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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Gründunzen von Kadettenklubs konnte man in letzter Zeit fast ständig
in den Spalten der "Rjetsch" verfolgen. Man kann sagen, daß heute wohl
fast das ganze Land mit einem Netz solcher Klubs überzogen ist, die nach den
Direktiven des kadettischen Hauptquartiers in Petersburg arbeiten. Allent¬
halben liest man von Meetings und Umzügen, welche die Kadetten arrangieren.
Einen starken Rückhalt finden die Kadetten hierbei in den Offiziers- und
Beamtenkreisen und der höheren Geistlichkeit. Das Streben der revolutionären
Demokratie ist denn auch in letzter Zeit besonders darauf gerichtet, in den
einzelnen Ressorts eine Filtrierung in bezug auf die reaktionären Elemente hin
vorzunehmen. -- Unter den Beamten des Verkehrsministeriums hat sich, wie
die "Rjetsch" vom 15./28. Juli mitteilte, bereits eine Sektion der Kadetten¬
partei gebildet, deren Hauptaufgabe in der Vereinigung aller Angestellten des
Ressorts in den Losungen der Kadettenpartei besteht, bei allen Bahnen, Ver¬
kehrsämtern, Chausseeverwaltungen und anderen Lokalbehörden sollen Zweig¬
stellen der Sektion gebildet werden. Die Wirkung dieser kadettischen Propa¬
ganda scheint Nekrassow als Verkehrsminister am eigenen Leibe verspürt zu
haben; Miljukow sprach noch dieser Tage von der "Flucht" Nekrassows aus
seinem Ressort. .

Neben der Tätigkeit dieser Kadettenklubs in den Städten geht die kadettische
Agitation auf dem Lande unter der einfachen Bevölkerung. Man bedient sich
für diese Art der Propaganda gern des sehr gefügigen Elements der Kriegs-
wvaliden und entflohenen Kriegsgefangenen, welche den Mushik durch ihre
Erzählungen von den Greueltaten des teuflischen Njemez aus feiner Stupidität
Kud Interesselosigkeit herausreißen und ihn zu neuen Opfern und Entbehrungen
für Fortsetzung des "Freiheitskampfes" anspornen sollen. Überhaupt bedient
'Aar sich dieser Leute gern zur Stimmungsmache und läßt sie bei "patriotischen"
Umzügen und Meetings lärmend demonstrieren. Die kadettische Agitation auf
dem Lande scheint aber nicht die gewünschten Ergebnisse zu zeitigen, sie wird
wieder paralysiert durch die Tätigkeit der revolutionär demokratischen Agitatoren,
^e nach Absolvierung eines Kursus in der Propagandasektion des Petersburger
Sowjet in die Lazarette und aufs Land entsandt werden und dort das Volk
um Sinne der demokratischen Losungen für die Konstituante und gegen die
Bourgeoisie bearbeiten. Mit ihren Versicherungen von der Aufteilung des
Landes finden sie bei dem Bauern naturgemäß starken Anklang, dessen einziger
Wunsch ja nur auf Verwirklichung seines Traumes "Semlja i. Wolja" ge-
Uchtet ist^

Soweit sich übersehen läßt, ist die kadettische Propagandaarbeit in der
Provinz jedoch noch nicht soweit gediehen, um von dort aus die Konter-
Evolution in Gang zu bringen; den Kadettenklubs stehen allenthalben die
Arbeiter- und Soldatenräte gegenüber, in denen nicht bloß einfache Arbeiter
und Soldaten sitzen, sondern auch die unbemittelte Intelligenz, vor allem die
Moische (gegen letztere richtet sich ja auch neuerdings ganz besonders die


Die Gründunzen von Kadettenklubs konnte man in letzter Zeit fast ständig
in den Spalten der „Rjetsch" verfolgen. Man kann sagen, daß heute wohl
fast das ganze Land mit einem Netz solcher Klubs überzogen ist, die nach den
Direktiven des kadettischen Hauptquartiers in Petersburg arbeiten. Allent¬
halben liest man von Meetings und Umzügen, welche die Kadetten arrangieren.
Einen starken Rückhalt finden die Kadetten hierbei in den Offiziers- und
Beamtenkreisen und der höheren Geistlichkeit. Das Streben der revolutionären
Demokratie ist denn auch in letzter Zeit besonders darauf gerichtet, in den
einzelnen Ressorts eine Filtrierung in bezug auf die reaktionären Elemente hin
vorzunehmen. — Unter den Beamten des Verkehrsministeriums hat sich, wie
die „Rjetsch" vom 15./28. Juli mitteilte, bereits eine Sektion der Kadetten¬
partei gebildet, deren Hauptaufgabe in der Vereinigung aller Angestellten des
Ressorts in den Losungen der Kadettenpartei besteht, bei allen Bahnen, Ver¬
kehrsämtern, Chausseeverwaltungen und anderen Lokalbehörden sollen Zweig¬
stellen der Sektion gebildet werden. Die Wirkung dieser kadettischen Propa¬
ganda scheint Nekrassow als Verkehrsminister am eigenen Leibe verspürt zu
haben; Miljukow sprach noch dieser Tage von der „Flucht" Nekrassows aus
seinem Ressort. .

