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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Polnischer Neubau

Stadtrepublikeu des Mittelalters hervorgegangen sind, wie diese Stadtparlamente
der großen Städte des Mittelalters selbst haben sich stets aus zwei Bänken
zusammengesetzt, deren eine gewissermassen die Unternehmerklasse oder den Besitz,
die andere die Arbeitnehmerklasse umfaßte. Die römischen Kurier setzten sich
zusammen ans der Bank der Grundbesitzer (posssssorss) und aus der Ver¬
tretung des arbeitenden Volkes der Handwerker, indem die einzelnen Verufs-
körperschafteu (coUs-M urtiiicum) schon seit König Numa ihre Zunftmeister
(Principales) in die Kurie sandten. Und ebenso bestanden die Stadtparlamente
des Mittelalters aus je einer Bank des Patriziats und der Zünfte, erstere die
Vertretung der Landorte des Stadtstaats, deren Grundherren die einzelnen
Patrizier waren, letztere die von den Genossen der einzelnen Berufe gewühlte
Vertretung der einzelnen Berufsstäude. So bestand z. B. der kleine Rat der
Reichsstadt Ulm im fünfzehnten Jahrhundert ans fünfzehn Vertretern des
Grundherrenstandes und damit der Landorte des Stadtstaats und siebzehn
Meistern der in ebensoviel Zünfte gegliederten städtischen Berufe.

Ein ähnlicher Aufbau würde vielleicht auch für die neue Reichsverfassung
das Nichtige treffen. Denken wir uns ein Parlament von insgesamt 400 Mit¬
gliedern, von denen die Hälfte von den in Berufe gegliederten Wahlkörpern
des Unternehmertums und die andere Hälfte von den ebenfalls in Berufe ge¬
gliederten Arbeitnehmern zu wählen wäre. Sämtliche Wähler in beiden Gruppen,
von: Inhaber der Firma Krupp bis zum kleinen Schlossermeister, wie vom
Minister herab bis zum letzten Dienstknecht, hätten dabei das allgemeine gleiche
und unmittelbare Stimmrecht, wohl aber wäre den beiden volkswirtschaftlich
geschiedenen Berufsständen des Unternehmertums und der Arbeitnehmer der
gleiche Einfluß im Staatsregiment gegenseitig gewährleistet.

Die Schaffung dieser beiden verschiedenen Arten von Abgeordneten, von
Abgeordneten des Besitzes und solchen der Berufe, hat, was für die fortschritt¬
liche Art des schwäbischen Stammes bemerkenswert ist, gewissermaßen instinktiv
schon ihren Anfang genommen durch die Schaffung der Proporzabgeordneten
des württembergischen Landtages. Durch die Schaffung von in zwei Landes¬
wahlbezirken gewählten Volksvertretern ist der Berufs Vertretung in weitem Maße
der Weg geebnet worden. Der grundsätzliche Fehler ist bei dieser Einrichtung
nur das System der Doppelwahl. Tatsächlich hat aber die Proporzwahl in
Württemberg heute schon das Ergebnis gezeitigt, daß eine ganze Anzahl Berufs¬
vertreter als Vertreter von Minderheiten heute im württembergischen Landtag
setzt, welche sonst nie den Weg in das schwäbische Parlament gefunden hätte.

Auch für Württemberg aber ließe sich das jetzt vorgeschlagene Berufswahl¬
system Hand in Hand mit der bevorstehenden Vereinfachung der Staatsver¬
waltung leicht in der Art durchführen, daß von den 92 Abgeordneten der
Zweiten Kammer die Hälfte, also 46, als Vertreter des württembergischen
Unternehmertums gewählt würden, sei es in zwei oder vier Wahlbezirken, ent¬
sprechend den beiden Proporzwahlkreisen bzw. der Einteilung des Landes in


Polnischer Neubau

Stadtrepublikeu des Mittelalters hervorgegangen sind, wie diese Stadtparlamente
der großen Städte des Mittelalters selbst haben sich stets aus zwei Bänken
zusammengesetzt, deren eine gewissermassen die Unternehmerklasse oder den Besitz,
die andere die Arbeitnehmerklasse umfaßte. Die römischen Kurier setzten sich
zusammen ans der Bank der Grundbesitzer (posssssorss) und aus der Ver¬
tretung des arbeitenden Volkes der Handwerker, indem die einzelnen Verufs-
körperschafteu (coUs-M urtiiicum) schon seit König Numa ihre Zunftmeister
(Principales) in die Kurie sandten. Und ebenso bestanden die Stadtparlamente
des Mittelalters aus je einer Bank des Patriziats und der Zünfte, erstere die
Vertretung der Landorte des Stadtstaats, deren Grundherren die einzelnen
Patrizier waren, letztere die von den Genossen der einzelnen Berufe gewühlte
Vertretung der einzelnen Berufsstäude. So bestand z. B. der kleine Rat der
Reichsstadt Ulm im fünfzehnten Jahrhundert ans fünfzehn Vertretern des
Grundherrenstandes und damit der Landorte des Stadtstaats und siebzehn
Meistern der in ebensoviel Zünfte gegliederten städtischen Berufe.

Ein ähnlicher Aufbau würde vielleicht auch für die neue Reichsverfassung
das Nichtige treffen. Denken wir uns ein Parlament von insgesamt 400 Mit¬
gliedern, von denen die Hälfte von den in Berufe gegliederten Wahlkörpern
des Unternehmertums und die andere Hälfte von den ebenfalls in Berufe ge¬
gliederten Arbeitnehmern zu wählen wäre. Sämtliche Wähler in beiden Gruppen,
von: Inhaber der Firma Krupp bis zum kleinen Schlossermeister, wie vom
Minister herab bis zum letzten Dienstknecht, hätten dabei das allgemeine gleiche
und unmittelbare Stimmrecht, wohl aber wäre den beiden volkswirtschaftlich
geschiedenen Berufsständen des Unternehmertums und der Arbeitnehmer der
gleiche Einfluß im Staatsregiment gegenseitig gewährleistet.

