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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

In diesen Worten des Offiziosus der Demokratie sind klar und deutlich
die Aufgaben und Ziele der Konter-Revolution gekennzeichnet, und die Richtig¬
keit dieser Behauptungen wird durch die Tätigkeit der konterrevolutionären
Elemente auch vollauf bestätigt.

Die rührigsten Vorkämpfer der Konter-Revolution sind, wie bereits bemerkt,
die Kadetten; ihre Taktik ist den jeweiligen Verhältnissen angepaßt. -- Das
Bestreben des Kadettenstabes ist zunächst daraus gerichtet, die russischen "Bürger"
um die Kadettenpartei zu scharen. Hat doch erst kürzlich noch Miljukow bei
der Gründung eines Kadettenklubs in Petersburg selbst erklärt, er sehe bei
seinen Fahrten von Meeting zu Meeting immer deutlicher, daß sich die russischen
Bürger in engen Kreisen um die Kadettenpartei scharen. -- Die "Rjetsch", das
Sprachrohr Miljukows, spricht gern und häufig von den erfolgreichen Fahrten
dieses gewandten, zielbewußter Politikers und Menschenkenners. Sie wehklagte
damals gewiß aus ehrlicher Überzeugung über den erzwungenen Abgang dieses
Weltmannes aus dem Kabinett und wollte darin sogar ein "nationales Unglück"
sehen, wenn mit seinem Abgang eine Änderung der russischen auswärtigen
Politik eintreten sollte. Daß Miljukow bei seiner Arbeit die wärmste Unter¬
stützung seines "Freundes" Buchanan genießt, braucht nicht besonders betont
zu werden. -- Einer seiner politischen Freunde hat Miljukow bereits "Unsterb¬
lichkett" prophezeit, durch den Nebel der kommenden Tage sieht ihn Titow
bereits als "ersten Verteidiger jener Zitadelle, jenes letzten Zufluchtsortes, wohin
sich die mißhandelte, beschimpfte russische Freiheit retten wird".

Titow ist der Vorsitzende des vorerwähnten, Mitte Juni dieses Jahres in
Petersburg gegründeten Kadettenklubs des Moskowski Tschast. Seine damalige,
mit "stürmischem Beifall" aufgenommene Rede bei der Einweihung des Klubs
ist bezeichnend für die Auffassung der Kadetten über die "historischen" Auf¬
gaben ihrer Partei und die Sondermission ihres Leaders Miljukow.

"Die revolutionären Wellen sind zerschellt an den Gestaden der russischen
Wirklichkeit -- begann Titow --. Von überall her dringen die Stimmen der
Unzufriedenheit -- .lieber sterben, als so weiterleben' ruft man offen und
laut. -- In ewiger Sorge kann der Mensch nicht leben. Bald kann die Zeit
kommen, da das Volk jeden seiner Beschützer nennen wird, der ihm endlich die
sehnsüchtig gewünschte Ordnung wieder schafft. -- Bürger! Wir wissen alle,
daß die historische Rede Miljukows das erste Signal war, das das Volk zum
großen Tempel der Freiheit rief. Der Tag ist nicht mehr fern, da derselbe
Miljukow der erste Verteidiger jener Zitadelle, jener letzten Zufluchtsstätte sein
wird, wohin sich die mißhandelte, beschimpfte russische Freiheit retten wird.
Diese letzte Zufluchtsstätte wird die Partei der .Volksfreiheir sein, in ihr wird
die Revolution Unterstützung und Rechtfertigung finden, denn das Recht auf
Existenz hat immer nur derjenige, auf dessen Seite die besten Köpfe des Volkes
find. Das ist die historische gewaltige Aufgabe, die der Kadettenpartei harrt.
Wir brauchen nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart....."


Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

In diesen Worten des Offiziosus der Demokratie sind klar und deutlich
die Aufgaben und Ziele der Konter-Revolution gekennzeichnet, und die Richtig¬
keit dieser Behauptungen wird durch die Tätigkeit der konterrevolutionären
Elemente auch vollauf bestätigt.

Die rührigsten Vorkämpfer der Konter-Revolution sind, wie bereits bemerkt,
die Kadetten; ihre Taktik ist den jeweiligen Verhältnissen angepaßt. — Das
Bestreben des Kadettenstabes ist zunächst daraus gerichtet, die russischen „Bürger"
um die Kadettenpartei zu scharen. Hat doch erst kürzlich noch Miljukow bei
der Gründung eines Kadettenklubs in Petersburg selbst erklärt, er sehe bei
seinen Fahrten von Meeting zu Meeting immer deutlicher, daß sich die russischen
Bürger in engen Kreisen um die Kadettenpartei scharen. — Die „Rjetsch", das
Sprachrohr Miljukows, spricht gern und häufig von den erfolgreichen Fahrten
dieses gewandten, zielbewußter Politikers und Menschenkenners. Sie wehklagte
damals gewiß aus ehrlicher Überzeugung über den erzwungenen Abgang dieses
Weltmannes aus dem Kabinett und wollte darin sogar ein „nationales Unglück"
sehen, wenn mit seinem Abgang eine Änderung der russischen auswärtigen
Politik eintreten sollte. Daß Miljukow bei seiner Arbeit die wärmste Unter¬
stützung seines „Freundes" Buchanan genießt, braucht nicht besonders betont
zu werden. — Einer seiner politischen Freunde hat Miljukow bereits „Unsterb¬
lichkett" prophezeit, durch den Nebel der kommenden Tage sieht ihn Titow
bereits als „ersten Verteidiger jener Zitadelle, jenes letzten Zufluchtsortes, wohin
sich die mißhandelte, beschimpfte russische Freiheit retten wird".

