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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Gobineaus Lebensbild
von Professor Dr. Rudolf Schlösser

or kaum viel mehr als zwanzig Jahren konnte man die Zahl
derer, die in Deutschland mit dem Namen des Grafen Gobineau
eine bestimmtere Vorstellung verbanden, noch ohne besondere
Schwierigkeiten übersehen. Eine Handvoll überlebender persön¬
licher Freunde des eigenartigen und vielseitigen Mannes, ein
paar Orientalisten, eine etwas stärkere Gruppe von solchen, die dem starken
Hinweis Richard Wagners auf den französischen Edelmann gefolgt waren --
das war so ziemlich alles. Heute, ein Jahrhundert nach Gobineaus Geburt,
H es um seinen Ruhm und sein Ansehen wesentlich anders bestellt. Mehr und
^ehr hat sich herausgestellt, daß das große Rassenbuch zu den seltenen Werken
LMrt, die selbst den, der ihre Schwächen klar durchschaut und über ihre sterb¬
lichen Seiten völlig mit sich im reinen ist, ja sogar den eigentlichen Gegner
"icht mehr loslassen, und dementsprechend spielen seine Nachwirkungen in un¬
serem geistigen Leben eine beträchtliche Rolle. Noch stärker aber hat Gobineaus
künstlerische Hauptleistung, die Renaissance, eingeschlagen: mit dem Augenblick,
wo die Werke ihres Verfassers für den Buchhandel "frei" wurden, haben sich
vorzüglichen Verdeutschung Schemanns nicht weniger als vier weitere Über¬
setzungen angeschlossen und es ist sicher nicht zu hoch gegriffen, wenn man die
^esamtverbreitung in deutscher Sprache auf einhundertundzwanzigtausend bis ein^
hmidertundfünfzigtausend Exemplare anschlägt. Auch die Novellistik Gobineaus
gewinnt mehr und mehr an Boden, seine Alexander-Tragödie hat sich ihren
^eg in den Lehrplan unserer Schulen gebahnt, an allerlei Übersetzungen und
gewichtigen, von deutscher Seite ausgegangenen Nachlaß-Veröffentlichungen
^ kein Mangel. Langsam und widerstrebend hat auch Frankreich nachfolgen
Müssen: die Auflagen der Renaissance haben allmählich zugenommen, der Neu¬
druck des Werkes über "Religion und Philosophie in Zentralasien" ist schnell
"ergriffen worden, der zweiten Auflage der "Astatischen Novellen" von 1913,
Welche von der ersten durch volle stebenunddreißig Jahre getrennt war, ist die
dritte auf dem Fuße gefolgt, und selbst das umfängliche Buch, mit dem Ernest
Scilliöre 1903 Gobineau zu Leibe gerückt ist, bekundet wider Willen des Ver-
^ssers gerade durch seine Gründlichkeit laut die Bedeutung des Befehdeten.
Leider nur steht zu befürchten, daß nach dem Kriege das eisige Totschweigen
^ allzu germanischen Franzosen in seiner Heimat wieder losgehen wird.




