Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
von der Herkunft der baltischen Geschlechter

Anfang des siebzehnten Jahrhunderts das Geschlecht von Hollen in der Graf¬
schaft Mark ausstarb, hing man zum ewigen Gedächtnis sein Wappen in der
Kirche zu Benninghoven auf; denn hier war der Sitz der Familie. Korff hieß
der Gouverneur von Warschau, der November 1914 in deutsche Gefangenschaft
geriet; der Ursprung dieses Geschlechtes geht wohl auf das Münsterland zurück.
Gerade im mittelalterlichen Westfalen hat der Ruf: Nach Ostland! eine be¬
sonders starke Wirkung ausgeübt. Das Neuland war hier seltener geworden.
Denn die Bevölkerung war rasch gewachsen, und nun suchten hauptsächlich die
nachgeborenen Söhne des Adels im Osten sich eine neue Heimstätte zu schaffen.
Soweit es nicht über See ging, wurden auch Bauern in großer Zahl an¬
gesiedelt. Schon im zwölften Jahrhundert erfolgte eine geschlossene Ansiedlung
von Westfalen im heutigen Mecklenburg, aber auch im preußischen Ordenslande
sind sie besonders in den Städten zahlreich vertreten. Noch heute können
manche Bewohner der sogenannten Koschneiderei in Westpreußen, fast alle von
Haus aus Westfalen, vielfach ihre Vorfahren mindestens bis ins fünfzehnte
Jahrhundert zurückverfolgen.

Haben die Westfalen sich nun auch im allgemeinen an die Eroberung und
Besiedlung der ostelbischen Länder beteiligt, ihr eigenstes Gebiet ist doch Liv-
land geblieben. Alle Stände haben daran Anteil gehabt, hoch und niedrig,
geistliche und weltliche Herren. Nur der Bauer fehlte. Er ging nicht über
See und, eine verhältnismäßig geringe Zeit ausgenommen, war Livland nur
auf diesem Wege zu erreichen. So kam es auch, daß dieses Neuland ganz im
Gegensatz zu Preußen eine Kolonie blieb und das Deutschtum nicht eigentlich
wurzelfest wurde. Was sich an deutschen Bauern im fünfzehnten bis etwa sieb¬
zehnten Jahrhundert nachweisen läßt, ging im Lettentum auf.

Diese Tatsachen finden im wesentlichen ihre Bestätigung durch Werner
Nolewinck in seinem berühmten, 1478 zuerst erschienenen Buche "Vom Lobe
des alten Sachsenlandes". Ihm ist sowohl die Vorstellung von dem Volks¬
reichtum Westfalens geläufig, das mehr Kinder besitzt, als es ernähren kann,
und sie deshalb in alle Welt hinaussendet, als auch die andere von der Herr¬
schaft der Westfalen in Livland.

Schon Albert, der erste Bischof von Riga, der eigentliche Begründer der
deutschen Herrschaft in Livland hat, wie uns viele Zeugnisse beweisen, seine
hauptsächlichsten und bedeutendsten Kräfte aus Westfalen gezogen. Die Führer
des großen Kreuzzuges nach den Ostseeprovinzen im Jahre 1200 sind Konrad
von Dortmund und Harprecht von Iburg.

Als dann die Verbindungen enger geknüpft waren und der Handel blühte,
regte sich auch in den westfälischen Städten die größte Teilnahme für den
Verkehr mit Livland. Die sauerländische Stadt Medebach trieb nachweislich
schon 1165 flotten Handel nach Nußland. Später zeigt sich dann, daß es in
Westfalen kaum eine wichtigere Stadt gab, die nicht eine ganze Reihe ständiger
Livlandfahrcr aufzuweisen gehabt hätte und dorthin die lebhaftesten Handels-


