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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Mitteleuropa

mittleren Mächte mehr große Politik machen können. Unsere Onantitätsbegriffe
haben sich gewaltig verändert. Nur ganz große Staaten haben noch etwas
Eigenes zu bedeuten, alle Kleineren leben von der Ausnutzung des Streites
der Großen oder müssen sich Erlaubnis holen, wenn sie eine ungewohnte Be¬
wegung machen wollen. Die Souveränität, d. h. die Freiheit der weltgeschicht¬
lichen Entschließung, hat sich an ganz wenigen Stellen ans der Erdkugel ge¬
sammelt. Noch ist der Tag fern, wo "eine Herde und ein Hirt" sein wird,
aber die Tage sind vorbei, wo zahllose kleine und mittelgroße Hirten ihre
Herden ungeregelt über die Triften Europas trieben. Der Geist des Gro߬
betriebes und der überstaatlichen Organisation hat die Politik erfaßt. Man
denkt, wie einst Cecil Rhodes sich ausdrückte, in Erdteilen. Wer klein und
allein sein will, wird trotzdem von selber mit abhängig von den Lageverände¬
rungen der großen Mächte. Das folgt aus dem Zeitalter des Verkehrs und
aus der zentralen Technik der Heere. Wer unverbündet ist, ist isoliert; wer
isoliert ist, ist gefährdet. In dieser heraufziehenden Geschichtsperiode der
Staatenverbände und Massenstaaten ist Preußen zu klein und Deutschland zu
klein, und Österreich zu klein und Ungarn zu klein . . . Darum ist heute der
mitteleuropäische Bund kein Zufall, sondern eine Notwendigkeit." Arthur
Spiethoff tritt vom Standpunkt des Volkswirtes an das Problem: "Die
Völker, Staaten und Volkswirtschaften sind in eine so von Grund aus neue
Lage versetzt, daß ein Festhalten an den alten Gedankengängen und Be¬
strebungen verhängnisvoll werden müßte. Die alles beherrschende neue Tat¬
sache ist die kriegerische und in noch größerem Umkreis die wirtschaftliche
Vereinigung der mächtigsten Staaten gegen die Mittelmächte. Diesem
Machtaufgebot kann mit der alten Verfafsungsordnung der Kräfte
auf die Dauer nicht Widerstand geleistet werden. Täusche man sich
nicht über das schließliche Machtverhültnis und die Bedeutung der
Organisation. Die Mittelmächte haben die Berennung ausgehalten,
weil sie in ihrer Einzelorganisation überlegen waren. Sie werden auf diesem
Weg keiner nennenswerten Steigerung ihrer Kraftentfaltung mehr fähig sein,
während ihre Gegner hier noch große schlummernde Rücklagen in Bewegung
bringen können. Den Machtzuwachs müssen die Mittelmächte im Ausbau ihrer
besonderen Leistungsfähigkeiten und deren Zusammenwirken suchen. Unter diesen
obersten Gesichtspunkt fällt auch der Zollverband. Die Volkswirtschaften des
Zweibundes können durch Einzelentwicklung nichts Wesentliches mehr erreichen____
Als verbundene Teile einer gemeinsamen Großunternehmung müssen sie neue
Entfaltungsmöglichkeiten suchen. Und wer dies erkannt hat und für eine Be¬
dingung der Daseinsbehauptung hält, wird vieles, was ihm früher sehr wichtig
M kleinen Kreise dünkte, jetzt gegenüber dem großen, neuen Ziele zurück¬
treten lassen____"

Je mehr wir uns in die Zusammenhänge des mitteleuropäischen Problems
vertiefen, um so mehr werden wir inne, daß zu dem von Naumann und Spieihof


is"
Mitteleuropa

mittleren Mächte mehr große Politik machen können. Unsere Onantitätsbegriffe
haben sich gewaltig verändert. Nur ganz große Staaten haben noch etwas
Eigenes zu bedeuten, alle Kleineren leben von der Ausnutzung des Streites
der Großen oder müssen sich Erlaubnis holen, wenn sie eine ungewohnte Be¬
wegung machen wollen. Die Souveränität, d. h. die Freiheit der weltgeschicht¬
lichen Entschließung, hat sich an ganz wenigen Stellen ans der Erdkugel ge¬
sammelt. Noch ist der Tag fern, wo „eine Herde und ein Hirt" sein wird,
aber die Tage sind vorbei, wo zahllose kleine und mittelgroße Hirten ihre
Herden ungeregelt über die Triften Europas trieben. Der Geist des Gro߬
betriebes und der überstaatlichen Organisation hat die Politik erfaßt. Man
denkt, wie einst Cecil Rhodes sich ausdrückte, in Erdteilen. Wer klein und
allein sein will, wird trotzdem von selber mit abhängig von den Lageverände¬
rungen der großen Mächte. Das folgt aus dem Zeitalter des Verkehrs und
aus der zentralen Technik der Heere. Wer unverbündet ist, ist isoliert; wer
isoliert ist, ist gefährdet. In dieser heraufziehenden Geschichtsperiode der
Staatenverbände und Massenstaaten ist Preußen zu klein und Deutschland zu
klein, und Österreich zu klein und Ungarn zu klein . . . Darum ist heute der
mitteleuropäische Bund kein Zufall, sondern eine Notwendigkeit." Arthur
Spiethoff tritt vom Standpunkt des Volkswirtes an das Problem: „Die
Völker, Staaten und Volkswirtschaften sind in eine so von Grund aus neue
Lage versetzt, daß ein Festhalten an den alten Gedankengängen und Be¬
strebungen verhängnisvoll werden müßte. Die alles beherrschende neue Tat¬
sache ist die kriegerische und in noch größerem Umkreis die wirtschaftliche
Vereinigung der mächtigsten Staaten gegen die Mittelmächte. Diesem
Machtaufgebot kann mit der alten Verfafsungsordnung der Kräfte
auf die Dauer nicht Widerstand geleistet werden. Täusche man sich
nicht über das schließliche Machtverhültnis und die Bedeutung der
Organisation. Die Mittelmächte haben die Berennung ausgehalten,
weil sie in ihrer Einzelorganisation überlegen waren. Sie werden auf diesem
Weg keiner nennenswerten Steigerung ihrer Kraftentfaltung mehr fähig sein,
während ihre Gegner hier noch große schlummernde Rücklagen in Bewegung
bringen können. Den Machtzuwachs müssen die Mittelmächte im Ausbau ihrer
besonderen Leistungsfähigkeiten und deren Zusammenwirken suchen. Unter diesen
obersten Gesichtspunkt fällt auch der Zollverband. Die Volkswirtschaften des
Zweibundes können durch Einzelentwicklung nichts Wesentliches mehr erreichen____
Als verbundene Teile einer gemeinsamen Großunternehmung müssen sie neue
Entfaltungsmöglichkeiten suchen. Und wer dies erkannt hat und für eine Be¬
dingung der Daseinsbehauptung hält, wird vieles, was ihm früher sehr wichtig
M kleinen Kreise dünkte, jetzt gegenüber dem großen, neuen Ziele zurück¬
treten lassen____"

