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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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nachdem der Arbeiter in schwerer Zeit so kräftig zum Reich gehalten habe, es
handle sich aber in dieser Frage nicht bloß um eine Neuerung im Interesse
der Arbeiter, denn es gebe im Reiche nicht bloß Arbeiter, sondern etwa zwei¬
hundert verschiedene Berufsstände, über deren Stärke die alle fünf Jahre statt¬
findende Reichszählung uns genau unterrichte. Wenn man ein Reichsvolks¬
zählungsgesetz und im Anschlusse hieran ein neues Reichswahlgesetz schaffe,
müsse in diesem Gesetz die Wahl der Abgeordneten auf Grund der Berufs¬
zugehörigkeit der Wähler und nicht mehr auf Grund ihres Wohnsitzes erfolgen;
denn sobald man nicht mehr auf Grund des Wohnsitzes, sondern auf Grund
der Berufszugehörigkeit die Volksvertretung wähle, werden die Wahlkämpfe
zwar nicht ausgeschaltet werden, aber einen ganz anderen Charakter bekommen.
Und das sei bitter notwendig. Die Wahlen werden sich dann ehrlicher und
sachlicher vollziehen und man werde dann auch den Angehörigen des aktiven
Heeres das Wahlrecht verleihen können.

Loses will also eine Ersetzung der seitherigen territorialen Gliederung der
Reichswählerschaft durch eine berufliche Gliederung. Seine Reichstagsabgeord¬
neten sollen keine Vertreter von Bezirksinteressen mehr sein, sondern Vertreter
von Berufsinteressen, er will etwas Ähnliches, wie es mutatis mutanäi8 die
sieben Heerschilde des deutschen Volkes auf den alten deutschen Reichstagen
waren, wo sich die Teilnehmer in sieben Schilde gliederten, in die Schilde des
Königs, der geistlichen und weltlichen Fürsten und ihrer Dienstmannen und in
die Schilde der freien Herren, der Bannerherren, der Ritter und der gemeinen
Freien. Er denkt sich die Sache offenbar so, daß etwa alle wahlberechtigten
Heeresangehörigen des Reiches miteinander eine ihrer Zahl entsprechende Anzahl
Reichstagsabgeordneter wählen würden, ebenso die Reichsbeamten, die Staats¬
beamten, die Körperschaftsbeamten, die Geistlichen, die Lehrer, die Arbeitnehmer
im Handel, in der Industrie, im Handwerk, in der Landwirtschaft und in häus¬
lichen Diensten, wie andererseits die Unternehmer in der Landwirtschaft, im
Handel, in der Industrie, im Handwerk und die Angehörigen der freien Berufe.

Daß eine solche Neugliederung der Reichswählerschaft nach Berufen statt
nach dem Wohnsitze in der Tat eine große reinliche Scheidung der Interessen
mit sich bringen und damit den Kämpfen um das Recht der Jnteressenbetätigung
innerhalb der einzelnen Neichstagswahlkreise dauernd ein Ende machen müßte,
liegt auf der Hand. Die Möglichkeit der Interessenvertretung jedes Berufs¬
standes wäre damit künftig für jeden einzelnen Berufsstand von vornherein
gesetzlich gesichert und es würde sich bei den Wahlen nur noch um die Frage
handeln, welche Persönlichkeit den Wählern des einzelnen Berufsstandes am
besten geeignet erscheint, ihre Interessen im Reichstage zu wahren. Es kann
in der Tat nicht als ein staatsrechtlich vorbildlicher Zustand angesehen werden,
wenn ein aus allen denkbaren Berufs- und Interessengruppen bunt zusammen¬
gewürfelter Wählerhaufe lediglich auf Grund der zufälligen Tatsache des gemein¬
samen Wohnsitzes die Volksvertretung wählt, vielmehr ist doch viel einleuchtender


Polnischer Neubau

nachdem der Arbeiter in schwerer Zeit so kräftig zum Reich gehalten habe, es
handle sich aber in dieser Frage nicht bloß um eine Neuerung im Interesse
der Arbeiter, denn es gebe im Reiche nicht bloß Arbeiter, sondern etwa zwei¬
hundert verschiedene Berufsstände, über deren Stärke die alle fünf Jahre statt¬
findende Reichszählung uns genau unterrichte. Wenn man ein Reichsvolks¬
zählungsgesetz und im Anschlusse hieran ein neues Reichswahlgesetz schaffe,
müsse in diesem Gesetz die Wahl der Abgeordneten auf Grund der Berufs¬
zugehörigkeit der Wähler und nicht mehr auf Grund ihres Wohnsitzes erfolgen;
denn sobald man nicht mehr auf Grund des Wohnsitzes, sondern auf Grund
der Berufszugehörigkeit die Volksvertretung wähle, werden die Wahlkämpfe
zwar nicht ausgeschaltet werden, aber einen ganz anderen Charakter bekommen.
Und das sei bitter notwendig. Die Wahlen werden sich dann ehrlicher und
sachlicher vollziehen und man werde dann auch den Angehörigen des aktiven
Heeres das Wahlrecht verleihen können.

