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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Gobineaus Lebensbild

Merkwürdig ist, daß das Verdienst der glänzenden Rettung von Gobineaus
Andenken im wesentlichen einem einzigen Manne, Ludwig Schemann, zukommt,
wobei es wahrlich nicht für dessen letzten Ruhmestitel gelten darf, daß er sich
im Unterschied von manchen anderen Aposteln im Laufe der Jahre zu einer
immer klareren und kritischeren Würdigung seines Helden durchgerungen hat.
Und war er schon dadurch zum Biographen Gobineaus förmlich vorbestimmt,
so nicht minder in seiner Eigenschaft als Verwalter des ihm zu treuen Händen
übergebenen und durch seine unablässigen Bemühungen reichlich vermehrten
Nachlasses, der heute einen unschätzbaren Bestandteil der Kaiserlichen Bibliothek
zu Straßburg bildet; wozu noch kommt, daß er aus dem Quell mündlicher
Überlieferung in einem Maße schöpfen konnte, wie das nie mehr jemandem
vergönnt sein wird.

Wird dadurch dem großen Gobineau-Werk Schemanns*) geradezu ein
Dauerwert ungewöhnlicher Art gesichert, so hat der Verfasser doch auch in allem
übrigen ehrlich und kräftig seinen Mann gestellt. Der Überfülle des Materials,
die sich aus Gobineaus erstaunlicher Vielseitigkeit und unheimlicher Arbeitskraft
erklärt, hat er glücklich dadurch gewehrt, daß er Urkundliches, Textproben, not¬
wendige Einzeluntersuchungen entschlossen auf die Ergänzungsbände abgeschoben
hat. Größere Schwierigkeiten bot die Frage nach der Behandlung der Werke:
hier lag gänzlich Unbekanntes oder Verschollenes mit Weitoerbreitenem oder
doch einigermaßen: Bekannten so bunt durcheinander, daß eine gleichmäßige
Würdigung streckenweise zu einem bloßen Reden in die Luft geführt haben
würde und kaum ein anderer Ausweg übrig blieb, als demi Neuen oder Ver¬
gessenen eine ausgiebigere Würdigung zuteil werden zu lassen. Gewiß hat das
zur Folge gehabt, daß die Darstellung des Schriftstellers Gobineau die reinen
und klaren Verhältnisse des eigentlich Biographischen vermissen läßt, nichtsdesto¬
weniger ist aber hier wirklich einmal aus der Not eine Tugend geworden, in¬
dem die neuen Belehrungen so ungemein reichhaltig und förderlich sind, daß
der Leser darüber alle Bedenken vergißt, selbst dort, wo sich bei minder schwer¬
wiegenden Werken der Bericht vielleicht einmal den Grenzen des Katalogartigen
nähert. Daß es sich dabei um alles andere als eine darstellerische Schwäche
Schemanns handelt, davon kann sich jeder überzeugen, der etwa der eindring¬
lichen Würdigung des Renaissancewerkes oder ähnlichem auch nur die leiseste
Aufmerksamkeit widmet.

, Verhältnismäßig am meisten des Neuen und Unerwartetem bietet das erste
Viertel des Werkes. Zum erstenmal taucht hier die unerquickliche Gestalt der
Mutter auf, die mit ihrem starken Liebesbedürfnis dem ernsten und ehrenhaften
Vater schwer zu schaffen macht und schließlich, nach jahrelanger wilder Ehe mit



*) Gobineau "Eine Biographie", Bd. I, Straßburg 1913; Bd. II, 1916. Dazu als
Ergänzung "Quellen und Untersuchungen zum Leben Gobineaus", Bd. I, 1914; der zweite
Band soll nach dem Kriege folgen.
Gobineaus Lebensbild

Merkwürdig ist, daß das Verdienst der glänzenden Rettung von Gobineaus
Andenken im wesentlichen einem einzigen Manne, Ludwig Schemann, zukommt,
wobei es wahrlich nicht für dessen letzten Ruhmestitel gelten darf, daß er sich
im Unterschied von manchen anderen Aposteln im Laufe der Jahre zu einer
immer klareren und kritischeren Würdigung seines Helden durchgerungen hat.
Und war er schon dadurch zum Biographen Gobineaus förmlich vorbestimmt,
so nicht minder in seiner Eigenschaft als Verwalter des ihm zu treuen Händen
übergebenen und durch seine unablässigen Bemühungen reichlich vermehrten
Nachlasses, der heute einen unschätzbaren Bestandteil der Kaiserlichen Bibliothek
zu Straßburg bildet; wozu noch kommt, daß er aus dem Quell mündlicher
Überlieferung in einem Maße schöpfen konnte, wie das nie mehr jemandem
vergönnt sein wird.

Wird dadurch dem großen Gobineau-Werk Schemanns*) geradezu ein
Dauerwert ungewöhnlicher Art gesichert, so hat der Verfasser doch auch in allem
übrigen ehrlich und kräftig seinen Mann gestellt. Der Überfülle des Materials,
die sich aus Gobineaus erstaunlicher Vielseitigkeit und unheimlicher Arbeitskraft
erklärt, hat er glücklich dadurch gewehrt, daß er Urkundliches, Textproben, not¬
wendige Einzeluntersuchungen entschlossen auf die Ergänzungsbände abgeschoben
hat. Größere Schwierigkeiten bot die Frage nach der Behandlung der Werke:
hier lag gänzlich Unbekanntes oder Verschollenes mit Weitoerbreitenem oder
doch einigermaßen: Bekannten so bunt durcheinander, daß eine gleichmäßige
Würdigung streckenweise zu einem bloßen Reden in die Luft geführt haben
würde und kaum ein anderer Ausweg übrig blieb, als demi Neuen oder Ver¬
gessenen eine ausgiebigere Würdigung zuteil werden zu lassen. Gewiß hat das
zur Folge gehabt, daß die Darstellung des Schriftstellers Gobineau die reinen
und klaren Verhältnisse des eigentlich Biographischen vermissen läßt, nichtsdesto¬
weniger ist aber hier wirklich einmal aus der Not eine Tugend geworden, in¬
dem die neuen Belehrungen so ungemein reichhaltig und förderlich sind, daß
der Leser darüber alle Bedenken vergißt, selbst dort, wo sich bei minder schwer¬
wiegenden Werken der Bericht vielleicht einmal den Grenzen des Katalogartigen
nähert. Daß es sich dabei um alles andere als eine darstellerische Schwäche
Schemanns handelt, davon kann sich jeder überzeugen, der etwa der eindring¬
lichen Würdigung des Renaissancewerkes oder ähnlichem auch nur die leiseste
Aufmerksamkeit widmet.

, Verhältnismäßig am meisten des Neuen und Unerwartetem bietet das erste
Viertel des Werkes. Zum erstenmal taucht hier die unerquickliche Gestalt der
Mutter auf, die mit ihrem starken Liebesbedürfnis dem ernsten und ehrenhaften
Vater schwer zu schaffen macht und schließlich, nach jahrelanger wilder Ehe mit



*) Gobineau „Eine Biographie", Bd. I, Straßburg 1913; Bd. II, 1916. Dazu als
Ergänzung „Quellen und Untersuchungen zum Leben Gobineaus", Bd. I, 1914; der zweite
Band soll nach dem Kriege folgen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/226>, abgerufen am 01.07.2024.