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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Verzinsung und Tilgung unserer Rriegsanlcihen

wurde wie je zuvor. Aber wieder fand sich, daß die Angst unbegründet war.
Wie ein eingebildeter Kranker, der immerfort jammert, er müsse vor Entrüstung
sterben, bis er so dick und fett wird, daß er endlich notgedrungen schweigen
muß, so klagte England, es sei bankerott, bis es plötzlich zu Begimi der
Negierung Victorias unbestritten als das reichste Volk der Welt dastand.

Das wollte ich Ihnen aus Maccmlays englischer Geschichte erzählen,
Herr Meier, und Sie werden mir Zugehen müssen, daß die Nutzanwendung
auf unsere Gegenwart nahe liegt.

Aber worin liegt der Fehler, den Hume und Adam Smith und nunmehr
auch Sie, Herr Meier, bei Ihren Schlußfolgerungen gemacht haben?

Es liegt ein doppelter Denkfehler vor, sagt Macaulav, und er hat un¬
zweifelhaft recht.

Sie meinen, Herr Meier, es sei ganz gleich, ob ein Mensch dem anderen
etwas schuldig ist, oder ob ein Staat einem Teile seiner Staatsbürger einen
Betrag schulde. Diese Annahme ist aber irrig und sie führt zu endlosen Irr¬
tümern. Wie Ihnen unsere Volkswirtschaft während des Krieges so eindringlich
Zeigt, ist wirtschaftlich jeder Staatsbürger ein Teil des Staates, der Staat
selbst der Inbegriff sämtlicher Staatsbürger. Die Einnahmen des Staates
werden von den Staatsbürgern aufgebracht und fließen ihnen als Ausgaben
des Staates in ewigem Wechselspiel wieder zu. Durch Staatsanleihen, die im
Lande bleiben, wird der Staat in seinen einzelnen Staatsbürgern Gläubiger,
in der Gesamtheit seiner Staatsbürger Schuldner der Anleihen. Eine Nber-
schuldung ist daher, solange die Anleihen im Inlands bleiben, nicht gut denkbar.
Denn der Schuld des Staates steht immer das in der Hand der SsaatSbürger
befindliche Wertpapier gegenüber, mit dem direkt oder indirekt in Gestalt von
Steuern und Abgaben die Staatsschuld letzten Endes verzinst und getilgt
werden kann.

Es kommt ein zweites Moment hinzu, das zur schnelleren Abbürvung der
Staatsschuld führt. Macaulay sagt:

"Hume und Adam Smith hatten irrige Vorstellungen von den Hilfsquellen
des Landes. Sie ließen sowohl die immerwährenden Fortschritte aller Er¬
fahrungswissenschaften als die unablässigen Bestrebungen betriebsamer Menschen
ganz unberücksichtigt. Sie sahen, daß die Staatsschuld wuchs, aber sie ver¬
gaßen, daß andere Dinge ebenfalls und noch schneller wuchsen als die National¬
schuld, nämlich das Narionalvermögen. Sie überschützten den Druck der Last
und unterschützten die Kraft, welche die Last zu tragen hatte."

Das deutsche Voll schafft auch jetzt mitten im Kriege täglich und stündlich
durch seine Arbeit neue Werte, und diese Werte sind größer als die deutschen
Werte, die täglich durch den Krieg verbraucht und vernichtet werden, da dank
unseren Truppen und ihren Führern der Krieg im wesentlichen sich im Aus¬
lande abgespielt hat und abspielt, und wir daher von einer Vernichtung des
Nationalvermögens, wie sie uns der Dreißigjährige Krieg gebracht hatte, und


Die Verzinsung und Tilgung unserer Rriegsanlcihen

wurde wie je zuvor. Aber wieder fand sich, daß die Angst unbegründet war.
Wie ein eingebildeter Kranker, der immerfort jammert, er müsse vor Entrüstung
sterben, bis er so dick und fett wird, daß er endlich notgedrungen schweigen
muß, so klagte England, es sei bankerott, bis es plötzlich zu Begimi der
Negierung Victorias unbestritten als das reichste Volk der Welt dastand.

Das wollte ich Ihnen aus Maccmlays englischer Geschichte erzählen,
Herr Meier, und Sie werden mir Zugehen müssen, daß die Nutzanwendung
auf unsere Gegenwart nahe liegt.

Aber worin liegt der Fehler, den Hume und Adam Smith und nunmehr
auch Sie, Herr Meier, bei Ihren Schlußfolgerungen gemacht haben?

Es liegt ein doppelter Denkfehler vor, sagt Macaulav, und er hat un¬
zweifelhaft recht.

Sie meinen, Herr Meier, es sei ganz gleich, ob ein Mensch dem anderen
etwas schuldig ist, oder ob ein Staat einem Teile seiner Staatsbürger einen
Betrag schulde. Diese Annahme ist aber irrig und sie führt zu endlosen Irr¬
tümern. Wie Ihnen unsere Volkswirtschaft während des Krieges so eindringlich
Zeigt, ist wirtschaftlich jeder Staatsbürger ein Teil des Staates, der Staat
selbst der Inbegriff sämtlicher Staatsbürger. Die Einnahmen des Staates
werden von den Staatsbürgern aufgebracht und fließen ihnen als Ausgaben
des Staates in ewigem Wechselspiel wieder zu. Durch Staatsanleihen, die im
Lande bleiben, wird der Staat in seinen einzelnen Staatsbürgern Gläubiger,
in der Gesamtheit seiner Staatsbürger Schuldner der Anleihen. Eine Nber-
schuldung ist daher, solange die Anleihen im Inlands bleiben, nicht gut denkbar.
Denn der Schuld des Staates steht immer das in der Hand der SsaatSbürger
befindliche Wertpapier gegenüber, mit dem direkt oder indirekt in Gestalt von
Steuern und Abgaben die Staatsschuld letzten Endes verzinst und getilgt
werden kann.