von der Herkunft der baltischen Geschlechter

Anfang des siebzehnten Jahrhunderts das Geschlecht von Hollen in der Graf¬
schaft Mark ausstarb, hing man zum ewigen Gedächtnis sein Wappen in der
Kirche zu Benninghoven auf; denn hier war der Sitz der Familie. Korff hieß
der Gouverneur von Warschau, der November 1914 in deutsche Gefangenschaft
geriet; der Ursprung dieses Geschlechtes geht wohl auf das Münsterland zurück.
Gerade im mittelalterlichen Westfalen hat der Ruf: Nach Ostland! eine be¬
sonders starke Wirkung ausgeübt. Das Neuland war hier seltener geworden.
Denn die Bevölkerung war rasch gewachsen, und nun suchten hauptsächlich die
nachgeborenen Söhne des Adels im Osten sich eine neue Heimstätte zu schaffen.
Soweit es nicht über See ging, wurden auch Bauern in großer Zahl an¬
gesiedelt. Schon im zwölften Jahrhundert erfolgte eine geschlossene Ansiedlung
von Westfalen im heutigen Mecklenburg, aber auch im preußischen Ordenslande
sind sie besonders in den Städten zahlreich vertreten. Noch heute können
manche Bewohner der sogenannten Koschneiderei in Westpreußen, fast alle von
Haus aus Westfalen, vielfach ihre Vorfahren mindestens bis ins fünfzehnte
Jahrhundert zurückverfolgen.

Haben die Westfalen sich nun auch im allgemeinen an die Eroberung und
Besiedlung der ostelbischen Länder beteiligt, ihr eigenstes Gebiet ist doch Liv-
land geblieben. Alle Stände haben daran Anteil gehabt, hoch und niedrig,
geistliche und weltliche Herren. Nur der Bauer fehlte. Er ging nicht über
See und, eine verhältnismäßig geringe Zeit ausgenommen, war Livland nur
auf diesem Wege zu erreichen. So kam es auch, daß dieses Neuland ganz im
Gegensatz zu Preußen eine Kolonie blieb und das Deutschtum nicht eigentlich
wurzelfest wurde. Was sich an deutschen Bauern im fünfzehnten bis etwa sieb¬
zehnten Jahrhundert nachweisen läßt, ging im Lettentum auf.

Diese Tatsachen finden im wesentlichen ihre Bestätigung durch Werner
Nolewinck in seinem berühmten, 1478 zuerst erschienenen Buche „Vom Lobe
des alten Sachsenlandes". Ihm ist sowohl die Vorstellung von dem Volks¬
reichtum Westfalens geläufig, das mehr Kinder besitzt, als es ernähren kann,
und sie deshalb in alle Welt hinaussendet, als auch die andere von der Herr¬
schaft der Westfalen in Livland.

Schon Albert, der erste Bischof von Riga, der eigentliche Begründer der
deutschen Herrschaft in Livland hat, wie uns viele Zeugnisse beweisen, seine
hauptsächlichsten und bedeutendsten Kräfte aus Westfalen gezogen. Die Führer
des großen Kreuzzuges nach den Ostseeprovinzen im Jahre 1200 sind Konrad
von Dortmund und Harprecht von Iburg.

