnte oder mochte nicht mitmachen, die Flotte kam über Resolutionen nicht hinaus, ebensowenig wie die Petersburger Regimenter, die lieber ihre Beschützerrolle in der Hauptstadt weiterspielten als an die Front zu gehen. In der Bourgeoisiepresse zog man jetzt über die sozialistische Presse her. wegen ihrer „Furcht vor dem Siege", es galt, die Minierarbeit fortzusetzen.^ Die Agitation richtet sich gegen den Sowjet, der die dort sitzenden Bolschewik! nicht abschütteln könne, der Sowjet sei daher der Feind der Provisorischen Negierung. die aber gegen den Sowjet selbst nicht energisch vorzugehen wage, eine feste Regierungsgewalt sei nicht vorhanden und man steuere mit vollen Segeln ins Verderben. Auf diesen Ton sind von jetzt ab wieder alle Artikel der Bourgeoisiepresse abgestimmt mit der „Rjetsch" voran. Die besten Vorkämpfer bleiben auch weiterhin die Bolschewik mit ihrer Losung:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/277>, abgerufen am 28.06.2024.