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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Gobineaus Lebensbild

welchem Gobineau mit handgreiflichster Unberechtigung seinen Ahnherrn zu er¬
kennen glaubte -- und seiner Nachkommenschaft (1879). vermittelt uns neben
manchem anderen Lehrreichen besonders deutlich die Erkenntnis, daß die Germanen¬
vorliebe des späten Gobineau mit einer wachsenden Abneigung gegen das
sogenannte Lateinertum Hand in Hand ging. Überhaupt tritt das Anthro¬
pologische in diesen Schriften der letzten Zeit wieder stark hervor.

Auf den immer einsameren Weg des alternden Dichters und Denkers fällt
gegen Ende noch einmal ein Heller Schein dank der Verbindung mit Richard
Wagner, die in den beiden Bayreuther Aufenthalten Gobineaus gipfeln und
denen sich zwei Besuche auf Schloß Chamöane in der Auvergne bei der Gräfin
La Tour zur Seite stellen. Alsdann überrascht der Tod den Nimmermüden
in erschreckender Einsamkeit; zum Sterberaum wird ihm 1882 ein Gasthof¬
zimmer zu Turin, das er als Durchreisender bezogen hatte.

Sehr feinsinnig ist es, daß Schemann die Würdigung von Gobineaus
letzter gewaltiger Dichtung erst seinem Ende folgen läßt; bedeutet doch der
Amadis (1887) eine Art Vermächtnis seines Verfassers, der hier noch einmal
seinen rassischen Lieblingsgedanken und seinen düsteren Zukunftsahnungen künstle¬
rischen Ausdruck leiht. Ewig schade, daß dieses Bekenntnis eines heldenhaften
Pessimismus in Frankreich keine Gegenliebe und in Deutschland keinen voll¬
wertigen Übersetzer finden will. Um so dankenswerter sind aber Schemanns
gründliche und feinsinnige Ausführungen über das Werk, die nicht nur Fragen
wie etwa die nach dem Verhältnis zum spanischen Amadis-Roman erfreulich
klären, sondern auch dem Gedankengehalt und der nicht immer einwandfreien
Formgebung reichlich gerecht werden. Ob freilich jeder die unverkennbare Vor¬
liebe Schemanns für den ersten, bereits 1876 hervorgetretenen der drei Teile
sich zu eigen machen wird, will mir fraglich scheinen. Ich meinerseits möchte
jedenfalls gerade den Partien, in welchen der Verfasser, alte Bande der Über¬
lieferung sprengend, die alte Fabel vollbewußt zum Ausdruck seiner Weltansicht
macht, trotz alles dessen, was Schemann "gewollte Unwirklichkeit" nennt, ganz
ungleich höher bewerten. Zu so kühnen Höhen sich Gobineaus Phantasie hier
auch versteigen mag, sie bleibt immer zwingend und überzeugend.

Auf den Schluß der Biographie, eine überaus kundige und tief eindringende
Gesamtwürdigung Gobineaus unter den verschiedensten Gesichtspunkten, näher
einzugehen, verbietet leider der Raum. Demnach nur noch ein kurzes Schlu߬
wort. Fritz Friedrich, der uns 1906 einen Band ungewöhnlich klarer und
besonnener Studien über Gobineau beschert hat, hat gelegentlich an anderer
Stelle inbezug auf seinen Helden den Ausspruch getan: "Vielleicht kommt
noch die Zeit, wo man von ihm, wie heute von Schiller, sagen wird: Das
Allerschönste, was er uns geschenkt hat, ist doch sein Leben gewesen." Ich glaube
Schemann kein besseres Lob spenden zu können, als daß diese Zeit mit seiner
Biographie angebrochen ist.




Gobineaus Lebensbild

welchem Gobineau mit handgreiflichster Unberechtigung seinen Ahnherrn zu er¬
kennen glaubte — und seiner Nachkommenschaft (1879). vermittelt uns neben
manchem anderen Lehrreichen besonders deutlich die Erkenntnis, daß die Germanen¬
vorliebe des späten Gobineau mit einer wachsenden Abneigung gegen das
sogenannte Lateinertum Hand in Hand ging. Überhaupt tritt das Anthro¬
pologische in diesen Schriften der letzten Zeit wieder stark hervor.

Auf den immer einsameren Weg des alternden Dichters und Denkers fällt
gegen Ende noch einmal ein Heller Schein dank der Verbindung mit Richard
Wagner, die in den beiden Bayreuther Aufenthalten Gobineaus gipfeln und
denen sich zwei Besuche auf Schloß Chamöane in der Auvergne bei der Gräfin
La Tour zur Seite stellen. Alsdann überrascht der Tod den Nimmermüden
in erschreckender Einsamkeit; zum Sterberaum wird ihm 1882 ein Gasthof¬
zimmer zu Turin, das er als Durchreisender bezogen hatte.