Als dann die Verbindungen enger geknüpft waren und der Handel blühte,
regte sich auch in den westfälischen Städten die größte Teilnahme für den
Verkehr mit Livland. Die sauerländische Stadt Medebach trieb nachweislich
schon 1165 flotten Handel nach Nußland. Später zeigt sich dann, daß es in
Westfalen kaum eine wichtigere Stadt gab, die nicht eine ganze Reihe ständiger
Livlandfahrcr aufzuweisen gehabt hätte und dorthin die lebhaftesten Handels-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332533"/>
          <fw type="header" place="top"> von der Herkunft der baltischen Geschlechter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_773" prev="#ID_772"> Anfang des siebzehnten Jahrhunderts das Geschlecht von Hollen in der Graf¬<lb/>
schaft Mark ausstarb, hing man zum ewigen Gedächtnis sein Wappen in der<lb/>
Kirche zu Benninghoven auf; denn hier war der Sitz der Familie. Korff hieß<lb/>
der Gouverneur von Warschau, der November 1914 in deutsche Gefangenschaft<lb/>
geriet; der Ursprung dieses Geschlechtes geht wohl auf das Münsterland zurück.<lb/>
Gerade im mittelalterlichen Westfalen hat der Ruf: Nach Ostland! eine be¬<lb/>
sonders starke Wirkung ausgeübt. Das Neuland war hier seltener geworden.<lb/>
Denn die Bevölkerung war rasch gewachsen, und nun suchten hauptsächlich die<lb/>
nachgeborenen Söhne des Adels im Osten sich eine neue Heimstätte zu schaffen.<lb/>
Soweit es nicht über See ging, wurden auch Bauern in großer Zahl an¬<lb/>
gesiedelt. Schon im zwölften Jahrhundert erfolgte eine geschlossene Ansiedlung<lb/>
von Westfalen im heutigen Mecklenburg, aber auch im preußischen Ordenslande<lb/>
sind sie besonders in den Städten zahlreich vertreten. Noch heute können<lb/>
manche Bewohner der sogenannten Koschneiderei in Westpreußen, fast alle von<lb/>
Haus aus Westfalen, vielfach ihre Vorfahren mindestens bis ins fünfzehnte<lb/>
Jahrhundert zurückverfolgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_774"> Haben die Westfalen sich nun auch im allgemeinen an die Eroberung und<lb/>
Besiedlung der ostelbischen Länder beteiligt, ihr eigenstes Gebiet ist doch Liv-<lb/>
land geblieben. Alle Stände haben daran Anteil gehabt, hoch und niedrig,<lb/>
geistliche und weltliche Herren. Nur der Bauer fehlte. Er ging nicht über<lb/>
See und, eine verhältnismäßig geringe Zeit ausgenommen, war Livland nur<lb/>
auf diesem Wege zu erreichen. So kam es auch, daß dieses Neuland ganz im<lb/>
Gegensatz zu Preußen eine Kolonie blieb und das Deutschtum nicht eigentlich<lb/>
wurzelfest wurde. Was sich an deutschen Bauern im fünfzehnten bis etwa sieb¬<lb/>
zehnten Jahrhundert nachweisen läßt, ging im Lettentum auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_775"> Diese Tatsachen finden im wesentlichen ihre Bestätigung durch Werner<lb/>
Nolewinck in seinem berühmten, 1478 zuerst erschienenen Buche &#x201E;Vom Lobe<lb/>
des alten Sachsenlandes". Ihm ist sowohl die Vorstellung von dem Volks¬<lb/>
reichtum Westfalens geläufig, das mehr Kinder besitzt, als es ernähren kann,<lb/>
und sie deshalb in alle Welt hinaussendet, als auch die andere von der Herr¬<lb/>
schaft der Westfalen in Livland.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_776"> Schon Albert, der erste Bischof von Riga, der eigentliche Begründer der<lb/>
deutschen Herrschaft in Livland hat, wie uns viele Zeugnisse beweisen, seine<lb/>
hauptsächlichsten und bedeutendsten Kräfte aus Westfalen gezogen. Die Führer<lb/>
des großen Kreuzzuges nach den Ostseeprovinzen im Jahre 1200 sind Konrad<lb/>
von Dortmund und Harprecht von Iburg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_777" next="#ID_778"> Als dann die Verbindungen enger geknüpft waren und der Handel blühte,<lb/>
