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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Polnischer Neubau

die Einrichtung, daß den besonderen Interessen jedes einzelnen Berufsstandcs
auf Grund seiner zahlenmäßigen Bedeutung für das Volksganze von vornherein
ihr Anteil an der Gesetzgebung und Steuerverwilligung gesetzlich sichergestellt
ist. Eine Klassifizierung der Wühler und der Abgeordneten nach Berufsständen
ist in der Tat nicht nur möglich, sondern auch notwendig, und es fragt sich
nur, in welcher Weise sie zu geschehen hat und in erster Linie, ob die Fest¬
setzung der Zahl der Abgeordneten jedes einzelnen Berufsstandes lediglich nach
der Zahl der einem Beruf angehörenden Genossen das Nichtige trifft, oder ob
nicht vielmehr neben dieser Zahl der juten einzelnen Beruf Angehörenden auch
noch als zweiter staaiserhaltender Gesichtspunkt die Frage der wirtschaftlichen
Bedeutung jedes einzelnen BerufSstandes in Betracht zu ziehen ist.

Loses selbst hat diese außerordentlich heikle, aber außerordentlich wichtige
Frage nur leise angetippt und den Worten: "Ob man die selbständigen, die
Angestellten, die Arbeiter unter sich wühlen lassen will, ist eine Unterfrage.
Ohne manche Schwierigkeiten ist eine Neichsberufskörpcrwahl natürlich auch
nicht," Der Gedanke, daß es notwendig werden könnte, die Arbeitgeber und
die Arbeitnehmer in gesonderte Wühlkörperschaften zu gruppieren, ähnlich wie
z. B. bei den Borständen der Ortskrankenkassen beide Berufsgattungen ihre
gesondcite Vertretung haben, ist ihm also jedenfalls nicht ganz entgangen.
Hier handelt es sich in der Tat um einen volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt
ersten Ranges. Würden die seitherigen territorialen Reichstagswahlkreise einfach
abgeschafft, so würden'natürlich die Arbeitnehmer aller Art, vom Minister herab
bis zum Dienstknecht, einen wesentlich anderen politischen Einfluß bekommen
als die ihnen an Zahl weit unterlegene Unternehmerklasse. Das macht sich
heute trotz dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht viel weniger fühlbar, wo
die Arbeitnehmerklasse in 397 Wahlbezirke zerrissen ist, als wenn jeder Berufs¬
stand durch das ganze Reich einen festen Jnteressenverbcmd bildet, und dieses
Bedenken legt den Gedanken nahe, den volkswirtschaftlichen Interessen des
Unternehmertums, welche eines gesetzlichen Schutzes unbedingt bedürfen, wenn
sie nicht rettungslos dem Arbeitnehmerstande ausgeliefert werden sollen, dadurch
diesen gesetzlichen Schutz zu verschaffen, daß in Nachahmung der Einrichtung,
wie wir sie längst bei den Krankenkassen haben, die Arbeitgeber und die Arbeit¬
nehmer je die Hälfte der Sitze erhalten, also im parlamentarischen Kampfe
beide Interessengruppen einander gleichgestellt werden.

Dieser den Plan des Herrn Loses ergänzende Vorschlag bedeutet eine
mittlere Linie, entspricht neben dem Vorbild der Ortskrankenkassen auch der
geschichtlichen Erfahrung und würde vor allem dem künftigen Reichstag die
Eigenschaft eines Reichsvolkswirtschaftsrats verleihen, wie ihn der Sozialismus
längst anstrebt.

Aber sehen wir zunächst nach den eben erwähnten geschichtlichen Vorgängen.
Sowohl die sogenannten Kurier der römischen Munizipalstädte, aus denen seit
dem elften Jahrhundert die Natskollegien, Sprechhäuser oder Parlamente der


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die Einrichtung, daß den besonderen Interessen jedes einzelnen Berufsstandcs
auf Grund seiner zahlenmäßigen Bedeutung für das Volksganze von vornherein
ihr Anteil an der Gesetzgebung und Steuerverwilligung gesetzlich sichergestellt
ist. Eine Klassifizierung der Wühler und der Abgeordneten nach Berufsständen
ist in der Tat nicht nur möglich, sondern auch notwendig, und es fragt sich
nur, in welcher Weise sie zu geschehen hat und in erster Linie, ob die Fest¬
setzung der Zahl der Abgeordneten jedes einzelnen Berufsstandes lediglich nach
der Zahl der einem Beruf angehörenden Genossen das Nichtige trifft, oder ob
nicht vielmehr neben dieser Zahl der juten einzelnen Beruf Angehörenden auch
noch als zweiter staaiserhaltender Gesichtspunkt die Frage der wirtschaftlichen
Bedeutung jedes einzelnen BerufSstandes in Betracht zu ziehen ist.

Loses selbst hat diese außerordentlich heikle, aber außerordentlich wichtige
Frage nur leise angetippt und den Worten: „Ob man die selbständigen, die
Angestellten, die Arbeiter unter sich wühlen lassen will, ist eine Unterfrage.
Ohne manche Schwierigkeiten ist eine Neichsberufskörpcrwahl natürlich auch
nicht," Der Gedanke, daß es notwendig werden könnte, die Arbeitgeber und
die Arbeitnehmer in gesonderte Wühlkörperschaften zu gruppieren, ähnlich wie
z. B. bei den Borständen der Ortskrankenkassen beide Berufsgattungen ihre
gesondcite Vertretung haben, ist ihm also jedenfalls nicht ganz entgangen.
Hier handelt es sich in der Tat um einen volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt
ersten Ranges. Würden die seitherigen territorialen Reichstagswahlkreise einfach
abgeschafft, so würden'natürlich die Arbeitnehmer aller Art, vom Minister herab
bis zum Dienstknecht, einen wesentlich anderen politischen Einfluß bekommen
als die ihnen an Zahl weit unterlegene Unternehmerklasse. Das macht sich
heute trotz dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht viel weniger fühlbar, wo
die Arbeitnehmerklasse in 397 Wahlbezirke zerrissen ist, als wenn jeder Berufs¬
stand durch das ganze Reich einen festen Jnteressenverbcmd bildet, und dieses
Bedenken legt den Gedanken nahe, den volkswirtschaftlichen Interessen des
Unternehmertums, welche eines gesetzlichen Schutzes unbedingt bedürfen, wenn
sie nicht rettungslos dem Arbeitnehmerstande ausgeliefert werden sollen, dadurch
diesen gesetzlichen Schutz zu verschaffen, daß in Nachahmung der Einrichtung,
wie wir sie längst bei den Krankenkassen haben, die Arbeitgeber und die Arbeit¬
nehmer je die Hälfte der Sitze erhalten, also im parlamentarischen Kampfe
beide Interessengruppen einander gleichgestellt werden.

Dieser den Plan des Herrn Loses ergänzende Vorschlag bedeutet eine
mittlere Linie, entspricht neben dem Vorbild der Ortskrankenkassen auch der
geschichtlichen Erfahrung und würde vor allem dem künftigen Reichstag die
Eigenschaft eines Reichsvolkswirtschaftsrats verleihen, wie ihn der Sozialismus
längst anstrebt.

Aber sehen wir zunächst nach den eben erwähnten geschichtlichen Vorgängen.
Sowohl die sogenannten Kurier der römischen Munizipalstädte, aus denen seit
dem elften Jahrhundert die Natskollegien, Sprechhäuser oder Parlamente der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/244>, abgerufen am 01.07.2024.