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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Gobineaus Lebensbild

dem Lehrer ihrer Kinder, im Dunkel verschwindet. Der junge Aristokrat er¬
öffnet, vor dem Tode des Erbonkels (1855) ein armer Teufel, seine Laufbahn
bei einer Gasgesellschaft und arbeitet ein paar Jahre als Hilfsarbeiter für
Sprachen bei der Post. Seine Sporen als Politiker verdient er sich alsdann
als eifriger Mitarbeiter royalistischer Zeitungen und Zeitschriften, kaum minder
lebhaft ist aber die Tätigkeit des früh erwachten Dichters "unter dem Strich"
der Blätter: der Roman "Die Abtei von Tnphaines". von Schemann mit
gutem Fug als Gobineaus geschlossenstes Wer! gerühmt, gehört keineswegs in
sein Erscheinungsjahr 1869, sondern hat bereits 1849 in der "Union" ge¬
standen und mehrere Vorläufer gehabt, von denen drei in den vierziger Jahren
auch in Buchform hervorgetreten sind, Arbeiten mit manchen Schwächen, an-
scheinend aber auch allerlei Wertvollen. Epische Dichtungen der Frühzeit treten
hinzu, und zu dem dramatischen Alexander gesellt sich ein halbverschollener ge¬
druckter Don Juan. Manches davon hat Schemann schon in seinem Buch
über Gobineaus Nassenwerk (Stuttgart 1910) gestreift, erst jetzt tritt es aber
in bestimmteren Umrissen vor unseren Augen. Die Folgerungen, die sich aus
alledem ergeben, sind beträchtlich. Die vierzehnjährige Vorbereitung Gobineaus
auf sein Rassenbuch rückt endgültig ins Reich der Legende, seine Stellung zu
Christentum und Katholizismus ist schon früh nicht viel mehr als bloßes
Respektsverhältnis, sein Royalismus brüchig, da er sich nicht an Überlebtes
und Aussichtsloses zu ketten vermag; in einem eigenen Organ, der "Kevue
pwvineiale". bekennt er sich unzweideutig zu dem, was heute in Frankreich
Regionalismus heißt und findet darüber den Weg zu seinem Germanismus,
der sich in seiner ersten dichterischen Bekenntnisschöpfung, einem epischen Bruch¬
stück "Manfredine", ungeachtet die eigentliche Handlung im Neapel MasanielloS
spielt, mit großer Deutlichkeit ausspricht.

Weiterhin geht dann Altes und Neues glücklich Hand in Hand. Alexis
de. Tocqueville beruft als Minister des Auswärtigen 1849 mit erstaunlichem
Scharfblick Gobineau zu seinem Kabinettschef und eröffnet ihm damit die
diplomatische Laufbahn, Gobineaus Paktieren mit dem Kaisertum -- von einem
wirklichen Übergleiten kann kaum die Rede sein -- erklärt sich unter den neuen
Voraussetzungen ohne Schwierigkeit, der von dem Posten bei der Berner Ge¬
sandtschaft aus unternommene selbständige Abstecher nach Hannover bringt neue
germanische Eindrücke, der Aufenthalt am Bundestag in Frankfurt seit 1854
führt den langjährigen Freundschaftsbund mit Bismarcks vielgeschmähten Gegner
Prokesch-Osten herauf, dem Schemann eine eingehende Würdigung zuteil werden
läßt, ohne zu verkennen, daß Gobineaus Beurteilung der politischen Verhältnisse
Deutschlands durch diesen vertrauten Umgang nicht gerade sicherer geworden
ist- Verhältnismäßig kurz erledigt Schemann Gobineaus Rafsenbuch, in Rück¬
sicht darauf, daß er ihm bereits ein selbständiges Werk gewidmet hat und seine
Bedeutung für Gobineaus Gesamtschaffen ohnedies eher zu stark als zu wenig
hervorgehoben worden ist. sicher nicht ganz mit Unrecht. Für besonders förderlich