Es kommt ein zweites Moment hinzu, das zur schnelleren Abbürvung der
Staatsschuld führt. Macaulay sagt:

„Hume und Adam Smith hatten irrige Vorstellungen von den Hilfsquellen
des Landes. Sie ließen sowohl die immerwährenden Fortschritte aller Er¬
fahrungswissenschaften als die unablässigen Bestrebungen betriebsamer Menschen
ganz unberücksichtigt. Sie sahen, daß die Staatsschuld wuchs, aber sie ver¬
gaßen, daß andere Dinge ebenfalls und noch schneller wuchsen als die National¬
schuld, nämlich das Narionalvermögen. Sie überschützten den Druck der Last
und unterschützten die Kraft, welche die Last zu tragen hatte."

Das deutsche Voll schafft auch jetzt mitten im Kriege täglich und stündlich
durch seine Arbeit neue Werte, und diese Werte sind größer als die deutschen
Werte, die täglich durch den Krieg verbraucht und vernichtet werden, da dank
unseren Truppen und ihren Führern der Krieg im wesentlichen sich im Aus¬
lande abgespielt hat und abspielt, und wir daher von einer Vernichtung des
Nationalvermögens, wie sie uns der Dreißigjährige Krieg gebracht hatte, und


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[0249] Die Verzinsung und Tilgung unserer Rriegsanlcihen wurde wie je zuvor. Aber wieder fand sich, daß die Angst unbegründet war. Wie ein eingebildeter Kranker, der immerfort jammert, er müsse vor Entrüstung sterben, bis er so dick und fett wird, daß er endlich notgedrungen schweigen muß, so klagte England, es sei bankerott, bis es plötzlich zu Begimi der Negierung Victorias unbestritten als das reichste Volk der Welt dastand. Das wollte ich Ihnen aus Maccmlays englischer Geschichte erzählen, Herr Meier, und Sie werden mir Zugehen müssen, daß die Nutzanwendung auf unsere Gegenwart nahe liegt. Aber worin liegt der Fehler, den Hume und Adam Smith und nunmehr auch Sie, Herr Meier, bei Ihren Schlußfolgerungen gemacht haben? Es liegt ein doppelter Denkfehler vor, sagt Macaulav, und er hat un¬ zweifelhaft recht. Sie meinen, Herr Meier, es sei ganz gleich, ob ein Mensch dem anderen etwas schuldig ist, oder ob ein Staat einem Teile seiner Staatsbürger einen Betrag schulde. Diese Annahme ist aber irrig und sie führt zu endlosen Irr¬ tümern. Wie Ihnen unsere Volkswirtschaft während des Krieges so eindringlich Zeigt, ist wirtschaftlich jeder Staatsbürger ein Teil des Staates, der Staat selbst der Inbegriff sämtlicher Staatsbürger. Die Einnahmen des Staates werden von den Staatsbürgern aufgebracht und fließen ihnen als Ausgaben des Staates in ewigem Wechselspiel wieder zu. Durch Staatsanleihen, die im Lande bleiben, wird der Staat in seinen einzelnen Staatsbürgern Gläubiger, in der Gesamtheit seiner Staatsbürger Schuldner der Anleihen. Eine Nber- schuldung ist daher, solange die Anleihen im Inlands bleiben, nicht gut denkbar. Denn der Schuld des Staates steht immer das in der Hand der SsaatSbürger befindliche Wertpapier gegenüber, mit dem direkt oder indirekt in Gestalt von Steuern und Abgaben die Staatsschuld letzten Endes verzinst und getilgt werden kann. Es kommt ein zweites Moment hinzu, das zur schnelleren Abbürvung der Staatsschuld führt. Macaulay sagt: „Hume und Adam Smith hatten irrige Vorstellungen von den Hilfsquellen des Landes. Sie ließen sowohl die immerwährenden Fortschritte aller Er¬ fahrungswissenschaften als die unablässigen Bestrebungen betriebsamer Menschen ganz unberücksichtigt. Sie sahen, daß die Staatsschuld wuchs, aber sie ver¬ gaßen, daß andere Dinge ebenfalls und noch schneller wuchsen als die National¬ schuld, nämlich das Narionalvermögen. Sie überschützten den Druck der Last und unterschützten die Kraft, welche die Last zu tragen hatte." Das deutsche Voll schafft auch jetzt mitten im Kriege täglich und stündlich durch seine Arbeit neue Werte, und diese Werte sind größer als die deutschen Werte, die täglich durch den Krieg verbraucht und vernichtet werden, da dank unseren Truppen und ihren Führern der Krieg im wesentlichen sich im Aus¬ lande abgespielt hat und abspielt, und wir daher von einer Vernichtung des Nationalvermögens, wie sie uns der Dreißigjährige Krieg gebracht hatte, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/249>, abgerufen am 01.07.2024.