Loses will also eine Ersetzung der seitherigen territorialen Gliederung der
Reichswählerschaft durch eine berufliche Gliederung. Seine Reichstagsabgeord¬
neten sollen keine Vertreter von Bezirksinteressen mehr sein, sondern Vertreter
von Berufsinteressen, er will etwas Ähnliches, wie es mutatis mutanäi8 die
sieben Heerschilde des deutschen Volkes auf den alten deutschen Reichstagen
waren, wo sich die Teilnehmer in sieben Schilde gliederten, in die Schilde des
Königs, der geistlichen und weltlichen Fürsten und ihrer Dienstmannen und in
die Schilde der freien Herren, der Bannerherren, der Ritter und der gemeinen
Freien. Er denkt sich die Sache offenbar so, daß etwa alle wahlberechtigten
Heeresangehörigen des Reiches miteinander eine ihrer Zahl entsprechende Anzahl
Reichstagsabgeordneter wählen würden, ebenso die Reichsbeamten, die Staats¬
beamten, die Körperschaftsbeamten, die Geistlichen, die Lehrer, die Arbeitnehmer
im Handel, in der Industrie, im Handwerk, in der Landwirtschaft und in häus¬
lichen Diensten, wie andererseits die Unternehmer in der Landwirtschaft, im
Handel, in der Industrie, im Handwerk und die Angehörigen der freien Berufe.

Daß eine solche Neugliederung der Reichswählerschaft nach Berufen statt
nach dem Wohnsitze in der Tat eine große reinliche Scheidung der Interessen
mit sich bringen und damit den Kämpfen um das Recht der Jnteressenbetätigung
innerhalb der einzelnen Neichstagswahlkreise dauernd ein Ende machen müßte,
liegt auf der Hand. Die Möglichkeit der Interessenvertretung jedes Berufs¬
standes wäre damit künftig für jeden einzelnen Berufsstand von vornherein
gesetzlich gesichert und es würde sich bei den Wahlen nur noch um die Frage
handeln, welche Persönlichkeit den Wählern des einzelnen Berufsstandes am
besten geeignet erscheint, ihre Interessen im Reichstage zu wahren. Es kann
in der Tat nicht als ein staatsrechtlich vorbildlicher Zustand angesehen werden,
wenn ein aus allen denkbaren Berufs- und Interessengruppen bunt zusammen¬
gewürfelter Wählerhaufe lediglich auf Grund der zufälligen Tatsache des gemein¬
samen Wohnsitzes die Volksvertretung wählt, vielmehr ist doch viel einleuchtender


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[0243] Polnischer Neubau nachdem der Arbeiter in schwerer Zeit so kräftig zum Reich gehalten habe, es handle sich aber in dieser Frage nicht bloß um eine Neuerung im Interesse der Arbeiter, denn es gebe im Reiche nicht bloß Arbeiter, sondern etwa zwei¬ hundert verschiedene Berufsstände, über deren Stärke die alle fünf Jahre statt¬ findende Reichszählung uns genau unterrichte. Wenn man ein Reichsvolks¬ zählungsgesetz und im Anschlusse hieran ein neues Reichswahlgesetz schaffe, müsse in diesem Gesetz die Wahl der Abgeordneten auf Grund der Berufs¬ zugehörigkeit der Wähler und nicht mehr auf Grund ihres Wohnsitzes erfolgen; denn sobald man nicht mehr auf Grund des Wohnsitzes, sondern auf Grund der Berufszugehörigkeit die Volksvertretung wähle, werden die Wahlkämpfe zwar nicht ausgeschaltet werden, aber einen ganz anderen Charakter bekommen. Und das sei bitter notwendig. Die Wahlen werden sich dann ehrlicher und sachlicher vollziehen und man werde dann auch den Angehörigen des aktiven Heeres das Wahlrecht verleihen können. Loses will also eine Ersetzung der seitherigen territorialen Gliederung der Reichswählerschaft durch eine berufliche Gliederung. Seine Reichstagsabgeord¬ neten sollen keine Vertreter von Bezirksinteressen mehr sein, sondern Vertreter von Berufsinteressen, er will etwas Ähnliches, wie es mutatis mutanäi8 die sieben Heerschilde des deutschen Volkes auf den alten deutschen Reichstagen waren, wo sich die Teilnehmer in sieben Schilde gliederten, in die Schilde des Königs, der geistlichen und weltlichen Fürsten und ihrer Dienstmannen und in die Schilde der freien Herren, der Bannerherren, der Ritter und der gemeinen Freien. Er denkt sich die Sache offenbar so, daß etwa alle wahlberechtigten Heeresangehörigen des Reiches miteinander eine ihrer Zahl entsprechende Anzahl Reichstagsabgeordneter wählen würden, ebenso die Reichsbeamten, die Staats¬ beamten, die Körperschaftsbeamten, die Geistlichen, die Lehrer, die Arbeitnehmer im Handel, in der Industrie, im Handwerk, in der Landwirtschaft und in häus¬ lichen Diensten, wie andererseits die Unternehmer in der Landwirtschaft, im Handel, in der Industrie, im Handwerk und die Angehörigen der freien Berufe. Daß eine solche Neugliederung der Reichswählerschaft nach Berufen statt nach dem Wohnsitze in der Tat eine große reinliche Scheidung der Interessen mit sich bringen und damit den Kämpfen um das Recht der Jnteressenbetätigung innerhalb der einzelnen Neichstagswahlkreise dauernd ein Ende machen müßte, liegt auf der Hand. Die Möglichkeit der Interessenvertretung jedes Berufs¬ standes wäre damit künftig für jeden einzelnen Berufsstand von vornherein gesetzlich gesichert und es würde sich bei den Wahlen nur noch um die Frage handeln, welche Persönlichkeit den Wählern des einzelnen Berufsstandes am besten geeignet erscheint, ihre Interessen im Reichstage zu wahren. Es kann in der Tat nicht als ein staatsrechtlich vorbildlicher Zustand angesehen werden, wenn ein aus allen denkbaren Berufs- und Interessengruppen bunt zusammen¬ gewürfelter Wählerhaufe lediglich auf Grund der zufälligen Tatsache des gemein¬ samen Wohnsitzes die Volksvertretung wählt, vielmehr ist doch viel einleuchtender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/243>, abgerufen am 01.07.2024.