Die Schaffung dieser beiden verschiedenen Arten von Abgeordneten, von
Abgeordneten des Besitzes und solchen der Berufe, hat, was für die fortschritt¬
liche Art des schwäbischen Stammes bemerkenswert ist, gewissermaßen instinktiv
schon ihren Anfang genommen durch die Schaffung der Proporzabgeordneten
des württembergischen Landtages. Durch die Schaffung von in zwei Landes¬
wahlbezirken gewählten Volksvertretern ist der Berufs Vertretung in weitem Maße
der Weg geebnet worden. Der grundsätzliche Fehler ist bei dieser Einrichtung
nur das System der Doppelwahl. Tatsächlich hat aber die Proporzwahl in
Württemberg heute schon das Ergebnis gezeitigt, daß eine ganze Anzahl Berufs¬
vertreter als Vertreter von Minderheiten heute im württembergischen Landtag
setzt, welche sonst nie den Weg in das schwäbische Parlament gefunden hätte.

Auch für Württemberg aber ließe sich das jetzt vorgeschlagene Berufswahl¬
system Hand in Hand mit der bevorstehenden Vereinfachung der Staatsver¬
waltung leicht in der Art durchführen, daß von den 92 Abgeordneten der
Zweiten Kammer die Hälfte, also 46, als Vertreter des württembergischen
Unternehmertums gewählt würden, sei es in zwei oder vier Wahlbezirken, ent¬
sprechend den beiden Proporzwahlkreisen bzw. der Einteilung des Landes in


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[0245] Polnischer Neubau Stadtrepublikeu des Mittelalters hervorgegangen sind, wie diese Stadtparlamente der großen Städte des Mittelalters selbst haben sich stets aus zwei Bänken zusammengesetzt, deren eine gewissermassen die Unternehmerklasse oder den Besitz, die andere die Arbeitnehmerklasse umfaßte. Die römischen Kurier setzten sich zusammen ans der Bank der Grundbesitzer (posssssorss) und aus der Ver¬ tretung des arbeitenden Volkes der Handwerker, indem die einzelnen Verufs- körperschafteu (coUs-M urtiiicum) schon seit König Numa ihre Zunftmeister (Principales) in die Kurie sandten. Und ebenso bestanden die Stadtparlamente des Mittelalters aus je einer Bank des Patriziats und der Zünfte, erstere die Vertretung der Landorte des Stadtstaats, deren Grundherren die einzelnen Patrizier waren, letztere die von den Genossen der einzelnen Berufe gewühlte Vertretung der einzelnen Berufsstäude. So bestand z. B. der kleine Rat der Reichsstadt Ulm im fünfzehnten Jahrhundert ans fünfzehn Vertretern des Grundherrenstandes und damit der Landorte des Stadtstaats und siebzehn Meistern der in ebensoviel Zünfte gegliederten städtischen Berufe. Ein ähnlicher Aufbau würde vielleicht auch für die neue Reichsverfassung das Nichtige treffen. Denken wir uns ein Parlament von insgesamt 400 Mit¬ gliedern, von denen die Hälfte von den in Berufe gegliederten Wahlkörpern des Unternehmertums und die andere Hälfte von den ebenfalls in Berufe ge¬ gliederten Arbeitnehmern zu wählen wäre. Sämtliche Wähler in beiden Gruppen, von: Inhaber der Firma Krupp bis zum kleinen Schlossermeister, wie vom Minister herab bis zum letzten Dienstknecht, hätten dabei das allgemeine gleiche und unmittelbare Stimmrecht, wohl aber wäre den beiden volkswirtschaftlich geschiedenen Berufsständen des Unternehmertums und der Arbeitnehmer der gleiche Einfluß im Staatsregiment gegenseitig gewährleistet. Die Schaffung dieser beiden verschiedenen Arten von Abgeordneten, von Abgeordneten des Besitzes und solchen der Berufe, hat, was für die fortschritt¬ liche Art des schwäbischen Stammes bemerkenswert ist, gewissermaßen instinktiv schon ihren Anfang genommen durch die Schaffung der Proporzabgeordneten des württembergischen Landtages. Durch die Schaffung von in zwei Landes¬ wahlbezirken gewählten Volksvertretern ist der Berufs Vertretung in weitem Maße der Weg geebnet worden. Der grundsätzliche Fehler ist bei dieser Einrichtung nur das System der Doppelwahl. Tatsächlich hat aber die Proporzwahl in Württemberg heute schon das Ergebnis gezeitigt, daß eine ganze Anzahl Berufs¬ vertreter als Vertreter von Minderheiten heute im württembergischen Landtag setzt, welche sonst nie den Weg in das schwäbische Parlament gefunden hätte. Auch für Württemberg aber ließe sich das jetzt vorgeschlagene Berufswahl¬ system Hand in Hand mit der bevorstehenden Vereinfachung der Staatsver¬ waltung leicht in der Art durchführen, daß von den 92 Abgeordneten der Zweiten Kammer die Hälfte, also 46, als Vertreter des württembergischen Unternehmertums gewählt würden, sei es in zwei oder vier Wahlbezirken, ent¬ sprechend den beiden Proporzwahlkreisen bzw. der Einteilung des Landes in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/245>, abgerufen am 01.07.2024.