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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Mitteleuropa

gewiesenen Ziele, so bescheiden es auf den- ersten Blick anmutet, ein unendlich
dornenvoller, langwieriger Weg sührt. Die Hoffnung, daß ein mitteleuropäischer
Oberstaat als Ergebnis dieses Ringens ähnlich dem Deutschen Reiche fertig vor
uns auferstehen könnte, schwindet vollends, wenn wir die vorhandenen Grund¬
lagen scharf ins Auge fassen. Da ist allerdings in erster Linie die deutsch¬
österreichisch-ungarische Waffenbrüderschaft, die sich durch drei Jahre bewährte
und jetzt mit den Siegen in Rumänien, Podolien und Wolhrmicn so herrliche
Erfolgs zeitigt. Aber das ist zunächst einmal alles. Und so viel sie auch
menschlich für alle Feldsoldaten bedeuten möge, ist diese Waffenbrüderschaft fast
bedeutungslos für die Fragen, auf die es zunächst und in allererster Reihe
ankommt, Fragen, die überdies von Männern entschieden werden, denen es nie
vernorrt war, die Waffenbrüderschaft in der Schlacht kennen zu lernen. Als
die Kaiserproklamation von Versailles erfolgte, waren alle die Vorstadien zur
Einigung der deutschen Stämme und Staaten bereits in dem deutschen Zoll¬
verein überwunden, die wir uns jetzt für den neuen Oberstaat erst zu schaffen an¬
schicken. Zwischen Deutschland und Österreich besteht eigentlich nur der gute
Wille, sich zusammenzutun. Wie ist's aber mit Ungarn? Die im ungarischen
Reichstage vertretenen Parteien stehen, wenn Stolper recht hat, ohne Unterschied
auf dem staatsrechtlichen Standpunkte des souveränen ungarischen National¬
staates, "der insbesondere die völlige Selbständigkeit Ungarns in der äußeren
Handelspolitik betont." Wurde doch von Ungarn sogar die Verlängerung des
bis 19V7 geltenden Zoll- und Handelslumdmsses mit Österreich abgelehnt!
Für den Fall, daß der an Stelle des Bündnisses geschlossene Handelsvertrag
bis Ende dieses Jahres nicht erneuert wird, erhält Ungarn vom 1. Januar 1918
ab seine volle handelspolitische Handlungsfähigkeit gegenüber dem Auslande.
"Formell steht heute in handelspolitischen Fragen Österreich der ungarischen
Reichshälfte nicht viel näher als Deutschland over irgendein anderer auswärtiger
Staat." (Stolper). Wie weit sind wir von dem mitteleuropäischen Oberstaate
entfernt, wenn selbst Österreich und Ungarn, die wir gewöhnt sind als ein ge¬
schlossenes Ganzes anzusprechen, noch nicht weiter auf wirtschaftlichem Gebiete
miteinander gekommen sind, als wie wir es hier sehen?!

Zu einem besonderen Optimismus ermuntert! solche Verhältnisse gewiß
nicht. Aber sie sollten auch nicht zu einem Nerven fressenden Pessimismus
verleiten. Gut Ding will Weile haben! Hat der Krieg bei den drei be¬
teiligten Staaten die Erkenntnis geweckt, daß sie auf Gedeih und Verderb
wirtschaftlich aneinander gekettet sind, fo wird sich auch ein Weg zum Aus¬
gleich durch Verhandlungen finden, sofern es nicht den Gegnern des Zusammen¬
schlusses gelingt, die Verhandlungen mit Stoffen zu belasten, die diese nicht
mehr vertragen können. Es wäre darum nicht ratsam, schon jetzt in den Be¬
griff Mitteleuropa Kombinationen hineinzuarbeiten, die die Hineinbeziehung
etwa Bulgariens, der Türkei, Polens, der nordischen Staaten. Hollands und
Belgiens ins Auge faßten. Das hieße Entwicklungsstufen überspringen wollen.


