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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Verzinsung und Tilgung unserer Ariegsanleihen

Sie stutzen, Herr Meier, und schauen mich verwundert an. Nun ja. Herr
Meier, England. Sie kennen England finanziell nur als das Land der gold-
geründerten Werte mit einer lächerlich geringen Verzinsung seiner Konsols, die
trotzdem Pari und höher standen. Aber es sind gerade hundert Jahre her,
da stand es scheinbar mit den englischen Finanzen außerordentlich schlecht. Sie
glauben mir nicht, Herr Meier? Nun, ich will mich auf einen Kronzeugen
berufen, auf einen namhaften und geistreichen, bisweilen freilich etwas ein¬
seitigen englischen Historiker. Ich habe hier ein paar Notizen aus Macaulays
englischer Geschichte. Darf ich sie Ihnen vorlesen? Ich muß etwas voraus¬
schicken. Sie entsinnen sich vielleicht noch von Ihrer Schulzeit her, daß Eng¬
land in den Jahren von 1688 bis 1815 fast ununterbrochen in blutigen
Kriegen mit Frankreich um die Vorherrschaft in Europa gerungen hat. Die
Schlacht von Belle-Alliance entschied den Kampf auf ein Jahrhundert endgültig zu
Englands Gunsten. Von der Finanzlage Englands während dieses 127jährigen
Ringens weiß nun Macaulay folgende nachdenklichen Tatsachen zu erzählen:

Es war im Januar 1693, als das englische Parlament die Aufnahme
der ersten Anleihe in Höhe der uns lächerlich gering erscheinenden Summe von
1 Million Pfund Sterling, mit 10 Prozent verzinslich, beschloß.

"Dies war der Ursprung der Staatsschuld, so führt Macaulay aus. die
seitdem das größte Wunder geworden ist, das die Staatsmänner und Philo¬
sophen in Verlegenheit gesetzt und beschämt hat. In jedem Stadium des
Wachstums dieser Schuld hat die Nation immer einen lauten Angstruf ver¬
nehmen lassen. In jedem Stadium des Wachstums dieser Schuld haben kluge
erfahrene Männer in allem Ernste versichert, Staatöbankerott und Ruin sei
unvermeidlich. Gleichwohl wurde die Staatsschuld immer größer, ohne daß
sich die Prophezeiung von Staatsbankerott und Ruin verwirklichte."

Als der große Kampf mit Ludwig dem Vierzehnten durch den Utrechter
Frieden beendet wurde, schuldete England etwa 50 Millionen Pfund -- also
eine Milliarde Mark -- und diese Schuld wurde nicht nur von der großen
Menge, sondern von scharfsinnigen tiefen Denkern Englands als eine drückende
Last betrachtet, die den Staatskörper für einige Zeit lähmen werde. Dessen¬
ungeachtet blühte der Handel; der Wohlstand nahm zu; England wurde immer
reicher. Dann kam der österreichische Erbfolgekrieg, und die Staatsschuld stieg
auf 80 Millionen Pfund. Zeitungsschreiber, Historiker und Redner versicherten,
daß nun keine Rettung sei. Und doch hätten sich aufmerksam beobachtende
und denkende Männer durch deutliche unverkennbare Zeichen von dem zu¬
nehmenden Wohlstand überzeugen müssen. Bald brach der siebenjährige Krieg
aus und unter der energischen Verwaltung des ersten William Pitt, des Ver¬
bündeten Friedrich des Großen, stieg die Staatsschuld rasch auf 140 Millionen
Pfund. Als der erste Siegesrausch vorüber war, erklärten Theoretiker und
Geschäftsmänner fast einstimmig, der verhängnisvolle Tag des Staatsbankerotts
sei nun wirklich gekommen. David Hume. einer der angesehensten National-


Die Verzinsung und Tilgung unserer Ariegsanleihen

Sie stutzen, Herr Meier, und schauen mich verwundert an. Nun ja. Herr
Meier, England. Sie kennen England finanziell nur als das Land der gold-
geründerten Werte mit einer lächerlich geringen Verzinsung seiner Konsols, die
trotzdem Pari und höher standen. Aber es sind gerade hundert Jahre her,
da stand es scheinbar mit den englischen Finanzen außerordentlich schlecht. Sie
glauben mir nicht, Herr Meier? Nun, ich will mich auf einen Kronzeugen
berufen, auf einen namhaften und geistreichen, bisweilen freilich etwas ein¬
seitigen englischen Historiker. Ich habe hier ein paar Notizen aus Macaulays
englischer Geschichte. Darf ich sie Ihnen vorlesen? Ich muß etwas voraus¬
schicken. Sie entsinnen sich vielleicht noch von Ihrer Schulzeit her, daß Eng¬
land in den Jahren von 1688 bis 1815 fast ununterbrochen in blutigen
Kriegen mit Frankreich um die Vorherrschaft in Europa gerungen hat. Die
Schlacht von Belle-Alliance entschied den Kampf auf ein Jahrhundert endgültig zu
Englands Gunsten. Von der Finanzlage Englands während dieses 127jährigen
Ringens weiß nun Macaulay folgende nachdenklichen Tatsachen zu erzählen:

Es war im Januar 1693, als das englische Parlament die Aufnahme
der ersten Anleihe in Höhe der uns lächerlich gering erscheinenden Summe von
1 Million Pfund Sterling, mit 10 Prozent verzinslich, beschloß.

