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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Gobineaus Lebensbild

darf der Hinweis darauf gelten, wie Gobineau der Rassengedanke aus der
Dreiheit Familiengedanke, Provinzgedanke und germanisches Bewußtsein erwächst-

Die beiden Aufenthalte Gobineaus in Persien, 1855 bis 1853 als Gesandt¬
schaftsSekretär, 1861 bis 1863 als selbständiger Vertreter Frankreichs, zeigen
den reifenden Diplomaten in enger Fühlung mit dem Lieblingslande seiner
Jugend, dem Orient. Treffend hebt Schemann bei dieser Gelegenheit die
besonders glücklich entwickelten Zuschauertalente Gobineaus hervor, die Un¬
befangenheit und Laune, mit der er sich den fremden Eindrücken hinzugeben
und Land und Leute richtig zu nehmen weiß, den unermüdlichen Eifer, mit
dem er in Zustände und Gedankenwelt seiner Umgebung einzudringen sucht.
Den Ertrag seiner Bemühungen spiegelt das entzückende Reisewerk "Drei Jahre
in Asien" (1859), das sich in seiner zweiten Hälfte bereits als Vorläufer des
schwerwiegenderen Buches über die zentralasiatischen Religionen und Philosophien
(1865) darstellt, durch welches die westliche Welt zum erstenmal Näheres über
die jüngste der persischen Religionen, den Babismus, erfuhr und das ihr zu¬
gleich das ebenfalls auffallend jugendliche persische Theater vorstellte. Während
Schemann hier mit seiner Anerkennung nicht zu kargen braucht, gibt er dagegen
Gobineaus heiße Bemühungen um eine selbständige Lesung und Deutung der
Keilschriften (1864), abgesehen von den in das große Gebäude vermauerten
wertvollen Bausteinen zur Religionsgeschichte des Ostens, restlos und mit aller
Unbefangenheit preis. Sehr einleuchtend wird dieser schwere Fehlschlag nicht
zuletzt daraus erklärt, daß Gobineau seinen orientalischen Beratern und über¬
haupt der orientalischen Denkweise zu stark nachgegeben habe, was sich vielleicht
dahin erweitern ließe, daß der Orient noch beträchlich über jene Zeit hinaus-
den von Haus aus schon kräftigen Anteil der Phantasie an seinem ins Wissen¬
schaftliche einschlagenden Arbeiten in bedenklichem Maße gesteigert hat. Ganz
merkwürdig nimmt sich zwischen den beiden persischen Aufenthalten Gobineaus
des französischen Negionalisten eifrige und trotz aller Abwesenheiten durch lange
Jahre fortgesetzte Tätigkeit als Maire von Trye, an den Grenzen der Normandie,
aus, dessen Schloß er angekauft hatte, und nicht minder seltsam berührt es,
daß ihm in eben jenen Jahren die Aufgabe zufiel, an den entlegenen Grenzen
Neufundlands die Interessen der französischen Fischerei zu wahren. Auch hier
betont Schemann zutreffend Gobineaus reiche Aufnahmefähigkeit wie nicht
minder seine ehrliche Freude am Ursprünglichen, Urwüchsigen.

In Gobineaus Athener Zeit (1864 bis 1868) erblickt Schemann den
Gipfel seiner diplomatischen Tätigkeit, zugleich bereitet sich aber auch der Abstieg
vor, teils weil trotz seiner geschickten Haltung in schwieriger Lage die ersehnte
Beförderung nach Konstantinopel nicht erfolgen wollte, teils weil eben die Jahre
von Athen den Grund zu Gobineaus späterem Vermögensverfall gelegt haben,
für welchen den Ehrgeiz seiner Ehegefährtin ein gut Teil der Verantwortung
trifft. Wesentlich ist Gobineaus nunmehr erfolgende Rückkehr zur Poesie: von
dem 1869 unter dem Titel "l^pkwessa" erschienenen kleineren epischen