Mitteleuropa

gewiesenen Ziele, so bescheiden es auf den- ersten Blick anmutet, ein unendlich
dornenvoller, langwieriger Weg sührt. Die Hoffnung, daß ein mitteleuropäischer
Oberstaat als Ergebnis dieses Ringens ähnlich dem Deutschen Reiche fertig vor
uns auferstehen könnte, schwindet vollends, wenn wir die vorhandenen Grund¬
lagen scharf ins Auge fassen. Da ist allerdings in erster Linie die deutsch¬
österreichisch-ungarische Waffenbrüderschaft, die sich durch drei Jahre bewährte
und jetzt mit den Siegen in Rumänien, Podolien und Wolhrmicn so herrliche
Erfolgs zeitigt. Aber das ist zunächst einmal alles. Und so viel sie auch
menschlich für alle Feldsoldaten bedeuten möge, ist diese Waffenbrüderschaft fast
bedeutungslos für die Fragen, auf die es zunächst und in allererster Reihe
ankommt, Fragen, die überdies von Männern entschieden werden, denen es nie
vernorrt war, die Waffenbrüderschaft in der Schlacht kennen zu lernen. Als
die Kaiserproklamation von Versailles erfolgte, waren alle die Vorstadien zur
Einigung der deutschen Stämme und Staaten bereits in dem deutschen Zoll¬
verein überwunden, die wir uns jetzt für den neuen Oberstaat erst zu schaffen an¬
schicken. Zwischen Deutschland und Österreich besteht eigentlich nur der gute
Wille, sich zusammenzutun. Wie ist's aber mit Ungarn? Die im ungarischen
Reichstage vertretenen Parteien stehen, wenn Stolper recht hat, ohne Unterschied
auf dem staatsrechtlichen Standpunkte des souveränen ungarischen National¬
staates, „der insbesondere die völlige Selbständigkeit Ungarns in der äußeren
Handelspolitik betont." Wurde doch von Ungarn sogar die Verlängerung des
bis 19V7 geltenden Zoll- und Handelslumdmsses mit Österreich abgelehnt!
Für den Fall, daß der an Stelle des Bündnisses geschlossene Handelsvertrag
bis Ende dieses Jahres nicht erneuert wird, erhält Ungarn vom 1. Januar 1918
ab seine volle handelspolitische Handlungsfähigkeit gegenüber dem Auslande.
„Formell steht heute in handelspolitischen Fragen Österreich der ungarischen
Reichshälfte nicht viel näher als Deutschland over irgendein anderer auswärtiger
Staat." (Stolper). Wie weit sind wir von dem mitteleuropäischen Oberstaate
entfernt, wenn selbst Österreich und Ungarn, die wir gewöhnt sind als ein ge¬
schlossenes Ganzes anzusprechen, noch nicht weiter auf wirtschaftlichem Gebiete
miteinander gekommen sind, als wie wir es hier sehen?!

Zu einem besonderen Optimismus ermuntert! solche Verhältnisse gewiß
nicht. Aber sie sollten auch nicht zu einem Nerven fressenden Pessimismus
verleiten. Gut Ding will Weile haben! Hat der Krieg bei den drei be¬
teiligten Staaten die Erkenntnis geweckt, daß sie auf Gedeih und Verderb
wirtschaftlich aneinander gekettet sind, fo wird sich auch ein Weg zum Aus¬
gleich durch Verhandlungen finden, sofern es nicht den Gegnern des Zusammen¬
schlusses gelingt, die Verhandlungen mit Stoffen zu belasten, die diese nicht
mehr vertragen können. Es wäre darum nicht ratsam, schon jetzt in den Be¬
griff Mitteleuropa Kombinationen hineinzuarbeiten, die die Hineinbeziehung
etwa Bulgariens, der Türkei, Polens, der nordischen Staaten. Hollands und
Belgiens ins Auge faßten. Das hieße Entwicklungsstufen überspringen wollen.