„Dies war der Ursprung der Staatsschuld, so führt Macaulay aus. die
seitdem das größte Wunder geworden ist, das die Staatsmänner und Philo¬
sophen in Verlegenheit gesetzt und beschämt hat. In jedem Stadium des
Wachstums dieser Schuld hat die Nation immer einen lauten Angstruf ver¬
nehmen lassen. In jedem Stadium des Wachstums dieser Schuld haben kluge
erfahrene Männer in allem Ernste versichert, Staatöbankerott und Ruin sei
unvermeidlich. Gleichwohl wurde die Staatsschuld immer größer, ohne daß
sich die Prophezeiung von Staatsbankerott und Ruin verwirklichte."

Als der große Kampf mit Ludwig dem Vierzehnten durch den Utrechter
Frieden beendet wurde, schuldete England etwa 50 Millionen Pfund — also
eine Milliarde Mark — und diese Schuld wurde nicht nur von der großen
Menge, sondern von scharfsinnigen tiefen Denkern Englands als eine drückende
Last betrachtet, die den Staatskörper für einige Zeit lähmen werde. Dessen¬
ungeachtet blühte der Handel; der Wohlstand nahm zu; England wurde immer
reicher. Dann kam der österreichische Erbfolgekrieg, und die Staatsschuld stieg
auf 80 Millionen Pfund. Zeitungsschreiber, Historiker und Redner versicherten,
daß nun keine Rettung sei. Und doch hätten sich aufmerksam beobachtende
und denkende Männer durch deutliche unverkennbare Zeichen von dem zu¬
nehmenden Wohlstand überzeugen müssen. Bald brach der siebenjährige Krieg
aus und unter der energischen Verwaltung des ersten William Pitt, des Ver¬
bündeten Friedrich des Großen, stieg die Staatsschuld rasch auf 140 Millionen
Pfund. Als der erste Siegesrausch vorüber war, erklärten Theoretiker und
Geschäftsmänner fast einstimmig, der verhängnisvolle Tag des Staatsbankerotts
sei nun wirklich gekommen. David Hume. einer der angesehensten National-


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[0247] Die Verzinsung und Tilgung unserer Ariegsanleihen Sie stutzen, Herr Meier, und schauen mich verwundert an. Nun ja. Herr Meier, England. Sie kennen England finanziell nur als das Land der gold- geründerten Werte mit einer lächerlich geringen Verzinsung seiner Konsols, die trotzdem Pari und höher standen. Aber es sind gerade hundert Jahre her, da stand es scheinbar mit den englischen Finanzen außerordentlich schlecht. Sie glauben mir nicht, Herr Meier? Nun, ich will mich auf einen Kronzeugen berufen, auf einen namhaften und geistreichen, bisweilen freilich etwas ein¬ seitigen englischen Historiker. Ich habe hier ein paar Notizen aus Macaulays englischer Geschichte. Darf ich sie Ihnen vorlesen? Ich muß etwas voraus¬ schicken. Sie entsinnen sich vielleicht noch von Ihrer Schulzeit her, daß Eng¬ land in den Jahren von 1688 bis 1815 fast ununterbrochen in blutigen Kriegen mit Frankreich um die Vorherrschaft in Europa gerungen hat. Die Schlacht von Belle-Alliance entschied den Kampf auf ein Jahrhundert endgültig zu Englands Gunsten. Von der Finanzlage Englands während dieses 127jährigen Ringens weiß nun Macaulay folgende nachdenklichen Tatsachen zu erzählen: Es war im Januar 1693, als das englische Parlament die Aufnahme der ersten Anleihe in Höhe der uns lächerlich gering erscheinenden Summe von 1 Million Pfund Sterling, mit 10 Prozent verzinslich, beschloß. „Dies war der Ursprung der Staatsschuld, so führt Macaulay aus. die seitdem das größte Wunder geworden ist, das die Staatsmänner und Philo¬ sophen in Verlegenheit gesetzt und beschämt hat. In jedem Stadium des Wachstums dieser Schuld hat die Nation immer einen lauten Angstruf ver¬ nehmen lassen. In jedem Stadium des Wachstums dieser Schuld haben kluge erfahrene Männer in allem Ernste versichert, Staatöbankerott und Ruin sei unvermeidlich. Gleichwohl wurde die Staatsschuld immer größer, ohne daß sich die Prophezeiung von Staatsbankerott und Ruin verwirklichte." Als der große Kampf mit Ludwig dem Vierzehnten durch den Utrechter Frieden beendet wurde, schuldete England etwa 50 Millionen Pfund — also eine Milliarde Mark — und diese Schuld wurde nicht nur von der großen Menge, sondern von scharfsinnigen tiefen Denkern Englands als eine drückende Last betrachtet, die den Staatskörper für einige Zeit lähmen werde. Dessen¬ ungeachtet blühte der Handel; der Wohlstand nahm zu; England wurde immer reicher. Dann kam der österreichische Erbfolgekrieg, und die Staatsschuld stieg auf 80 Millionen Pfund. Zeitungsschreiber, Historiker und Redner versicherten, daß nun keine Rettung sei. Und doch hätten sich aufmerksam beobachtende und denkende Männer durch deutliche unverkennbare Zeichen von dem zu¬ nehmenden Wohlstand überzeugen müssen. Bald brach der siebenjährige Krieg aus und unter der energischen Verwaltung des ersten William Pitt, des Ver¬ bündeten Friedrich des Großen, stieg die Staatsschuld rasch auf 140 Millionen Pfund. Als der erste Siegesrausch vorüber war, erklärten Theoretiker und Geschäftsmänner fast einstimmig, der verhängnisvolle Tag des Staatsbankerotts sei nun wirklich gekommen. David Hume. einer der angesehensten National-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/247>, abgerufen am 01.07.2024.