Gobineaus Lebensbild
von Professor Dr. Rudolf Schlösser

or kaum viel mehr als zwanzig Jahren konnte man die Zahl
derer, die in Deutschland mit dem Namen des Grafen Gobineau
eine bestimmtere Vorstellung verbanden, noch ohne besondere
Schwierigkeiten übersehen. Eine Handvoll überlebender persön¬
licher Freunde des eigenartigen und vielseitigen Mannes, ein
paar Orientalisten, eine etwas stärkere Gruppe von solchen, die dem starken
Hinweis Richard Wagners auf den französischen Edelmann gefolgt waren —
das war so ziemlich alles. Heute, ein Jahrhundert nach Gobineaus Geburt,
H es um seinen Ruhm und sein Ansehen wesentlich anders bestellt. Mehr und
^ehr hat sich herausgestellt, daß das große Rassenbuch zu den seltenen Werken
LMrt, die selbst den, der ihre Schwächen klar durchschaut und über ihre sterb¬
lichen Seiten völlig mit sich im reinen ist, ja sogar den eigentlichen Gegner
"icht mehr loslassen, und dementsprechend spielen seine Nachwirkungen in un¬
serem geistigen Leben eine beträchtliche Rolle. Noch stärker aber hat Gobineaus
künstlerische Hauptleistung, die Renaissance, eingeschlagen: mit dem Augenblick,
wo die Werke ihres Verfassers für den Buchhandel „frei" wurden, haben sich
vorzüglichen Verdeutschung Schemanns nicht weniger als vier weitere Über¬
setzungen angeschlossen und es ist sicher nicht zu hoch gegriffen, wenn man die
^esamtverbreitung in deutscher Sprache auf einhundertundzwanzigtausend bis ein^
hmidertundfünfzigtausend Exemplare anschlägt. Auch die Novellistik Gobineaus
gewinnt mehr und mehr an Boden, seine Alexander-Tragödie hat sich ihren
^eg in den Lehrplan unserer Schulen gebahnt, an allerlei Übersetzungen und
gewichtigen, von deutscher Seite ausgegangenen Nachlaß-Veröffentlichungen
^ kein Mangel. Langsam und widerstrebend hat auch Frankreich nachfolgen
Müssen: die Auflagen der Renaissance haben allmählich zugenommen, der Neu¬
druck des Werkes über „Religion und Philosophie in Zentralasien" ist schnell
"ergriffen worden, der zweiten Auflage der „Astatischen Novellen" von 1913,
Welche von der ersten durch volle stebenunddreißig Jahre getrennt war, ist die
dritte auf dem Fuße gefolgt, und selbst das umfängliche Buch, mit dem Ernest
Scilliöre 1903 Gobineau zu Leibe gerückt ist, bekundet wider Willen des Ver-
^ssers gerade durch seine Gründlichkeit laut die Bedeutung des Befehdeten.
Leider nur steht zu befürchten, daß nach dem Kriege das eisige Totschweigen
^ allzu germanischen Franzosen in seiner Heimat wieder losgehen wird.


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[0225] [Abbildung] Gobineaus Lebensbild von Professor Dr. Rudolf Schlösser or kaum viel mehr als zwanzig Jahren konnte man die Zahl derer, die in Deutschland mit dem Namen des Grafen Gobineau eine bestimmtere Vorstellung verbanden, noch ohne besondere Schwierigkeiten übersehen. Eine Handvoll überlebender persön¬ licher Freunde des eigenartigen und vielseitigen Mannes, ein paar Orientalisten, eine etwas stärkere Gruppe von solchen, die dem starken Hinweis Richard Wagners auf den französischen Edelmann gefolgt waren — das war so ziemlich alles. Heute, ein Jahrhundert nach Gobineaus Geburt, H es um seinen Ruhm und sein Ansehen wesentlich anders bestellt. Mehr und ^ehr hat sich herausgestellt, daß das große Rassenbuch zu den seltenen Werken LMrt, die selbst den, der ihre Schwächen klar durchschaut und über ihre sterb¬ lichen Seiten völlig mit sich im reinen ist, ja sogar den eigentlichen Gegner "icht mehr loslassen, und dementsprechend spielen seine Nachwirkungen in un¬ serem geistigen Leben eine beträchtliche Rolle. Noch stärker aber hat Gobineaus künstlerische Hauptleistung, die Renaissance, eingeschlagen: mit dem Augenblick, wo die Werke ihres Verfassers für den Buchhandel „frei" wurden, haben sich vorzüglichen Verdeutschung Schemanns nicht weniger als vier weitere Über¬ setzungen angeschlossen und es ist sicher nicht zu hoch gegriffen, wenn man die ^esamtverbreitung in deutscher Sprache auf einhundertundzwanzigtausend bis ein^ hmidertundfünfzigtausend Exemplare anschlägt. Auch die Novellistik Gobineaus gewinnt mehr und mehr an Boden, seine Alexander-Tragödie hat sich ihren ^eg in den Lehrplan unserer Schulen gebahnt, an allerlei Übersetzungen und gewichtigen, von deutscher Seite ausgegangenen Nachlaß-Veröffentlichungen ^ kein Mangel. Langsam und widerstrebend hat auch Frankreich nachfolgen Müssen: die Auflagen der Renaissance haben allmählich zugenommen, der Neu¬ druck des Werkes über „Religion und Philosophie in Zentralasien" ist schnell "ergriffen worden, der zweiten Auflage der „Astatischen Novellen" von 1913, Welche von der ersten durch volle stebenunddreißig Jahre getrennt war, ist die dritte auf dem Fuße gefolgt, und selbst das umfängliche Buch, mit dem Ernest Scilliöre 1903 Gobineau zu Leibe gerückt ist, bekundet wider Willen des Ver- ^ssers gerade durch seine Gründlichkeit laut die Bedeutung des Befehdeten. Leider nur steht zu befürchten, daß nach dem Kriege das eisige Totschweigen ^ allzu germanischen Franzosen in seiner Heimat wieder losgehen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/225>, abgerufen am 01.07.2024.