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[0240] Mitteleuropa gewiesenen Ziele, so bescheiden es auf den- ersten Blick anmutet, ein unendlich dornenvoller, langwieriger Weg sührt. Die Hoffnung, daß ein mitteleuropäischer Oberstaat als Ergebnis dieses Ringens ähnlich dem Deutschen Reiche fertig vor uns auferstehen könnte, schwindet vollends, wenn wir die vorhandenen Grund¬ lagen scharf ins Auge fassen. Da ist allerdings in erster Linie die deutsch¬ österreichisch-ungarische Waffenbrüderschaft, die sich durch drei Jahre bewährte und jetzt mit den Siegen in Rumänien, Podolien und Wolhrmicn so herrliche Erfolgs zeitigt. Aber das ist zunächst einmal alles. Und so viel sie auch menschlich für alle Feldsoldaten bedeuten möge, ist diese Waffenbrüderschaft fast bedeutungslos für die Fragen, auf die es zunächst und in allererster Reihe ankommt, Fragen, die überdies von Männern entschieden werden, denen es nie vernorrt war, die Waffenbrüderschaft in der Schlacht kennen zu lernen. Als die Kaiserproklamation von Versailles erfolgte, waren alle die Vorstadien zur Einigung der deutschen Stämme und Staaten bereits in dem deutschen Zoll¬ verein überwunden, die wir uns jetzt für den neuen Oberstaat erst zu schaffen an¬ schicken. Zwischen Deutschland und Österreich besteht eigentlich nur der gute Wille, sich zusammenzutun. Wie ist's aber mit Ungarn? Die im ungarischen Reichstage vertretenen Parteien stehen, wenn Stolper recht hat, ohne Unterschied auf dem staatsrechtlichen Standpunkte des souveränen ungarischen National¬ staates, „der insbesondere die völlige Selbständigkeit Ungarns in der äußeren Handelspolitik betont." Wurde doch von Ungarn sogar die Verlängerung des bis 19V7 geltenden Zoll- und Handelslumdmsses mit Österreich abgelehnt! Für den Fall, daß der an Stelle des Bündnisses geschlossene Handelsvertrag bis Ende dieses Jahres nicht erneuert wird, erhält Ungarn vom 1. Januar 1918 ab seine volle handelspolitische Handlungsfähigkeit gegenüber dem Auslande. „Formell steht heute in handelspolitischen Fragen Österreich der ungarischen Reichshälfte nicht viel näher als Deutschland over irgendein anderer auswärtiger Staat." (Stolper). Wie weit sind wir von dem mitteleuropäischen Oberstaate entfernt, wenn selbst Österreich und Ungarn, die wir gewöhnt sind als ein ge¬ schlossenes Ganzes anzusprechen, noch nicht weiter auf wirtschaftlichem Gebiete miteinander gekommen sind, als wie wir es hier sehen?! Zu einem besonderen Optimismus ermuntert! solche Verhältnisse gewiß nicht. Aber sie sollten auch nicht zu einem Nerven fressenden Pessimismus verleiten. Gut Ding will Weile haben! Hat der Krieg bei den drei be¬ teiligten Staaten die Erkenntnis geweckt, daß sie auf Gedeih und Verderb wirtschaftlich aneinander gekettet sind, fo wird sich auch ein Weg zum Aus¬ gleich durch Verhandlungen finden, sofern es nicht den Gegnern des Zusammen¬ schlusses gelingt, die Verhandlungen mit Stoffen zu belasten, die diese nicht mehr vertragen können. Es wäre darum nicht ratsam, schon jetzt in den Be¬ griff Mitteleuropa Kombinationen hineinzuarbeiten, die die Hineinbeziehung etwa Bulgariens, der Türkei, Polens, der nordischen Staaten. Hollands und Belgiens ins Auge faßten. Das hieße Entwicklungsstufen überspringen wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/240>, abgerufen am 01.07.2024.