Titow ist der Vorsitzende des vorerwähnten, Mitte Juni dieses Jahres in
Petersburg gegründeten Kadettenklubs des Moskowski Tschast. Seine damalige,
mit „stürmischem Beifall" aufgenommene Rede bei der Einweihung des Klubs
ist bezeichnend für die Auffassung der Kadetten über die „historischen" Auf¬
gaben ihrer Partei und die Sondermission ihres Leaders Miljukow.

„Die revolutionären Wellen sind zerschellt an den Gestaden der russischen
Wirklichkeit — begann Titow —. Von überall her dringen die Stimmen der
Unzufriedenheit — .lieber sterben, als so weiterleben' ruft man offen und
laut. — In ewiger Sorge kann der Mensch nicht leben. Bald kann die Zeit
kommen, da das Volk jeden seiner Beschützer nennen wird, der ihm endlich die
sehnsüchtig gewünschte Ordnung wieder schafft. — Bürger! Wir wissen alle,
daß die historische Rede Miljukows das erste Signal war, das das Volk zum
großen Tempel der Freiheit rief. Der Tag ist nicht mehr fern, da derselbe
Miljukow der erste Verteidiger jener Zitadelle, jener letzten Zufluchtsstätte sein
wird, wohin sich die mißhandelte, beschimpfte russische Freiheit retten wird.
Diese letzte Zufluchtsstätte wird die Partei der .Volksfreiheir sein, in ihr wird
die Revolution Unterstützung und Rechtfertigung finden, denn das Recht auf
Existenz hat immer nur derjenige, auf dessen Seite die besten Köpfe des Volkes
find. Das ist die historische gewaltige Aufgabe, die der Kadettenpartei harrt.
Wir brauchen nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart....."


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[0272] Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland In diesen Worten des Offiziosus der Demokratie sind klar und deutlich die Aufgaben und Ziele der Konter-Revolution gekennzeichnet, und die Richtig¬ keit dieser Behauptungen wird durch die Tätigkeit der konterrevolutionären Elemente auch vollauf bestätigt. Die rührigsten Vorkämpfer der Konter-Revolution sind, wie bereits bemerkt, die Kadetten; ihre Taktik ist den jeweiligen Verhältnissen angepaßt. — Das Bestreben des Kadettenstabes ist zunächst daraus gerichtet, die russischen „Bürger" um die Kadettenpartei zu scharen. Hat doch erst kürzlich noch Miljukow bei der Gründung eines Kadettenklubs in Petersburg selbst erklärt, er sehe bei seinen Fahrten von Meeting zu Meeting immer deutlicher, daß sich die russischen Bürger in engen Kreisen um die Kadettenpartei scharen. — Die „Rjetsch", das Sprachrohr Miljukows, spricht gern und häufig von den erfolgreichen Fahrten dieses gewandten, zielbewußter Politikers und Menschenkenners. Sie wehklagte damals gewiß aus ehrlicher Überzeugung über den erzwungenen Abgang dieses Weltmannes aus dem Kabinett und wollte darin sogar ein „nationales Unglück" sehen, wenn mit seinem Abgang eine Änderung der russischen auswärtigen Politik eintreten sollte. Daß Miljukow bei seiner Arbeit die wärmste Unter¬ stützung seines „Freundes" Buchanan genießt, braucht nicht besonders betont zu werden. — Einer seiner politischen Freunde hat Miljukow bereits „Unsterb¬ lichkett" prophezeit, durch den Nebel der kommenden Tage sieht ihn Titow bereits als „ersten Verteidiger jener Zitadelle, jenes letzten Zufluchtsortes, wohin sich die mißhandelte, beschimpfte russische Freiheit retten wird". Titow ist der Vorsitzende des vorerwähnten, Mitte Juni dieses Jahres in Petersburg gegründeten Kadettenklubs des Moskowski Tschast. Seine damalige, mit „stürmischem Beifall" aufgenommene Rede bei der Einweihung des Klubs ist bezeichnend für die Auffassung der Kadetten über die „historischen" Auf¬ gaben ihrer Partei und die Sondermission ihres Leaders Miljukow. „Die revolutionären Wellen sind zerschellt an den Gestaden der russischen Wirklichkeit — begann Titow —. Von überall her dringen die Stimmen der Unzufriedenheit — .lieber sterben, als so weiterleben' ruft man offen und laut. — In ewiger Sorge kann der Mensch nicht leben. Bald kann die Zeit kommen, da das Volk jeden seiner Beschützer nennen wird, der ihm endlich die sehnsüchtig gewünschte Ordnung wieder schafft. — Bürger! Wir wissen alle, daß die historische Rede Miljukows das erste Signal war, das das Volk zum großen Tempel der Freiheit rief. Der Tag ist nicht mehr fern, da derselbe Miljukow der erste Verteidiger jener Zitadelle, jener letzten Zufluchtsstätte sein wird, wohin sich die mißhandelte, beschimpfte russische Freiheit retten wird. Diese letzte Zufluchtsstätte wird die Partei der .Volksfreiheir sein, in ihr wird die Revolution Unterstützung und Rechtfertigung finden, denn das Recht auf Existenz hat immer nur derjenige, auf dessen Seite die besten Köpfe des Volkes find. Das ist die historische gewaltige Aufgabe, die der Kadettenpartei harrt. Wir brauchen nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart....."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/272>, abgerufen am 04.07.2024.