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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Verzinsung und Tilgung unserer Kriegsschulden

bleibt für den einzelnen bestehen. Ganz anders wird aber die Sache, wenn
es sich um Gebilde von so langer Lebensdauer, wie es die historisch gewordenen
Großstaaten Europas sind, handelt. Hier spielt die Entwertung des Geldes
die Rolle einer langsamen, aber sicheren Seisachtheia, einer Abbürdnng der
Staatsschulden. Dieser Prozeß ist gerade England in der Zeit von 1815 ab
außerordentlich zugute gekommen. Es hatte das unverdiente Glück, daß durch
die kalifornischen Gvldfunde um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Ent¬
wicklung auch noch beschleunigt wurde, so daß die Verwandlung des etwas
entkräfteter John Bull von 1813 zu dem dicken und fetten John Bull des
Viclorianischen Zeitalters für unser rückschauendes Geschlecht verblüffend rasch
erfolgte. Aber wenn auch ein gleicher Glückszufall das deutsche Volk in dem
nächsten halben Jahrhundert nicht begünstigen sollte, die Entwicklung wird doch
im wesentlichen die gleiche sein. Das durch die Entwertung des Geldes be¬
dingte Steigen des Wertes des vorhandenen Nationalvermögens zusammen mit
den neu geschaffenen Gütern wird die Verhältniszahl: "Nationalvermögen zu
Staatsschulden" in absehbarer Zeit derartig günstig beeinflussen, daß die hente
laut werdenden Befürchtungen noch unserer Generation als lächerliche Über¬
treibungen erscheinen werden.

Zwei Dinge sind freilich unbedingte Voraussetzung für eine derartige
Entwicklung:

Einmal ein Friede, der, wenn er uns nicht den vollen Sieg bringen sollte,
wie ihn 1315 England errang, doch zum mindesten ein "Hubertushurger" sein
muß. Wie damals Friedrich der Große die Gleichberechtigung Preußens mit
den europäischen Großmächten erzwang, so muß das Deutsche Reich die ihm
gebührende Weltmachtstellung mit allem Drum und Dran an Kolonien und
Interessengebieten, die eine Weltmacht braucht, uneingeschränkt erhalten. Denn
nur dem Starken ist, wie das "ewig Weibliche" auch das Kapital, das ja vor
allem "absolute Sicherheit" begehrt, hold.

Zweitens eine innere Politik, die nicht durch übertriebene Steuern die
Kapitalbildung verhindert, und die nicht aus törichter Sparsamkeit die Löhne
drückt, sondern durch vernünftiges allmähliches Heraufsetzen der Arbeitslöhne,
wozu der Staat bei uns als größter Arbeitgeber sehr wohl in der Lage ist,
die Minderung der Kauskraft des Geldes und damit die Wertsteigerung des
Nationalvermögens und die Abbürdnng der Staatsschulden fördert.




Die Verzinsung und Tilgung unserer Kriegsschulden

bleibt für den einzelnen bestehen. Ganz anders wird aber die Sache, wenn
es sich um Gebilde von so langer Lebensdauer, wie es die historisch gewordenen
Großstaaten Europas sind, handelt. Hier spielt die Entwertung des Geldes
die Rolle einer langsamen, aber sicheren Seisachtheia, einer Abbürdnng der
Staatsschulden. Dieser Prozeß ist gerade England in der Zeit von 1815 ab
außerordentlich zugute gekommen. Es hatte das unverdiente Glück, daß durch
die kalifornischen Gvldfunde um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Ent¬
wicklung auch noch beschleunigt wurde, so daß die Verwandlung des etwas
entkräfteter John Bull von 1813 zu dem dicken und fetten John Bull des
Viclorianischen Zeitalters für unser rückschauendes Geschlecht verblüffend rasch
erfolgte. Aber wenn auch ein gleicher Glückszufall das deutsche Volk in dem
nächsten halben Jahrhundert nicht begünstigen sollte, die Entwicklung wird doch
im wesentlichen die gleiche sein. Das durch die Entwertung des Geldes be¬
dingte Steigen des Wertes des vorhandenen Nationalvermögens zusammen mit
den neu geschaffenen Gütern wird die Verhältniszahl: „Nationalvermögen zu
Staatsschulden" in absehbarer Zeit derartig günstig beeinflussen, daß die hente
laut werdenden Befürchtungen noch unserer Generation als lächerliche Über¬
treibungen erscheinen werden.

Zwei Dinge sind freilich unbedingte Voraussetzung für eine derartige
Entwicklung:

Einmal ein Friede, der, wenn er uns nicht den vollen Sieg bringen sollte,
wie ihn 1315 England errang, doch zum mindesten ein „Hubertushurger" sein
muß. Wie damals Friedrich der Große die Gleichberechtigung Preußens mit
den europäischen Großmächten erzwang, so muß das Deutsche Reich die ihm
gebührende Weltmachtstellung mit allem Drum und Dran an Kolonien und
Interessengebieten, die eine Weltmacht braucht, uneingeschränkt erhalten. Denn
nur dem Starken ist, wie das „ewig Weibliche" auch das Kapital, das ja vor
allem „absolute Sicherheit" begehrt, hold.

Zweitens eine innere Politik, die nicht durch übertriebene Steuern die
Kapitalbildung verhindert, und die nicht aus törichter Sparsamkeit die Löhne
drückt, sondern durch vernünftiges allmähliches Heraufsetzen der Arbeitslöhne,
wozu der Staat bei uns als größter Arbeitgeber sehr wohl in der Lage ist,
die Minderung der Kauskraft des Geldes und damit die Wertsteigerung des
Nationalvermögens und die Abbürdnng der Staatsschulden fördert.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/252>, abgerufen am 03.07.2024.