Je mehr wir uns in die Zusammenhänge des mitteleuropäischen Problems
vertiefen, um so mehr werden wir inne, daß zu dem von Naumann und Spieihof


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[0239] Mitteleuropa mittleren Mächte mehr große Politik machen können. Unsere Onantitätsbegriffe haben sich gewaltig verändert. Nur ganz große Staaten haben noch etwas Eigenes zu bedeuten, alle Kleineren leben von der Ausnutzung des Streites der Großen oder müssen sich Erlaubnis holen, wenn sie eine ungewohnte Be¬ wegung machen wollen. Die Souveränität, d. h. die Freiheit der weltgeschicht¬ lichen Entschließung, hat sich an ganz wenigen Stellen ans der Erdkugel ge¬ sammelt. Noch ist der Tag fern, wo „eine Herde und ein Hirt" sein wird, aber die Tage sind vorbei, wo zahllose kleine und mittelgroße Hirten ihre Herden ungeregelt über die Triften Europas trieben. Der Geist des Gro߬ betriebes und der überstaatlichen Organisation hat die Politik erfaßt. Man denkt, wie einst Cecil Rhodes sich ausdrückte, in Erdteilen. Wer klein und allein sein will, wird trotzdem von selber mit abhängig von den Lageverände¬ rungen der großen Mächte. Das folgt aus dem Zeitalter des Verkehrs und aus der zentralen Technik der Heere. Wer unverbündet ist, ist isoliert; wer isoliert ist, ist gefährdet. In dieser heraufziehenden Geschichtsperiode der Staatenverbände und Massenstaaten ist Preußen zu klein und Deutschland zu klein, und Österreich zu klein und Ungarn zu klein . . . Darum ist heute der mitteleuropäische Bund kein Zufall, sondern eine Notwendigkeit." Arthur Spiethoff tritt vom Standpunkt des Volkswirtes an das Problem: „Die Völker, Staaten und Volkswirtschaften sind in eine so von Grund aus neue Lage versetzt, daß ein Festhalten an den alten Gedankengängen und Be¬ strebungen verhängnisvoll werden müßte. Die alles beherrschende neue Tat¬ sache ist die kriegerische und in noch größerem Umkreis die wirtschaftliche Vereinigung der mächtigsten Staaten gegen die Mittelmächte. Diesem Machtaufgebot kann mit der alten Verfafsungsordnung der Kräfte auf die Dauer nicht Widerstand geleistet werden. Täusche man sich nicht über das schließliche Machtverhültnis und die Bedeutung der Organisation. Die Mittelmächte haben die Berennung ausgehalten, weil sie in ihrer Einzelorganisation überlegen waren. Sie werden auf diesem Weg keiner nennenswerten Steigerung ihrer Kraftentfaltung mehr fähig sein, während ihre Gegner hier noch große schlummernde Rücklagen in Bewegung bringen können. Den Machtzuwachs müssen die Mittelmächte im Ausbau ihrer besonderen Leistungsfähigkeiten und deren Zusammenwirken suchen. Unter diesen obersten Gesichtspunkt fällt auch der Zollverband. Die Volkswirtschaften des Zweibundes können durch Einzelentwicklung nichts Wesentliches mehr erreichen____ Als verbundene Teile einer gemeinsamen Großunternehmung müssen sie neue Entfaltungsmöglichkeiten suchen. Und wer dies erkannt hat und für eine Be¬ dingung der Daseinsbehauptung hält, wird vieles, was ihm früher sehr wichtig M kleinen Kreise dünkte, jetzt gegenüber dem großen, neuen Ziele zurück¬ treten lassen____" Je mehr wir uns in die Zusammenhänge des mitteleuropäischen Problems vertiefen, um so mehr werden wir inne, daß zu dem von Naumann und Spieihof is»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/239>, abgerufen am 01.07.2024.