Neben der Tätigkeit dieser Kadettenklubs in den Städten geht die kadettische
Agitation auf dem Lande unter der einfachen Bevölkerung. Man bedient sich
für diese Art der Propaganda gern des sehr gefügigen Elements der Kriegs-
wvaliden und entflohenen Kriegsgefangenen, welche den Mushik durch ihre
Erzählungen von den Greueltaten des teuflischen Njemez aus feiner Stupidität
Kud Interesselosigkeit herausreißen und ihn zu neuen Opfern und Entbehrungen
für Fortsetzung des „Freiheitskampfes" anspornen sollen. Überhaupt bedient
'Aar sich dieser Leute gern zur Stimmungsmache und läßt sie bei „patriotischen"
Umzügen und Meetings lärmend demonstrieren. Die kadettische Agitation auf
dem Lande scheint aber nicht die gewünschten Ergebnisse zu zeitigen, sie wird
wieder paralysiert durch die Tätigkeit der revolutionär demokratischen Agitatoren,
^e nach Absolvierung eines Kursus in der Propagandasektion des Petersburger
Sowjet in die Lazarette und aufs Land entsandt werden und dort das Volk
um Sinne der demokratischen Losungen für die Konstituante und gegen die
Bourgeoisie bearbeiten. Mit ihren Versicherungen von der Aufteilung des
Landes finden sie bei dem Bauern naturgemäß starken Anklang, dessen einziger
Wunsch ja nur auf Verwirklichung seines Traumes „Semlja i. Wolja" ge-
Uchtet ist^

Soweit sich übersehen läßt, ist die kadettische Propagandaarbeit in der
Provinz jedoch noch nicht soweit gediehen, um von dort aus die Konter-
Evolution in Gang zu bringen; den Kadettenklubs stehen allenthalben die
Arbeiter- und Soldatenräte gegenüber, in denen nicht bloß einfache Arbeiter
und Soldaten sitzen, sondern auch die unbemittelte Intelligenz, vor allem die
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[0273] Die Gründunzen von Kadettenklubs konnte man in letzter Zeit fast ständig in den Spalten der „Rjetsch" verfolgen. Man kann sagen, daß heute wohl fast das ganze Land mit einem Netz solcher Klubs überzogen ist, die nach den Direktiven des kadettischen Hauptquartiers in Petersburg arbeiten. Allent¬ halben liest man von Meetings und Umzügen, welche die Kadetten arrangieren. Einen starken Rückhalt finden die Kadetten hierbei in den Offiziers- und Beamtenkreisen und der höheren Geistlichkeit. Das Streben der revolutionären Demokratie ist denn auch in letzter Zeit besonders darauf gerichtet, in den einzelnen Ressorts eine Filtrierung in bezug auf die reaktionären Elemente hin vorzunehmen. — Unter den Beamten des Verkehrsministeriums hat sich, wie die „Rjetsch" vom 15./28. Juli mitteilte, bereits eine Sektion der Kadetten¬ partei gebildet, deren Hauptaufgabe in der Vereinigung aller Angestellten des Ressorts in den Losungen der Kadettenpartei besteht, bei allen Bahnen, Ver¬ kehrsämtern, Chausseeverwaltungen und anderen Lokalbehörden sollen Zweig¬ stellen der Sektion gebildet werden. Die Wirkung dieser kadettischen Propa¬ ganda scheint Nekrassow als Verkehrsminister am eigenen Leibe verspürt zu haben; Miljukow sprach noch dieser Tage von der „Flucht" Nekrassows aus seinem Ressort. . Neben der Tätigkeit dieser Kadettenklubs in den Städten geht die kadettische Agitation auf dem Lande unter der einfachen Bevölkerung. Man bedient sich für diese Art der Propaganda gern des sehr gefügigen Elements der Kriegs- wvaliden und entflohenen Kriegsgefangenen, welche den Mushik durch ihre Erzählungen von den Greueltaten des teuflischen Njemez aus feiner Stupidität Kud Interesselosigkeit herausreißen und ihn zu neuen Opfern und Entbehrungen für Fortsetzung des „Freiheitskampfes" anspornen sollen. Überhaupt bedient 'Aar sich dieser Leute gern zur Stimmungsmache und läßt sie bei „patriotischen" Umzügen und Meetings lärmend demonstrieren. Die kadettische Agitation auf dem Lande scheint aber nicht die gewünschten Ergebnisse zu zeitigen, sie wird wieder paralysiert durch die Tätigkeit der revolutionär demokratischen Agitatoren, ^e nach Absolvierung eines Kursus in der Propagandasektion des Petersburger Sowjet in die Lazarette und aufs Land entsandt werden und dort das Volk um Sinne der demokratischen Losungen für die Konstituante und gegen die Bourgeoisie bearbeiten. Mit ihren Versicherungen von der Aufteilung des Landes finden sie bei dem Bauern naturgemäß starken Anklang, dessen einziger Wunsch ja nur auf Verwirklichung seines Traumes „Semlja i. Wolja" ge- Uchtet ist^ Soweit sich übersehen läßt, ist die kadettische Propagandaarbeit in der Provinz jedoch noch nicht soweit gediehen, um von dort aus die Konter- Evolution in Gang zu bringen; den Kadettenklubs stehen allenthalben die Arbeiter- und Soldatenräte gegenüber, in denen nicht bloß einfache Arbeiter und Soldaten sitzen, sondern auch die unbemittelte Intelligenz, vor allem die Moische (gegen letztere richtet sich ja auch neuerdings ganz besonders die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/273>, abgerufen am 02.10.2024.