Sehr feinsinnig ist es, daß Schemann die Würdigung von Gobineaus
letzter gewaltiger Dichtung erst seinem Ende folgen läßt; bedeutet doch der
Amadis (1887) eine Art Vermächtnis seines Verfassers, der hier noch einmal
seinen rassischen Lieblingsgedanken und seinen düsteren Zukunftsahnungen künstle¬
rischen Ausdruck leiht. Ewig schade, daß dieses Bekenntnis eines heldenhaften
Pessimismus in Frankreich keine Gegenliebe und in Deutschland keinen voll¬
wertigen Übersetzer finden will. Um so dankenswerter sind aber Schemanns
gründliche und feinsinnige Ausführungen über das Werk, die nicht nur Fragen
wie etwa die nach dem Verhältnis zum spanischen Amadis-Roman erfreulich
klären, sondern auch dem Gedankengehalt und der nicht immer einwandfreien
Formgebung reichlich gerecht werden. Ob freilich jeder die unverkennbare Vor¬
liebe Schemanns für den ersten, bereits 1876 hervorgetretenen der drei Teile
sich zu eigen machen wird, will mir fraglich scheinen. Ich meinerseits möchte
jedenfalls gerade den Partien, in welchen der Verfasser, alte Bande der Über¬
lieferung sprengend, die alte Fabel vollbewußt zum Ausdruck seiner Weltansicht
macht, trotz alles dessen, was Schemann „gewollte Unwirklichkeit" nennt, ganz
ungleich höher bewerten. Zu so kühnen Höhen sich Gobineaus Phantasie hier
auch versteigen mag, sie bleibt immer zwingend und überzeugend.

Auf den Schluß der Biographie, eine überaus kundige und tief eindringende
Gesamtwürdigung Gobineaus unter den verschiedensten Gesichtspunkten, näher
einzugehen, verbietet leider der Raum. Demnach nur noch ein kurzes Schlu߬
wort. Fritz Friedrich, der uns 1906 einen Band ungewöhnlich klarer und
besonnener Studien über Gobineau beschert hat, hat gelegentlich an anderer
Stelle inbezug auf seinen Helden den Ausspruch getan: „Vielleicht kommt
noch die Zeit, wo man von ihm, wie heute von Schiller, sagen wird: Das
Allerschönste, was er uns geschenkt hat, ist doch sein Leben gewesen." Ich glaube
Schemann kein besseres Lob spenden zu können, als daß diese Zeit mit seiner
Biographie angebrochen ist.




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[0231] Gobineaus Lebensbild welchem Gobineau mit handgreiflichster Unberechtigung seinen Ahnherrn zu er¬ kennen glaubte — und seiner Nachkommenschaft (1879). vermittelt uns neben manchem anderen Lehrreichen besonders deutlich die Erkenntnis, daß die Germanen¬ vorliebe des späten Gobineau mit einer wachsenden Abneigung gegen das sogenannte Lateinertum Hand in Hand ging. Überhaupt tritt das Anthro¬ pologische in diesen Schriften der letzten Zeit wieder stark hervor. Auf den immer einsameren Weg des alternden Dichters und Denkers fällt gegen Ende noch einmal ein Heller Schein dank der Verbindung mit Richard Wagner, die in den beiden Bayreuther Aufenthalten Gobineaus gipfeln und denen sich zwei Besuche auf Schloß Chamöane in der Auvergne bei der Gräfin La Tour zur Seite stellen. Alsdann überrascht der Tod den Nimmermüden in erschreckender Einsamkeit; zum Sterberaum wird ihm 1882 ein Gasthof¬ zimmer zu Turin, das er als Durchreisender bezogen hatte. Sehr feinsinnig ist es, daß Schemann die Würdigung von Gobineaus letzter gewaltiger Dichtung erst seinem Ende folgen läßt; bedeutet doch der Amadis (1887) eine Art Vermächtnis seines Verfassers, der hier noch einmal seinen rassischen Lieblingsgedanken und seinen düsteren Zukunftsahnungen künstle¬ rischen Ausdruck leiht. Ewig schade, daß dieses Bekenntnis eines heldenhaften Pessimismus in Frankreich keine Gegenliebe und in Deutschland keinen voll¬ wertigen Übersetzer finden will. Um so dankenswerter sind aber Schemanns gründliche und feinsinnige Ausführungen über das Werk, die nicht nur Fragen wie etwa die nach dem Verhältnis zum spanischen Amadis-Roman erfreulich klären, sondern auch dem Gedankengehalt und der nicht immer einwandfreien Formgebung reichlich gerecht werden. Ob freilich jeder die unverkennbare Vor¬ liebe Schemanns für den ersten, bereits 1876 hervorgetretenen der drei Teile sich zu eigen machen wird, will mir fraglich scheinen. Ich meinerseits möchte jedenfalls gerade den Partien, in welchen der Verfasser, alte Bande der Über¬ lieferung sprengend, die alte Fabel vollbewußt zum Ausdruck seiner Weltansicht macht, trotz alles dessen, was Schemann „gewollte Unwirklichkeit" nennt, ganz ungleich höher bewerten. Zu so kühnen Höhen sich Gobineaus Phantasie hier auch versteigen mag, sie bleibt immer zwingend und überzeugend. Auf den Schluß der Biographie, eine überaus kundige und tief eindringende Gesamtwürdigung Gobineaus unter den verschiedensten Gesichtspunkten, näher einzugehen, verbietet leider der Raum. Demnach nur noch ein kurzes Schlu߬ wort. Fritz Friedrich, der uns 1906 einen Band ungewöhnlich klarer und besonnener Studien über Gobineau beschert hat, hat gelegentlich an anderer Stelle inbezug auf seinen Helden den Ausspruch getan: „Vielleicht kommt noch die Zeit, wo man von ihm, wie heute von Schiller, sagen wird: Das Allerschönste, was er uns geschenkt hat, ist doch sein Leben gewesen." Ich glaube Schemann kein besseres Lob spenden zu können, als daß diese Zeit mit seiner Biographie angebrochen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/231>, abgerufen am 01.07.2024.