regte sich auch in den westfälischen Städten die größte Teilnahme für den<lb/>
Verkehr mit Livland. Die sauerländische Stadt Medebach trieb nachweislich<lb/>
schon 1165 flotten Handel nach Nußland. Später zeigt sich dann, daß es in<lb/>
Westfalen kaum eine wichtigere Stadt gab, die nicht eine ganze Reihe ständiger<lb/>
Livlandfahrcr aufzuweisen gehabt hätte und dorthin die lebhaftesten Handels-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] von der Herkunft der baltischen Geschlechter Anfang des siebzehnten Jahrhunderts das Geschlecht von Hollen in der Graf¬ schaft Mark ausstarb, hing man zum ewigen Gedächtnis sein Wappen in der Kirche zu Benninghoven auf; denn hier war der Sitz der Familie. Korff hieß der Gouverneur von Warschau, der November 1914 in deutsche Gefangenschaft geriet; der Ursprung dieses Geschlechtes geht wohl auf das Münsterland zurück. Gerade im mittelalterlichen Westfalen hat der Ruf: Nach Ostland! eine be¬ sonders starke Wirkung ausgeübt. Das Neuland war hier seltener geworden. Denn die Bevölkerung war rasch gewachsen, und nun suchten hauptsächlich die nachgeborenen Söhne des Adels im Osten sich eine neue Heimstätte zu schaffen. Soweit es nicht über See ging, wurden auch Bauern in großer Zahl an¬ gesiedelt. Schon im zwölften Jahrhundert erfolgte eine geschlossene Ansiedlung von Westfalen im heutigen Mecklenburg, aber auch im preußischen Ordenslande sind sie besonders in den Städten zahlreich vertreten. Noch heute können manche Bewohner der sogenannten Koschneiderei in Westpreußen, fast alle von Haus aus Westfalen, vielfach ihre Vorfahren mindestens bis ins fünfzehnte Jahrhundert zurückverfolgen. Haben die Westfalen sich nun auch im allgemeinen an die Eroberung und Besiedlung der ostelbischen Länder beteiligt, ihr eigenstes Gebiet ist doch Liv- land geblieben. Alle Stände haben daran Anteil gehabt, hoch und niedrig, geistliche und weltliche Herren. Nur der Bauer fehlte. Er ging nicht über See und, eine verhältnismäßig geringe Zeit ausgenommen, war Livland nur auf diesem Wege zu erreichen. So kam es auch, daß dieses Neuland ganz im Gegensatz zu Preußen eine Kolonie blieb und das Deutschtum nicht eigentlich wurzelfest wurde. Was sich an deutschen Bauern im fünfzehnten bis etwa sieb¬ zehnten Jahrhundert nachweisen läßt, ging im Lettentum auf. Diese Tatsachen finden im wesentlichen ihre Bestätigung durch Werner Nolewinck in seinem berühmten, 1478 zuerst erschienenen Buche „Vom Lobe des alten Sachsenlandes". Ihm ist sowohl die Vorstellung von dem Volks¬ reichtum Westfalens geläufig, das mehr Kinder besitzt, als es ernähren kann, und sie deshalb in alle Welt hinaussendet, als auch die andere von der Herr¬ schaft der Westfalen in Livland. Schon Albert, der erste Bischof von Riga, der eigentliche Begründer der deutschen Herrschaft in Livland hat, wie uns viele Zeugnisse beweisen, seine hauptsächlichsten und bedeutendsten Kräfte aus Westfalen gezogen. Die Führer des großen Kreuzzuges nach den Ostseeprovinzen im Jahre 1200 sind Konrad von Dortmund und Harprecht von Iburg. Als dann die Verbindungen enger geknüpft waren und der Handel blühte, regte sich auch in den westfälischen Städten die größte Teilnahme für den Verkehr mit Livland. Die sauerländische Stadt Medebach trieb nachweislich schon 1165 flotten Handel nach Nußland. Später zeigt sich dann, daß es in Westfalen kaum eine wichtigere Stadt gab, die nicht eine ganze Reihe ständiger Livlandfahrcr aufzuweisen gehabt hätte und dorthin die lebhaftesten Handels-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/254>, abgerufen am 03.07.2024.