Gobineaus Lebensbild

darf der Hinweis darauf gelten, wie Gobineau der Rassengedanke aus der
Dreiheit Familiengedanke, Provinzgedanke und germanisches Bewußtsein erwächst-

Die beiden Aufenthalte Gobineaus in Persien, 1855 bis 1853 als Gesandt¬
schaftsSekretär, 1861 bis 1863 als selbständiger Vertreter Frankreichs, zeigen
den reifenden Diplomaten in enger Fühlung mit dem Lieblingslande seiner
Jugend, dem Orient. Treffend hebt Schemann bei dieser Gelegenheit die
besonders glücklich entwickelten Zuschauertalente Gobineaus hervor, die Un¬
befangenheit und Laune, mit der er sich den fremden Eindrücken hinzugeben
und Land und Leute richtig zu nehmen weiß, den unermüdlichen Eifer, mit
dem er in Zustände und Gedankenwelt seiner Umgebung einzudringen sucht.
Den Ertrag seiner Bemühungen spiegelt das entzückende Reisewerk „Drei Jahre
in Asien" (1859), das sich in seiner zweiten Hälfte bereits als Vorläufer des
schwerwiegenderen Buches über die zentralasiatischen Religionen und Philosophien
(1865) darstellt, durch welches die westliche Welt zum erstenmal Näheres über
die jüngste der persischen Religionen, den Babismus, erfuhr und das ihr zu¬
gleich das ebenfalls auffallend jugendliche persische Theater vorstellte. Während
Schemann hier mit seiner Anerkennung nicht zu kargen braucht, gibt er dagegen
Gobineaus heiße Bemühungen um eine selbständige Lesung und Deutung der
Keilschriften (1864), abgesehen von den in das große Gebäude vermauerten
wertvollen Bausteinen zur Religionsgeschichte des Ostens, restlos und mit aller
Unbefangenheit preis. Sehr einleuchtend wird dieser schwere Fehlschlag nicht
zuletzt daraus erklärt, daß Gobineau seinen orientalischen Beratern und über¬
haupt der orientalischen Denkweise zu stark nachgegeben habe, was sich vielleicht
dahin erweitern ließe, daß der Orient noch beträchlich über jene Zeit hinaus-
den von Haus aus schon kräftigen Anteil der Phantasie an seinem ins Wissen¬
schaftliche einschlagenden Arbeiten in bedenklichem Maße gesteigert hat. Ganz
merkwürdig nimmt sich zwischen den beiden persischen Aufenthalten Gobineaus
des französischen Negionalisten eifrige und trotz aller Abwesenheiten durch lange
Jahre fortgesetzte Tätigkeit als Maire von Trye, an den Grenzen der Normandie,
aus, dessen Schloß er angekauft hatte, und nicht minder seltsam berührt es,
daß ihm in eben jenen Jahren die Aufgabe zufiel, an den entlegenen Grenzen
Neufundlands die Interessen der französischen Fischerei zu wahren. Auch hier
betont Schemann zutreffend Gobineaus reiche Aufnahmefähigkeit wie nicht
minder seine ehrliche Freude am Ursprünglichen, Urwüchsigen.

In Gobineaus Athener Zeit (1864 bis 1868) erblickt Schemann den
Gipfel seiner diplomatischen Tätigkeit, zugleich bereitet sich aber auch der Abstieg
vor, teils weil trotz seiner geschickten Haltung in schwieriger Lage die ersehnte
Beförderung nach Konstantinopel nicht erfolgen wollte, teils weil eben die Jahre
von Athen den Grund zu Gobineaus späterem Vermögensverfall gelegt haben,
für welchen den Ehrgeiz seiner Ehegefährtin ein gut Teil der Verantwortung
trifft. Wesentlich ist Gobineaus nunmehr erfolgende Rückkehr zur Poesie: von
dem 1869 unter dem Titel „l^pkwessa" erschienenen kleineren epischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/228>, abgerufen am 01.07.2024.