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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Verzinsung und Tilgung unserer Uriegscmleihen

ökonomen seiner Zeit, erklärte die englische Finanzpolitik für die größte Tollheit
der Geschichte. Man könne mit Zahlen beweisen, daß der Weg zum National¬
ruin durch die Staatsschuld führe. Das Ziel sei jetzt erreicht, alle Einkünfte
der englischen Insel seien verpfändet. Es wäre besser für England gewesen,
von Frankreich und Österreich besiegt zu werden, als mit den Zinsen von
140 Millionen Pfund belastet zu sein. Und dabei hätte Hume, der übrigens
ein bedeutender Philosoph war, nur die Al^gen aufmachen brauchen, um überall
zunehmenden Wohlstand zu sehen. Die Städte dehnten sich ans. die an¬
gebauten Felder mehrten sich, die Märkte wurden zu klein für die Menge der
Käufer, die Häfen vermochten die Schiffe nicht mehr zu fassen. Kanäle verbanden
die Hauptsitze der Industrie mit den größten Seeplätzen. Die Beleuchtung der
Straßen, die Einrichtung der Häuser war verbessert worden. Schönere Waren
lagen in stattlicheren Kaufläden aus. Raschere Fuhrwerke rollten auf besser
gepflasterten Straßen dahin.

Adam Salis, dieser wirklich hervorragende Nationalökonom, sah etwas,
aber nnr etwas weiter. Er gab zu, daß das Volk die ungeheure Last der
Staatsschuld wirklich trug und sogar ganz unerwarteterweise unter ihr gedieh.
Aber er warnte England vor der Fortsetzung eines so gefährlichen Experimentes.
Man habe die äußerste Grenze erreicht; selbst der kleinste Zuwachs der Staats¬
schuld könne verderblich werden. Ähnlich dachten damals die leitenden Staats¬
männer Englands. Sie meinten, man müsse, um die Nation nicht durch die
Last einer Verzinsung von 140 Millionen Pfund erdrücken zu lassen, einen Teil
der Staatsschuld auf die amerikanischen Kolonien abbürden., Der Versuch wurde
gemacht und hatte einen neuen Krieg, den Freiheitskrieg der Vereinigten
Staaten von Amerika, zur Folge. Das Ergebnis des Krieges war eine neue
Schuld von 100 Millionen Pfund und der Verlust der Kolonien, deren finan¬
zielle Hilfe man für unerläßlich gehalten hatte. Wieder wurde England auf¬
gegeben, und wieder wurde der sonderbare Patient trotz aller Diagnosen und
Prognosen der Staatsärzte stärker und blühender.

Belastet mit einer Staatsschuld von 4 Milliarden 800 Millionen Mark,
also fast so viel, wie die Kriegsentschädigung betrug, die Frankreich 1871 an
Deutschland zahlte, trat England in den entscheidenden Kampf mit Frankreich,
in die Kriege mit der französischen Revolution und mit Napoleon, ein. Diese
Kriege kosteten weit mehr als irgendein Krieg, den die Welt vorher gesehen
hatte, und die Kräfte des englischen Staatskredits mußten auf das äußerste
angespannt werden. Als 1815 die Welt endlich wieder zur Ruhe kam, betrug
die fundierte englische Staatsschuld 16 Milliarden Mark (800 Millionen Pfund).
Hätte man im Jahre 1792 dem einsichtsvollsten Nationalökonomen Englands
gesagt, die Bank von England werde im Jahre 1815 die Zinsen von
16 Milliarden Mark pünktlich auszahlen, so würde er dies als schlechten Scherz
verlacht haben. Es war in der Tat für die damalige Zeit eine gigantische
Schuld, und es ist nicht zu verwundern, daß der Angstschrei Englands lauter


Die Verzinsung und Tilgung unserer Uriegscmleihen

ökonomen seiner Zeit, erklärte die englische Finanzpolitik für die größte Tollheit
der Geschichte. Man könne mit Zahlen beweisen, daß der Weg zum National¬
ruin durch die Staatsschuld führe. Das Ziel sei jetzt erreicht, alle Einkünfte
der englischen Insel seien verpfändet. Es wäre besser für England gewesen,
von Frankreich und Österreich besiegt zu werden, als mit den Zinsen von
140 Millionen Pfund belastet zu sein. Und dabei hätte Hume, der übrigens
ein bedeutender Philosoph war, nur die Al^gen aufmachen brauchen, um überall
zunehmenden Wohlstand zu sehen. Die Städte dehnten sich ans. die an¬
gebauten Felder mehrten sich, die Märkte wurden zu klein für die Menge der
Käufer, die Häfen vermochten die Schiffe nicht mehr zu fassen. Kanäle verbanden
die Hauptsitze der Industrie mit den größten Seeplätzen. Die Beleuchtung der
Straßen, die Einrichtung der Häuser war verbessert worden. Schönere Waren
lagen in stattlicheren Kaufläden aus. Raschere Fuhrwerke rollten auf besser
gepflasterten Straßen dahin.

Adam Salis, dieser wirklich hervorragende Nationalökonom, sah etwas,
aber nnr etwas weiter. Er gab zu, daß das Volk die ungeheure Last der
Staatsschuld wirklich trug und sogar ganz unerwarteterweise unter ihr gedieh.
Aber er warnte England vor der Fortsetzung eines so gefährlichen Experimentes.
Man habe die äußerste Grenze erreicht; selbst der kleinste Zuwachs der Staats¬
schuld könne verderblich werden. Ähnlich dachten damals die leitenden Staats¬
männer Englands. Sie meinten, man müsse, um die Nation nicht durch die
Last einer Verzinsung von 140 Millionen Pfund erdrücken zu lassen, einen Teil
der Staatsschuld auf die amerikanischen Kolonien abbürden., Der Versuch wurde
gemacht und hatte einen neuen Krieg, den Freiheitskrieg der Vereinigten
Staaten von Amerika, zur Folge. Das Ergebnis des Krieges war eine neue
Schuld von 100 Millionen Pfund und der Verlust der Kolonien, deren finan¬
zielle Hilfe man für unerläßlich gehalten hatte. Wieder wurde England auf¬
gegeben, und wieder wurde der sonderbare Patient trotz aller Diagnosen und
Prognosen der Staatsärzte stärker und blühender.

Belastet mit einer Staatsschuld von 4 Milliarden 800 Millionen Mark,
also fast so viel, wie die Kriegsentschädigung betrug, die Frankreich 1871 an
Deutschland zahlte, trat England in den entscheidenden Kampf mit Frankreich,
in die Kriege mit der französischen Revolution und mit Napoleon, ein. Diese
Kriege kosteten weit mehr als irgendein Krieg, den die Welt vorher gesehen
hatte, und die Kräfte des englischen Staatskredits mußten auf das äußerste
angespannt werden. Als 1815 die Welt endlich wieder zur Ruhe kam, betrug
die fundierte englische Staatsschuld 16 Milliarden Mark (800 Millionen Pfund).
Hätte man im Jahre 1792 dem einsichtsvollsten Nationalökonomen Englands
gesagt, die Bank von England werde im Jahre 1815 die Zinsen von
16 Milliarden Mark pünktlich auszahlen, so würde er dies als schlechten Scherz
verlacht haben. Es war in der Tat für die damalige Zeit eine gigantische
Schuld, und es ist nicht zu verwundern, daß der Angstschrei Englands lauter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/248>, abgerufen am 01.07.2024.