Gobineaus Lebensbild

dem Lehrer ihrer Kinder, im Dunkel verschwindet. Der junge Aristokrat er¬
öffnet, vor dem Tode des Erbonkels (1855) ein armer Teufel, seine Laufbahn
bei einer Gasgesellschaft und arbeitet ein paar Jahre als Hilfsarbeiter für
Sprachen bei der Post. Seine Sporen als Politiker verdient er sich alsdann
als eifriger Mitarbeiter royalistischer Zeitungen und Zeitschriften, kaum minder
lebhaft ist aber die Tätigkeit des früh erwachten Dichters „unter dem Strich"
der Blätter: der Roman „Die Abtei von Tnphaines". von Schemann mit
gutem Fug als Gobineaus geschlossenstes Wer! gerühmt, gehört keineswegs in
sein Erscheinungsjahr 1869, sondern hat bereits 1849 in der „Union" ge¬
standen und mehrere Vorläufer gehabt, von denen drei in den vierziger Jahren
auch in Buchform hervorgetreten sind, Arbeiten mit manchen Schwächen, an-
scheinend aber auch allerlei Wertvollen. Epische Dichtungen der Frühzeit treten
hinzu, und zu dem dramatischen Alexander gesellt sich ein halbverschollener ge¬
druckter Don Juan. Manches davon hat Schemann schon in seinem Buch
über Gobineaus Nassenwerk (Stuttgart 1910) gestreift, erst jetzt tritt es aber
in bestimmteren Umrissen vor unseren Augen. Die Folgerungen, die sich aus
alledem ergeben, sind beträchtlich. Die vierzehnjährige Vorbereitung Gobineaus
auf sein Rassenbuch rückt endgültig ins Reich der Legende, seine Stellung zu
Christentum und Katholizismus ist schon früh nicht viel mehr als bloßes
Respektsverhältnis, sein Royalismus brüchig, da er sich nicht an Überlebtes
und Aussichtsloses zu ketten vermag; in einem eigenen Organ, der „Kevue
pwvineiale". bekennt er sich unzweideutig zu dem, was heute in Frankreich
Regionalismus heißt und findet darüber den Weg zu seinem Germanismus,
der sich in seiner ersten dichterischen Bekenntnisschöpfung, einem epischen Bruch¬
stück „Manfredine", ungeachtet die eigentliche Handlung im Neapel MasanielloS
spielt, mit großer Deutlichkeit ausspricht.

Weiterhin geht dann Altes und Neues glücklich Hand in Hand. Alexis
de. Tocqueville beruft als Minister des Auswärtigen 1849 mit erstaunlichem
Scharfblick Gobineau zu seinem Kabinettschef und eröffnet ihm damit die
diplomatische Laufbahn, Gobineaus Paktieren mit dem Kaisertum — von einem
wirklichen Übergleiten kann kaum die Rede sein — erklärt sich unter den neuen
Voraussetzungen ohne Schwierigkeit, der von dem Posten bei der Berner Ge¬
sandtschaft aus unternommene selbständige Abstecher nach Hannover bringt neue
germanische Eindrücke, der Aufenthalt am Bundestag in Frankfurt seit 1854
führt den langjährigen Freundschaftsbund mit Bismarcks vielgeschmähten Gegner
Prokesch-Osten herauf, dem Schemann eine eingehende Würdigung zuteil werden
läßt, ohne zu verkennen, daß Gobineaus Beurteilung der politischen Verhältnisse
Deutschlands durch diesen vertrauten Umgang nicht gerade sicherer geworden
ist- Verhältnismäßig kurz erledigt Schemann Gobineaus Rafsenbuch, in Rück¬
sicht darauf, daß er ihm bereits ein selbständiges Werk gewidmet hat und seine
Bedeutung für Gobineaus Gesamtschaffen ohnedies eher zu stark als zu wenig
hervorgehoben worden ist. sicher nicht ganz mit Unrecht. Für besonders förderlich


