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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Gobineaus Lebensbild

liebe Hälfte fällt. Daß unter diesen Umständen das aufkeimende edle
Freundschaftsverhältnis der Gräfin La Tour zu dem auch körperlich schwer
leidenden und finanziell arg mitgenommenen Manne üblen Mißdeutungen
ausgesetzt war, liegt zu sehr im Wesen der Welt, als daß man sich
darüber verwundern dürfte, Eben jene schwere Spätzeit ist es aber, die gerade
den Gobineau zeitigt, der in Deutschland vor allem Boden gefunden hat.
1874 tritt der eigenartige Roman "Die Plejaden" hervor, in dem sich der
individualaristokratische Gedanke neben den rassearistokratischen stellt, 1876 "Die
Astatischen Novellen", würdige Nachfolgerinnen der ausgezeichneten Souvenirs
as VovaM von 1872, und 1877 endlich Gobineaus Meisterwerk, die Renaissance,
welcher der Biograph eine besonders eingehende Würdigung zuteil werden läßt.
Von seiner eigenen früheren Auffassung, als habe Gobineau, etwa im Sinne
Wagners, in seinem Werk gleichsam über die Renaissancezeit zu Gericht gesessen,
rückt Schemcmn dabei mit voller Unbefangenheit ab und rühmt statt dessen mit
gutem Fug der Dichtung eben die Mischung von reiner Objektivität und ein¬
dringender Liebe nach, die Gobineaus gelehrte Werke oft so schmerzlich vermissen
lassen. Die verschiedenen Einwirkungen, insonderheit die von Vitets historischen
Szenen l^g, llZue werden kundig und sicher ausgewiesen, und aus dem übrigen
sei wenigstens noch die eine wesentliche Feststellung hervorgehoben, daß Gobineaus
Werk früher fällt als seine wirkliche Kenntnis Italiens, ein Beispiel von kräftiger
Intuition, das seinesgleichen suchen dürfte.

Auf die schroffe Verabschiedung Gobineaus im Jahre 1877 fällt viel neues
Licht. Die inneren Gründe dafür liegen wohl in seiner ganzen Entwicklung
seit 1870, unter den äußeren mag auch die 1876 mit dem Kaiser Dom Pedro
und auf dessen Wunsch unternommene Reise nach Rußland und in den Orient
eine Rolle gespielt haben, die. obwohl von dem Fürsten selbst gewünscht, in
Paris als ein etwas seltsames Unternehmen für einen Gesandten verstimmt zu
haben scheint. Gobineaus weiteres Leben, vorwiegend der Plastik geweiht,
spielt sich in der Hauptsache auf italienischem Boden ab. Höchst beachtenswert
ist dabei, daß weder in dem Mailänder Freundeskreis noch bei den Berührungen
mit der internationalen Welt von Rom das französische Element irgendwie
ernstlich in Betracht kommt. Dementsprechend läuft auch die Schrift über die
Dritte Republik und ihren Wert (1877. Druck erst 1907) selbst in der Betrachtung
der monarchistischen Parteien vorwiegend auf Negatives hinaus, demgegenüber
der gegen Schluß von neuem auftauchende Provinzgedanke keine hinreichende
Kraft besitzt, während die Arbeit über das Neugriechische Königreich aus dem
folgenden Jahre (Correspondent 1878, Neudruck in veux Ltucles sur ig, (ZreLS
moclerris 1905) die Neugriechen mit überraschendem Wohlwollen behandelt und
seine beißende Ironie lediglich an die Verständnislosigkeit Europas verschwendet.
Zwei kleinere Arbeiten weisen, namentlich für unfere Tage eindrucksvoll, auf
die schwerdroheuden Gefahren des russischen und des mongolischen Ostens so.
und die seltsame Geschichte Ottar Jarls -- des norwegischen Wikings, in


Gobineaus Lebensbild

liebe Hälfte fällt. Daß unter diesen Umständen das aufkeimende edle
Freundschaftsverhältnis der Gräfin La Tour zu dem auch körperlich schwer
leidenden und finanziell arg mitgenommenen Manne üblen Mißdeutungen
ausgesetzt war, liegt zu sehr im Wesen der Welt, als daß man sich
darüber verwundern dürfte, Eben jene schwere Spätzeit ist es aber, die gerade
den Gobineau zeitigt, der in Deutschland vor allem Boden gefunden hat.
1874 tritt der eigenartige Roman „Die Plejaden" hervor, in dem sich der
individualaristokratische Gedanke neben den rassearistokratischen stellt, 1876 „Die
Astatischen Novellen", würdige Nachfolgerinnen der ausgezeichneten Souvenirs
as VovaM von 1872, und 1877 endlich Gobineaus Meisterwerk, die Renaissance,
welcher der Biograph eine besonders eingehende Würdigung zuteil werden läßt.
Von seiner eigenen früheren Auffassung, als habe Gobineau, etwa im Sinne
Wagners, in seinem Werk gleichsam über die Renaissancezeit zu Gericht gesessen,
rückt Schemcmn dabei mit voller Unbefangenheit ab und rühmt statt dessen mit
gutem Fug der Dichtung eben die Mischung von reiner Objektivität und ein¬
dringender Liebe nach, die Gobineaus gelehrte Werke oft so schmerzlich vermissen
lassen. Die verschiedenen Einwirkungen, insonderheit die von Vitets historischen
Szenen l^g, llZue werden kundig und sicher ausgewiesen, und aus dem übrigen
sei wenigstens noch die eine wesentliche Feststellung hervorgehoben, daß Gobineaus
Werk früher fällt als seine wirkliche Kenntnis Italiens, ein Beispiel von kräftiger
Intuition, das seinesgleichen suchen dürfte.

Auf die schroffe Verabschiedung Gobineaus im Jahre 1877 fällt viel neues
Licht. Die inneren Gründe dafür liegen wohl in seiner ganzen Entwicklung
seit 1870, unter den äußeren mag auch die 1876 mit dem Kaiser Dom Pedro
und auf dessen Wunsch unternommene Reise nach Rußland und in den Orient
eine Rolle gespielt haben, die. obwohl von dem Fürsten selbst gewünscht, in
Paris als ein etwas seltsames Unternehmen für einen Gesandten verstimmt zu
haben scheint. Gobineaus weiteres Leben, vorwiegend der Plastik geweiht,
spielt sich in der Hauptsache auf italienischem Boden ab. Höchst beachtenswert
ist dabei, daß weder in dem Mailänder Freundeskreis noch bei den Berührungen
mit der internationalen Welt von Rom das französische Element irgendwie
ernstlich in Betracht kommt. Dementsprechend läuft auch die Schrift über die
Dritte Republik und ihren Wert (1877. Druck erst 1907) selbst in der Betrachtung
der monarchistischen Parteien vorwiegend auf Negatives hinaus, demgegenüber
der gegen Schluß von neuem auftauchende Provinzgedanke keine hinreichende
Kraft besitzt, während die Arbeit über das Neugriechische Königreich aus dem
folgenden Jahre (Correspondent 1878, Neudruck in veux Ltucles sur ig, (ZreLS
moclerris 1905) die Neugriechen mit überraschendem Wohlwollen behandelt und
seine beißende Ironie lediglich an die Verständnislosigkeit Europas verschwendet.
Zwei kleinere Arbeiten weisen, namentlich für unfere Tage eindrucksvoll, auf
die schwerdroheuden Gefahren des russischen und des mongolischen Ostens so.
und die seltsame Geschichte Ottar Jarls — des norwegischen Wikings, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/230>, abgerufen am 01.07.2024.