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[0227] Gobineaus Lebensbild dem Lehrer ihrer Kinder, im Dunkel verschwindet. Der junge Aristokrat er¬ öffnet, vor dem Tode des Erbonkels (1855) ein armer Teufel, seine Laufbahn bei einer Gasgesellschaft und arbeitet ein paar Jahre als Hilfsarbeiter für Sprachen bei der Post. Seine Sporen als Politiker verdient er sich alsdann als eifriger Mitarbeiter royalistischer Zeitungen und Zeitschriften, kaum minder lebhaft ist aber die Tätigkeit des früh erwachten Dichters „unter dem Strich" der Blätter: der Roman „Die Abtei von Tnphaines". von Schemann mit gutem Fug als Gobineaus geschlossenstes Wer! gerühmt, gehört keineswegs in sein Erscheinungsjahr 1869, sondern hat bereits 1849 in der „Union" ge¬ standen und mehrere Vorläufer gehabt, von denen drei in den vierziger Jahren auch in Buchform hervorgetreten sind, Arbeiten mit manchen Schwächen, an- scheinend aber auch allerlei Wertvollen. Epische Dichtungen der Frühzeit treten hinzu, und zu dem dramatischen Alexander gesellt sich ein halbverschollener ge¬ druckter Don Juan. Manches davon hat Schemann schon in seinem Buch über Gobineaus Nassenwerk (Stuttgart 1910) gestreift, erst jetzt tritt es aber in bestimmteren Umrissen vor unseren Augen. Die Folgerungen, die sich aus alledem ergeben, sind beträchtlich. Die vierzehnjährige Vorbereitung Gobineaus auf sein Rassenbuch rückt endgültig ins Reich der Legende, seine Stellung zu Christentum und Katholizismus ist schon früh nicht viel mehr als bloßes Respektsverhältnis, sein Royalismus brüchig, da er sich nicht an Überlebtes und Aussichtsloses zu ketten vermag; in einem eigenen Organ, der „Kevue pwvineiale". bekennt er sich unzweideutig zu dem, was heute in Frankreich Regionalismus heißt und findet darüber den Weg zu seinem Germanismus, der sich in seiner ersten dichterischen Bekenntnisschöpfung, einem epischen Bruch¬ stück „Manfredine", ungeachtet die eigentliche Handlung im Neapel MasanielloS spielt, mit großer Deutlichkeit ausspricht. Weiterhin geht dann Altes und Neues glücklich Hand in Hand. Alexis de. Tocqueville beruft als Minister des Auswärtigen 1849 mit erstaunlichem Scharfblick Gobineau zu seinem Kabinettschef und eröffnet ihm damit die diplomatische Laufbahn, Gobineaus Paktieren mit dem Kaisertum — von einem wirklichen Übergleiten kann kaum die Rede sein — erklärt sich unter den neuen Voraussetzungen ohne Schwierigkeit, der von dem Posten bei der Berner Ge¬ sandtschaft aus unternommene selbständige Abstecher nach Hannover bringt neue germanische Eindrücke, der Aufenthalt am Bundestag in Frankfurt seit 1854 führt den langjährigen Freundschaftsbund mit Bismarcks vielgeschmähten Gegner Prokesch-Osten herauf, dem Schemann eine eingehende Würdigung zuteil werden läßt, ohne zu verkennen, daß Gobineaus Beurteilung der politischen Verhältnisse Deutschlands durch diesen vertrauten Umgang nicht gerade sicherer geworden ist- Verhältnismäßig kurz erledigt Schemann Gobineaus Rafsenbuch, in Rück¬ sicht darauf, daß er ihm bereits ein selbständiges Werk gewidmet hat und seine Bedeutung für Gobineaus Gesamtschaffen ohnedies eher zu stark als zu wenig hervorgehoben worden ist. sicher nicht ganz mit Unrecht. Für besonders förderlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/227>, abgerufen am 01.07.2024.